Brief an Europa

Entspannung?

Erdogan auf Staatsbesuch in Deutschland

, von  Grischa Alexander Beißner

Entspannung?
Proteste gegen den Staatsbesuch des türkischen Staatspräsidenten Erdogan in Köln Foto: Flickr / Jan-Maximilian Gerlach / CC BY-SA 2.0

Jeden Sonntag widmet sich der „Brief an Europa“ an besondere Menschen oder Themen unserer Zeit. Diesen Sonntag richtet unser Redakteur Grischa Beißner einen kritischen Blick auf den Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Erdogan in Deutschland. Angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen in der Türkei erscheint es ihm fragwürdig, weshalb man diesen Mann mit einem Staatsbesuch über drei Tage ehrt. Denn während in Deutschland Scharfschützen auf den Dächern sitzen, um die Sicherheit des Gastes zu gewährleisten, bedroht der Gast selber in seiner Heimat weiter die Sicherheit und die Freiheit vieler seiner Bürger*innen.

Herr Erdogan,

Sie sind nun zwei Tage bei uns zu Gast gewesen. Mit Staatsbankett. Dort griffen Sie auch Bundespräsident Steinmeier dann direkt an, nachdem dieser es wagte, die desolate Menschenrechtslage in Ihrem Land anzusprechen. Noch bis vor Kurzem waren wir, zumindest wenn man Ihrer Rhetorik glauben durfte, einer Ihrer ärgsten Feinde. Eine Rolle, die nun Donald Trump willig übernommen hat. Nun haben Sie verkündet, dass Sie sich eine Entspannung mit Deutschland wünschen, eine Normalisierung der Beziehungen. Sie wollen mit uns, die Sie vorher allzu gern als Faschisten und Terrorhelfer bezeichneten, wieder ziemlich beste Freunde sein.

Aber wollen wir das? Wir haben Ihre Beleidigungen stoisch ertragen, Ihre Nazi-Vergleiche, Ihr selbstüberschätztes Auftreten, das oft an das erinnerte, was man im Kampfsport einen „Affentanz“ nennt: Das laute Geschubse und Gedrohe, das Brust rausstrecken und die Grenze übertreten, wie es zwei Kerle oft machen, bevor sie anfangen sich zu prügeln. Es war allzu durchsichtiges Imponiergehabe. Nun aber steht Ihnen das Wasser bis zum Hals. Die türkische Lira hat massiv an Wert verloren und Sie erkennen langsam, dass in unserer heutigen Welt jedes Land von anderen Ländern abhängig ist.

Dementsprechend ist auch ebenso durchsichtig, was Sie sich von dieser „Entspannung“ erhoffen: Panzer für Ihren Angriffskrieg in Syrien und finanzielle Beihilfen, damit Ihre gescheiterte Wirtschaftspolitik die Türkei nicht in den Ruin stürzt. Die Leute, die Sie beschimpften und verfluchten, sollen Sie nun retten. Nicht die Türkei, nicht ihre Bürger*innen, sondern Sie selbst. Sie, der unsere europäischen Mitbürger*innen unter fingierten Anschuldigungen verhaften lässt und dessen Verhalten uns gegenüber eher an einen Geiselgangster erinnert als an einen Staatsmann.

Und Sie erwarten sogar, dass wir diejenigen, die sie willkürlich zu Terroristen erklärt haben, an Sie ausliefern. So auch den Journalisten Can Dündar, ehemaliger Chefredakteur der kritischen Zeitung „Cumhuriyet“, den Sie in Abwesenheit wegen angeblicher Spionage, Propaganda und der Preisgabe von Staatsgeheimnissen verurteilen ließen – wegen eines Berichts über geheime Waffenlieferungen von Ihnen an islamistische Rebellen in Syrien. Sie drohten sogar, die Pressekonferenz mit Angela Merkel platzen zu lassen, wenn der inzwischen hierzulande tätige Journalist dort teilnähme.

Wir haben das satt

Ihnen gegenüber sind sich in ihrer Ablehnung selbst die „Gutmenschen“ und die „Besorgtbürger“ unseres Landes einig. Sie werden vermutlich bemerkt haben, dass nicht jede*r unserer Volksvertreter*innen an dem Staatsbankett teilgenommen hat. Selbst die Kanzlerin wollte das nicht. Dafür saß Cem Özdemir von den Grünen am Tisch, der von Ihren Anhänger*innen und sogar Ihren Sicherheitsleuten derart bedroht wird, dass er selbst bei der Münchener Sicherheitskonferenz unter Polizeischutz stand. Das allein zeigt, weshalb Ihnen der deutsche Staat nicht entgegenkommen kann, nicht entgegenkommen darf. Zumindest die Finanzhilfen, die Sie sich erhoffen, hat die deutsche Regierung zunächst einmal abgelehnt.

