Birgit Thomann im Interview

Digitalisierung und Nachhaltigkeit: So wandelt sich die europäische Bildungspolitik

, von  Karl-Raban Herder

Digitalisierung und Nachhaltigkeit: So wandelt sich die europäische Bildungspolitik
Die europäische Bildungspolitik steht vor Herausforderungen.
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„Digitaler und ökologischer Wandel“ war das Thema der diesjährigen Europäischen Berufsbildungswoche. Wo darin die Herausforderungen liegen und wie sich die Berufsbildung in Europa weiterentwickelt, erklärt Birgit Thomann im Gespräch mit treffpunkteuropa.de. Thomann leitet die Abteilung „Berufsbildung International“ im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn.

treffpunkteuropa.de: Frau Thomann, was macht das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)? Worin besteht Ihre Arbeit bzw. die Ihrer Abteilung?

Birgit Thomann: Das BIBB ist Kompetenzzentrum für die berufliche Aus- und Weiterbildung in Deutschland. Unsere Aufgabe umfasst drei Bereiche: die Berufsbildungsforschung, die Entwicklung von Ausbildungsordnungen sowie die Erbringung von Dienstleistungen zur Stärkung der beruflichen Bildung.

Bei uns in der internationalen Abteilung besteht die Arbeit aus einer Kombination des Dienstleistungs- und Forschungsbereichs. Dienstleistungen erbringen wir etwa im Rahmen der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit oder im Kontext der Internationalisierung der Berufsbildung. Im Forschungsbereich spielt für uns vor allem die international vergleichende Forschung eine große Rolle.

Vom 9. bis zum 13. November fand die europäische Woche der Berufsbildung statt. Thematischer Schwerpunkt ist der digitale und ökologische Wandel der Berufsbildung. Wo liegen darin die Herausforderungen?

Es gilt, Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Ausbildung zu verankern sowie an den Berufsschulen voranzubringen. Die technische Ausstattung der Schulen muss unterstützt und die digitalen Kompetenzen der Berufsschullehrerinnen und -lehrer gefördert werden. Dabei ist die ganz wesentliche Frage von Bedeutung: wie bindet man digitale Medien pädagogisch sinnvoll in den Unterricht ein?

Da wir ja von einem dualen Ausbildungsverständnis herkommen, müssen ebenso die Betriebe unterstützt werden. Hier ist vor allem wichtig, den kleinen und mittelständischen Unternehmen bei der digitalen Ausstattung und Transformation zu helfen. Bei den Kompetenzzentren im Bereich der beruflichen Bildung sowie bei den überbetrieblichen Berufsbildungsstätten bestehen ebenfalls Herausforderungen im Bereich der Digitalisierung. Die Ausbildung muss mit modernen Lernszenarien angereichert und digitale Technologien müssen didaktisch sinnvoll integriert werden.

Last but not least: das Thema Nachhaltigkeit. Hier wird es in erster Linie darum gehen, vorhandene Konzepte in die Praxis zu bringen und Nachhaltigkeit als Kompetenz bei den Berufsschullehrenden und den Ausbildenden zu fördern.

Welche Schwierigkeit stellt die gegenwärtige Corona-Pandemie und die damit einhergehende steigende Arbeitslosigkeit für die Berufsbildung?

Der Wandel der Arbeitswelt durch die Digitalisierung wurde in der Coronakrise sicherlich nochmal beschleunigt. Mit Blick auf die Ausbildungssituation muss man die unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Seitens der Betriebe kann man einen Rückgang des Angebots der Ausbildungsplätze erkennen. Das bezieht sich vor allem auf Klein- bzw. Kleinstbetriebe, die sich teilweise aus der Ausbildung zurückziehen. Wir haben mittlerweile die Situation, dass nur noch jeder fünfte Betrieb in Deutschland ausbildet.

Woran liegt das?

Bei den Jugendlichen haben wir den Effekt, dass die Nachfrage nach einer dualen beruflichen Ausbildung nicht mehr so stark ist. Jugendliche antizipieren offensichtlich die Unsicherheiten, vermuten schlechtere Ausbildungschancen und insbesondere diejenigen mit Hochschulzugangsberechtigung, orientieren sich vom Trend her eher in Richtung Hochschule. Dieser Trend wird dadurch befördert, dass man zur Zeit kaum Berufsorientierungsmaßnahmen durchführen kann. Es finden keine Ausbildungsmessen und keine Betriebspraktika statt. Dadurch sind die Möglichkeiten, mit den ausbildenden Unternehmen in Kontakt zu kommen nochmal deutlich eingeschränkt.

Wie steht es mit dem europäischen Vergleich der Berufsbildung? Gibt es Länder mit „besseren“ und „schlechteren“ Ausbildungssystemen?

