Ein Resonanzraum für den European Way of Life

, von  Arthur Molt

Ein Resonanzraum für den European Way of Life
Am Montag 11. Februar wurde das neue Buch von Johannes Hillje in den Räumlichkeiten des Progressiven Zentrums in Berlin vorgestellt. Kritisch diskutiert wurde es dabei von Ulrike Guérot und Sven Giegold. Foto von Erik Marquardt. Collage von Das Progressive Zentrum.

Mit der „Plattform Europa“ entwickelt Autor Johannes Hillje die Idee für einen öffentlich finanzierten europäischen Kommunikationsraum. Europa sollte die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen, um nationale Filterblasen und die Abhängigkeit von den großen Plattformbetreibern zu überwinden.

Welches Bild hat der europäische Medienkonsument vor Augen, wenn er an die EU denkt? Vermutlich genau jenes, mit dem der Korrespondent der BBC in Brüssel, Chris Morris einmal treffend die Aufnahmen beschrieb, mit denen er die Berichte aus der europäischen Hauptstadt notgedrungen bebildern muss: „Mann steigt aus Auto und geht in Gebäude. Mann kommt aus Gebäude und steigt ins Auto.“ Die EU erscheint als unverständliche Blackbox, in der nationale Politiker*innen verhandeln, was sie für ihr nationales Kollektiv als vorteilhaft betrachten.

Es fehlt nach wie vor an Bildern, Personen und Emotionen wie an Inhalten, die eine Identifikation mit der Europäischen Union ermöglichen, hält Johannes Hillje im ersten Teil seines neuen Buches „Plattform Europa“ fest. Die Folge sei eine formale Zugehörigkeit der Bürger*innen zur EU, die nicht von einem Gefühl der Zusammengehörigkeit begleitet ist. Den Grund für diese Entwicklung sieht Hillje in Kommunikationsformen, die in nationalen Diskursen verharren.

Mehr noch, die Kommunikationsstrategien der Rechtspopulisten von Salvini bis Kurz stellen das, was als „europäisch“ gilt, in einen neuen Bedeutungszusammenhang. Während die paneuropäischen Debatten aus dem Europäischen Parlament und den berufsbedingt mit der EU verbundenen Eliten keinen Widerhall finden, gerieren sich Rechtspopulist*innen als die wahren Proeuropäer*innen, weil sie den Kontinent wahlweise vor dem Schreckgespenst der Migration oder dem Zugriff der gesichtslosen „Eurocrats“ verteidigen.

Aus der Perspektive des Kommunikationsberaters beschreibt Hillje grundsätzliche strukturelle Unzulänglichkeiten in unserer Art über Europa zu reden. Auf dieser Grundlage entwickelt er seinen Vorstoß für einen kommunikativen Neuanfang. Wer eine Analyse von Machtverhältnissen oder eine detaillierte Untersuchung der europäischen Medienlandschaft erwartet, muss an anderem Ort recherchieren.

Nachrichten für die Nation

Nationale Filterblasen sieht Hillje als die Ursache der medialen Misere an. Die Medien machten nach wie vor Nachrichten für die Nation, lautet seine für das Jahr 2019 sehr ernüchternde Zusammenfassung. Unabhängig davon, dass der Anteil europäischer Themen in vielen nationalen Medien weiter zunimmt. Denn nicht zuletzt die sogenannte Griechenland-Krise hätte gezeigt, dass ein „Mehr“ an Berichterstattung über die EU deren Legitimität sogar noch weiter untergrabe, weil die europäischen Institutionen in der nationalen Berichterstattung weder als Teil der Lösung noch als wichtiger Vermittler erscheinen.

Mit der Europäisierung der nationalen Berichterstattung alleine lässt sich der „Teufelskreis der Krisendiskurse“ also nicht überwinden. Andererseits haben bisherige Versuche, supranationale Medien zu schaffen, sich lediglich als Informationsdienstleister für eine in EU-Angelegenheiten gut informierte Minderheit etablieren können, wie es die Beispiele Euractiv oder Politico Europe zeigen. Hillje verweist zurecht auf das Scheitern des Senders Euronews, der als europäisches CNN geplant wurde, ohne zuvor die Nachfrage für ein solches Medium näher zu untersuchen, und der heute vornehmlich als Hintergrundrauschen in Hotellobbys wahrgenommen wird.

Die europäische Öffentlichkeit ist digitalisiert und privatisiert

Besonders erfolgreich auf den immer noch als „Neue Medien“ betitelten Plattformen Facebook und Twitter sind unterdessen gerade die, welche in ihrem politischen Denken im Souveränismus des 19. Jahrhunderts verhaftet sind. Die direkte Kommunikation mit den eigenen Anhängern über Posts und Live-Videos hat im Falle des rechtsnationalen Matteo Salvini (Lega) längst die Reichweite eines Fernsehsenders erreicht. Die Mikrophone kritischer Berichterstatter kann Salvini getrost ignorieren.