Herr Erdogan, Sie sind nicht unser Freund. Sie sind ein Despot und kein Demokrat – egal wie oft sie das behaupten. Eine Demokratie hat gewisse, unabänderliche Voraussetzungen. Dazu gehören Freiheitsrechte ebenso wie die Unabhängigkeit von Presse und Justiz. In Ihrem Land herrscht dagegen Willkür. Ihre Gesetzesänderungen haben den Ausnahmezustand zum Regelzustand verwandelt und Sie missbrauchen Ihre Macht, um Konkurrent*innen und Kritiker *innen zum Schweigen zu bringen.

Die Liste an Gewalt und Repressionen unter ihrer Führung ist unerträglich lang. Dennoch will ich wenigstens die wichtigsten Punkte hier in ganzer Länge aufführen. In ihrer Regierungszeit wurden 17.153 Menschen, darunter 241 Kinder, Opfer von willkürlichen Exekutionen. Obwohl, Ihres Einsatzes für deren Wiedereinführung zum Trotz, die Todesstrafe in der Türkei abgeschafft ist.

Korruption und Vetternwirtschaft herrschen in Ihrer Regierung ganz offen. Ihren Schwiegersohn haben Sie zum Finanzminister gemacht,, inoffiziell wird er bereits als Ihr Nachfolger gehandelt. Für die Wahl in diesem Jahr hatten Sie sich mit der rechtsextremen MHP zusammengetan. Diese gilt als politischer Arm der faschistischen Grauen Wölfe, die für viele Gewalttaten und Morde, in der Vergangenheit sogar für Pogrome verantwortlich gemacht werden. Dementsprechend ist es nicht überraschend, dass ethnische und religiöse Minderheiten weiterhin unterdrückt werden.

Nachdem Sie den fast erfolgreich abgeschlossenen Friedensprozess mit den türkischen Kurden 2015 für gescheitert erklärten, begannen Sie eine Militäroffensive, der 321 Zivilisten, darunter 79 Kinder und 71 Frauen zum Opfer fielen. 15.000 Mitglieder der pro-kurdischen Partei HDP und anderer kurdischen Organisationen wurden verhaftet, über 7.000 sitzen noch immer im Gefängnis. Mehr als eine halbe Million Menschen wurde vertrieben und zwangsumgesiedelt.

Nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 greifen sie Ihre Opposition in der Politik, aber auch unter Ihrer Bevölkerung massiv an. Sie ließen 2.099 Schulen und Universitäten, 195 Medien, mehr als 1.600 Verbände, und Stiftungen sowie 19 Gewerkschaften schließen. 115.475 Beamte sowie 3.842 Richter*innen und Staatsanwält*innen haben Sie entlassen. Mehr als 100.000 Menschen wurden nach dem Putschversuch verhaftet, 41.254 in Gefängnisse gesteckt, darunter auch viele Journalist*innen. Zudem haben Sie die Terrormiliz “Islamischer Staat“ (IS) und andere Radikalislamisten im Irak, in Syrien aber auch in Libyen lange unterstützt oder mindestens geduldet.

Zusammen mit einigen dieser islamistischen Milizen haben Sie die Stadt Afrin erobert. Dabei ließen Ihre Truppen wahllos mit Artillerie auf die Stadt feuern. Nicht etwa auf militärische Ziele, sondern es wurden bewusst ziellose Waffen eingesetzt, die auch die Zivilbevölkerung trafen. Mindestens 289 Zivilisten starben bei Ihrer Militäroffensive gegen die Kurden in Syrien, denen Sie wahlweise vorwarfen entweder “zionistische Handlanger“ oder “Helfershelfer westlicher imperialistischer Kräfte“ zu sein und gegen die Sie und Ihre Regierung einen “heiligen“ Krieg ausriefen. Unter den Augen Ihrer Truppen haben die mit Ihnen verbündeten Milizen Zivilisten verschleppt und gefoltert, haben Ihre Häuser geplündert. Mehrfach hat Amnesty International Sie für diese dort begangenen Kriegsverbrechen kritisiert. Die Antwort Ihrer Regierung war entweder Schweigen oder Leugnen.