Die Frage danach, was besser und schlechter ist, ist häufig eine normative Frage. Das hängt auch immer davon ab, was bewertet werden soll. Wichtig ist, dass Berufsbildungssysteme auch immer Ausdruck von gewachsenen historischen Prozessen sind und sich die Strukturen in vielen Jahrzehnten manchmal sogar Jahrhunderten entwickelt haben. Man kann sicherlich sagen, dass Berufsbildungssysteme sich daran messen lassen müssen, ob sie eine Akzeptanz auf dem Arbeitsmarkt finden. Also, ob die erworbenen Qualifikationen, auf dem Arbeitsmarkt auch nachgefragt werden. Und da lässt sich schon sagen, dass Länder mit einem dualen Ausbildungsmodell eigentlich recht erfolgreich sind. Dieses Modell finden Sie nicht nur bei uns in Deutschland, sondern auch in der Schweiz und in Österreich, wo ebenso die Wirtschaft und die Sozialpartner eng in die Gestaltung der Berufsbildung eingebunden sind.

„Berufsbildungssysteme sind Ausdruck von gewachsenen historischen Prozessen.“

Wohin entwickelt sich die berufliche Ausbildung in Europa?

In Europa lässt sich wegen der positiven Wirkungen einer betriebsnahen Ausbildung auf den Übergang in die Beschäftigung trotz aller Länderunterschiedlichkeit ein klarer Trend erkennen. Man versucht berufliche Bildung praxisorientierter zu gestalten und die Unternehmen stärker in die Ausbildung einzubinden. So soll sichergestellt werden, dass die vermittelten Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt werden und dadurch letztendlich das Ziel erreicht wird, die Jugendarbeitslosigkeit zu senken.

Wurde also das deutsche Ausbildungsmodell auf andere europäische Länder übertragen?

Nein, so ein Transfer in dem Sinne wäre eins zu eins gar nicht möglich. Berufsbildungssysteme sind gewachsene Strukturen, die stark mit den nationalen Kontexten verbunden sind. Richtig ist, dass sich andere Länder das deutsche Berufsbildungssystem als Referenzmodell gerne erklären lassen. Aber sie müssen ihren eigenen Weg in der Umsetzung finden. Grundsätzlich haben sich aber alle europäischen Länder zur Unterstützung von „Work Based Learning“ verpflichtet.Also dazu, praxisorientierter auszubilden und Unternehmen stärker in die Ausbildung einzubinden.

Wird an einer europäischen Vereinheitlichung der Berufsbildung gearbeitet?

Mit dem Begriff Vereinheitlichung muss man sehr vorsichtig sein, weil gemäß des europäischen Vertragswerks eine Vereinheitlichung der beruflichen und auch der allgemeinen Bildung ausgeschlossen ist. In der Bildungs- und Berufsbildungspolitik gilt das Subsidiaritätsprinzip und die Zuständigkeit liegt in erster Linie bei den Mitgliedstaaten. Aber ich verstehe was Sie meinen.

Wir haben viele gemeinsame Herausforderungen in Europa wie beispielsweise eine alternde Bevölkerung sowie eine Qualifizierung, die an den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts ausgerichtet sein sollte. Auch stehen wir gemeinsam in einem globalen Wettbewerb Deshalb ist es wichtig, gemeinsame Antworten zu finden und stärker voneinander zu lernen. Es geht da aber vorwiegend um Zusammenarbeit und nicht um Vereinheitlichung. Dafür gibt es Instrumente und Prozesse, die das Subsidiaritätsprinzip wahren.

Ein Beispiel ist der Europäische Qualifikationsrahmen, ein wichtiges Transparenzinstrument, um auch internationale Mobilität zu unterstützen. Darüber hinaus gibt es europäische Benchmarks im Bereich der „offenen Koordinierung“ der Bildungspolitik, auf die sich alle Mitgliedstaaten geeinigt haben.en und die sie anstreben.

Kann man eigentlich auch im Rahmen der beruflichen Ausbildung Erfahrungen im europäischen Ausland sammeln?

Ja, kann man. Das Programm Erasmus+ gibt einem genau diese Möglichkeit. Man kann dann einige Wochen, bis hin zu einem Viertel der Ausbildungsdauer, in einem Betrieb im europäischen Ausland lernen und arbeiten. Internationale Mobilität in der Ausbildung wird seitens der Bundesregierung auch sehr unterstützt.

Hier haben wir uns zu einem nationalen Benchmark verpflichtet. Wir möchten, dass zehn Prozent aller Auszubildenden die Möglichkeit nutzen, einen Auslandsaufenthalt im Rahmen ihrer beruflichen Erstausbildung zu absolvieren. Erfreulicherweise haben wir einen kontinuierlichen Anstieg der Auslandsmobilität zu verzeichnen, auch wenn wir das Ziel noch nicht erreicht haben.

Frau Thomann, vielen Dank für das Gespräch!

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