Johannes Hillje steht natürlich nicht allein da, wenn er im anhaltenden Erfolg nationalistischer Diskurse bei gleichzeitiger Privatisierung der Öffentlichkeit durch Facebook und Co. die europäische Demokratie bedroht sieht. In seinem Buch Propaganda 4.0 - Wie rechte Populisten Politik machen hat er sich mit den erfolgreichen Methoden des politischen Marketings der Rechtspopulisten bereits auseinandergesetzt. Sein Appell, die Chancen der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz für neue Kommunikationsnetzwerke nutzbar zu machen, sollte aufgegriffen werden.

Digitale Souveränität

Die zentrale Idee von „Plattform Europa“ ist die Schaffung eines Resonanzraumes für gesamteuropäischen Debatten und Dialoge. Ausgehend von der Zweiteilung der Medienlandschaft in öffentlich-rechtliche und privatwirtschaftliche Medienhäuser plädiert Hillje dafür, dass sich die gebührenfinanzierten europäischen Medienanstalten zusammentun, um ihre eigene digitale Plattform zu schaffen.

Wie eine Unabhängigkeit vom Oligopol der amerikanischen Plattformen zu erreichen ist, so die Frage, die stets im Hintergrund steht. Wie kann Europa digitale Souveränität erreichen, anstatt zuzusehen, wie sich das „amerikanische und chinesische Internet“ mit ihren jeweils unterschiedlichen Systemlogiken - Kapitalisierung von Nutzerdaten und umfassende staatliche Kontrolle - weiter ausbreiten? Und hier fragt sich der*die Leser*in etwas ungläubig, ob die wendigen Global Player von Amazon bis Youtube sich wirklich von einem europäischen Plattformbetreiber in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft ausbooten ließen.

Anfänge sind unterdessen schon zu beobachten. Hillje verweist auf den österreichischen ORF, der sich mit eigener Vermarktungsplattform neu aufstellen möchte, sowie die Pläne des schweizer Senders SRG, der über die Schaffung unabhängiger Open Public Spaces nachdenkt. Größere Reichweiten erzielt bereits heute das Netzwerk IDEAS, das die BBC seit 2018 als Plattform für Filme und Podcasts betreibt. Doch trotz beeindruckender Klickzahlen fragt man sich zwangsläufig, wie viele Nutzer über Facebook und Twitter auf den Dienst aufmerksam geworden sind. Zumal in den FAQ auf die bekannten Social Media Kanäle verwiesen wird.

Als Teile einer „schnell wachsenden Unabhängigkeitsbewegung“ könne man diese Initiativen bewerten, so Hillje. Man möchte es hoffen. Schließlich sind noch immer Facebook und Google die Hauptzubringer zu den Inhalten der europäischen Medienportale. Und andere Akteure schlafen nicht. Den Europäer*innen sollte es Bedenken bereiten, dass es heutzutage einfacher ist, über staatliche Sender wie Russlands RT oder Aljazeera eine gemeinsame Perspektive auf Europa zu gewinnen als über ein mehrsprachiges europäisches Projekt.

Der European Way of Life auf dem Bildschirm

Ein Vorstoß für eine deutsch-französische Initiative stammt vom Ulrich Wilhelm, dem Intendanten des Bayrischen Rundfunks, der im Juni 2018 in Paris ein „europäisches Youtube“ forderte. Wenn die Europäer*innen heute ihr Lieblingsmedium, den Fernseher einschalten, haben sie es allemal leichter sich mit amerikanischen Serien zu identifizieren als mit Produkten, die europäische Gemeinsamkeiten im Sinne eines „european way of life“ widerspiegeln.

Erste Serienproduktionen mit europäischer Perspektive sind bereits in Planung. Das Drehbuch für eine Serie zum 500. Todestag von Leonardo da Vinci liegt bereits in der Schublade. Es bleibt nur zu hoffen, dass diese Kooperation der Rundfunkanstalten aus Frankreich und Italien nicht vom derzeit blühenden nationalistischen Lagerdenken verhindert wird, nachdem Leonardo entweder Franzose oder Italiener war anstatt europäisches Universalgenie.

Johannes Hillje liefert mit „Plattform Europa“ einen spannenden Debattenbeitrag, der trotz Vermittlung kommunikationswissenschaftlicher Erkenntnisse klar und zugänglich geschrieben ist. Eine Machbarkeitsstudie ist es nicht - weshalb man bei Überlegungen an die Umsetzung seiner vorgestellten Plattform Europa manches Mal skeptisch die Stirn runzelt. Aber schließlich können wir uns von der Digitalbranche auch einiges abschauen und mehr „thinking out of the box“ wagen.

Johannes Hillje: Plattform Europa - Warum wir schlecht über die EU reden und wie wir den Nationalismus mit einem neuen digitalen Netzwerk überwinden können
  Erschienen im Dietz-Verlag, 176 Seiten, 18 Euro

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