Angesichts all dessen erscheint die Tatsache, dass in Ihren Gefängnissen Folter an der Tagesordnung ist, fast schon wie eine Fußnote. Selbst gegen die “Samstagsmütter“, eine Gruppe alter Frauen, die friedlich auf das Schicksal ihrer verschleppten Kinder aufmerksam machen, lassen Sie Plastikgeschosse, Tränengas und Polizeipanzer auffahren. Auch am gestrigen Samstag während Ihres Besuchs. Es ist beschämend, dass unsere Regierung Ihnen überhaupt einen solchen Staatsbesuch billigt. Das Problem ist, dass Sie leider auch der einzige Ansprechpartner für das Schicksal derjenigen Menschen in der Türkei sind, die Sie nicht gewählt haben. Ebenso wie Ihnen Millionen von Flüchtlingen aus Syrien ausgeliefert sind. Dort stehen wir Europäer vor einer existenziellen Frage:

Türe zu, oder doch den berühmten Spalt offenlassen?

Wann immer es um die Türkei geht, hört man oft davon, dass man die Beitrittsverhandlungen nicht aussetzen dürfe, die Beziehungen nicht ganz abbrechen kann, weil man damit doch den reformerischen Kräften, den demokratischen Türk*innen, von denen es ohne Zweifel sehr viele gibt, in den Rücken fiele.

Und auch wenn man angesichts von Regierungen wie in Polen, Ungarn oder Österreich anderes denken könnte: Sie und Ihre demokratiefeindliche Politik gehören nicht in die EU. Aber auch wenn Sie und ihre Anhänger das gerne denken: Sie sind nicht die Türkei. Viele Türk*innen wünschen sich Freiheit und Demokratie. Manche trauen sich nur noch hinter vorgehaltener Hand, andere gehen trotzdem mutig auf die Straße, obwohl ihnen von Ihrer Polizei und ihren Milizen dafür schwere Gewalt droht. Auch diejenigen, die als politische Gefangene in Ihren Gefängnissen sitzen oder rechtzeitig ins Ausland geflohen sind, verdienen unsere Unterstützung. Und denen müssen wir helfen. Aber das, liebe Bundesregierung, geht ganz und gar nicht, indem man Panzer ans Regime liefert.

Herr Erdogan, Ihnen entgegenzukommen, weil Sie gerade – selbstverursachte – Probleme haben und deshalb Hilfe brauchen, wäre reinstes Appeasement. Sie werden Europa gegenüber nur so lange diese Maske der Freundlichkeit aufsetzten, wie Sie uns brauchen. Das wissen Sie. Und das wissen wir eigentlich auch.

Ja, unsere Regierung hat es Ihnen leider recht leicht gemacht, sich als Staatsmann zu inszenieren. So leicht, dass man sich eigentlich für sie schämen muss. Allein, sich für die deutsche Regierung zu schämen, das ist aktuell eher der Normalzustand. Dafür haben sich Andere hier klar gegen Sie positioniert. Die tausenden Demonstrant*innen fanden deutliche Worte, nannten Sie einen Faschisten, einen Diktator. Selbst die Eigentümer des Schloss Wahn haben sich erfolgreich dagegen gewehrt, dass dort ein Treffen mit Ihnen stattfinden sollte. Herr Erdogan, solange Sie nicht von Ihrer Politik der völkerrechtswidrigen Aggression umkehren, solange Sie weiterhin Interpol missbrauchen um Ihnen missliebige Menschen zu verfolgen, solange Sie weiterhin Ihre Anhänger*innen in Deutschland und Europa dazu aufrufen, Kritiker*innen zu melden und zu bedrohen, gibt es keinen Grund für eine Entspannung.

Und deshalb sind Sie für mich und viele Andere hier nicht willkommen.

Letztlich lässt sich Ihr Besuch am besten mit den Worten eines Redners auf einer Protestveranstaltung in Berlin gegen Sie zusammenfassen: „Ein derart pompöser Empfang ist nicht nur eine unnötige Aufwertung des Erdogan-Regimes, es ist auch ein Schlag ins Gesicht aller demokratischen Aktivisten in der Türkei, die eingesperrt, unterdrückt oder gefoltert werden.“

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