Unzufriedenheit mit Premier Leo Varadkar, Zugewinn für die Sinn Féin

Erste Post-Brexit-Wahl in Irland

, von  Friederike Graupner

Erste Post-Brexit-Wahl in Irland
Die Wahlen waren eine Niederlage für den irischen Premier Leo Varadkar. Foto: Flickr / International Transport Forum / CC BY-NC-ND 2.0

Die Republik Irland wählte am 8. Februar 2020 in vorgezogenen Wahlen eine neue irische Regierung. Die geänderten Mehrheitsverhältnisse bilden besonders die Unzufriedenheit der Bevölkerung Irlands mit der derzeitigen Regierung von Fine Gael unter Premierminister Leo Varadkar ab. Besonders auffällig ist der extreme Anstieg an Stimmen für die Partei Sinn Féin unter Mary Lou McDonald, die zuvor auf Grund ihrer Verbindung mit der Irisch-Republikanische Armee (IRA) als unwählbar galt. Besonders junge Wähler*innen scheint dies in ihrer Unzufriedenheit jedoch über die derzeitige Situation weniger als je zuvor zu stören. Die Umverteilung der Stimmen könnte das Ende der wechselnden Herrschaft zwischen den beiden eingesessenen Parteien Finn Gael und Fianna Fáil darstellen.

Wahlergebnisse: keine Regierungsbildung möglich

In der Wahl vom 08. Februar wurde der Dáil Éireann, das irische Unterhaus, gewählt. Nach den endgültigen Auszählungen kommt Fine Gael auf 35 Plätze im Unterhaus, Fianna Fáil auf 38 Plätze und Sinn Féin auf 37 Plätze. Im irischen Unterhaus, welches 160 Plätze hat, von denen allerdings nur 159 neu besetzt wurden, kommt somit keine der Parteien allein auf die 80 Plätze, die sie für eine Regierungsbildung bräuchte. Der eine nicht neugewählte Sitz im Unterhaus gehörte Seán Ó Fearghaíl, der als Vorsitzender des Unterhauses sein Mandat behalten durfte.

Die Parteien befinden sich momentan noch in Koalitionsverhandlungen. Es ist kaum abzusehen, wer die zukünftige Regierung stellen wird, da die drei größten Parteien alle ungefähr die gleiche Anzahl an Plätzen hat. Auch Neuwahlen, weil keine Regierungsbildung möglich ist sind derzeit nicht auszuschließen.

Hintergrund: Parteienlandschaft Irlands

Besonders relevant für diese Wahl sind vor allem die drei größten Parteien Fine Gael, Fianna Fáil und Sinn Féin. Fine Gael führt bislang unter Premierminister Varadkar eine Minderheitsregierung an, die von Fianna Fáil derzeit geduldet und für notwendige Mehrheitsabstimmungen unterstützt wird. Die Partei gilt als pro-europäisch und christdemokratisch. Leo Varadkar galt im europäischen Ausland als erfolgreicher Premier, der den liberal-konservativen Kurs seiner Partei fortführte und dadurch die irische Wirtschaft stabilisierte. Diese war nach der Immobilienkrise 2008 stark geschädigt und gilt inzwischen wieder als stabil. Weiterhin sank die Arbeitslosenquote unter Varadkar auf 4,8 Prozent und er galt als souveräner Verhandlungsführer während der Verhandlungen um die Bedingungen des Brexits: Eine harte Grenze konnte er verhindern. Doch diese Themen haben für die Wähler*innen in dem Wahlkampf nur sehr geringe Relevanz. Der Fokus der Wahl lag auf innenpolitischen Themen, wie dem sozialen Sicherheitsnetzes, welches unter der Sparpolitik der letzten Jahre stark gelitten hat.

Die zweite Partei, welche das politische System der Republik Irland seit der Selbstständigkeit prägte, ist Fianna Fáil, welche gerade die Minderheitsregierung unter Fina Gael duldet. Sie wird derzeit von Micheál Martin geleitet und wechselt sich seit einem Jahrhundert mit Fine Gael an der Macht ab. Die Parteien werden als liberal-konservative Zwillingsschwestern gesehen, die sich in ihrer Politik nur geringfügig voneinander unterscheiden. Fianna Fáil bietet also nur minimale Unterschiede zu der Politik Fine Gaels. Der überraschende Sieger der Wahl ist jedoch Sinn Féin. Die Partei wurde in den vorherigen Wahlkämpfen auf Grund ihrer historischen Verbindungen zu der IRA von einem Großteil der Bevölkerung Irlands als unwählbar angesehen. Sie galt lange Zeit als politischer Arm der IRA.

Doch der Partei scheint in den letzten Jahren ein Imagewechsel gelungen zu sein: Für die Generation der jungen Wähler*innen steht Sinn Féin derzeit für den erhofften Umschwung. Der thematische Fokus der Partei im Wahlkampf lag auf innenpolitischen Themen, wie dem stark geschwächten Gesundheitssystem der Republik Irland und dem Wohnungsmarkt.

Thematischer Schwerpunkt: Zurückgelassenes Irland?!

Die Schwerpunkte im Wahlkampf lagen auf den Bedürfnissen der Wähler*innen, die das Gefühl hatten, von der Erholung der irischen Wirtschaft nach der Immobilienkrise von 2008 nicht profitiert zu haben. Anstelle von außenpolitischen Themen wie beispielsweise den Auswirkungen des Brexits auf Irland, ging es bei der Wahl des irischen Unterhauses klar um Innenpolitische Themen, wie das Gesundheitssystem, welches derzeit als sehr instabil gilt. Eine Umfrage der Irish Times ergab, dass unter den Personen mit Wahlberechtigung 32 Prozent die Gesundheitsversorgung als wichtiges Thema für die Wahlentscheidung nannten. Daten der Irish Hospitals Association zufolge, ist die Zahl der Krankenhausbetten um 300 niedriger als noch vor einem Jahrzehnt und das trotz eines stetigen Bevölkerungswachstums. Zukünftige Politik müsse daher unbedingt in das Gesundheitssystem investieren und die Lage für Patient*innen verbessern.

Weiteres zentrales Thema des Wahlkampfes stellt der Wohnraum dar. Besonders in der Hauptstadt Dublin stiegen die Hauspreise seit 2012 um 95 %, doch das Hauptproblem stellt die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum dar. Darauf reagierten die Parteien mit unterschiedlichen Angeboten an die Bevölkerung: Sinn Féin und eine weitere Kleinpartei forderten beispielweise eine Einfrierung der Mieten. Dies sei jedoch laut Aussagen von Fianna Fáil „verfassungswidrig“.

Eng verbunden mit dem Thema Wohnraum ist das Problem der Obdachlosigkeit in Irland. Obdachlosigkeit spielt dort vor allem ein großes Thema, weil regelmäßig über Todesfälle auf Grund von Obdachlosigkeit berichtet wird. Im Juli 2017 lebten allein 8.160 Menschen in Notfallunterkünften. Unter ihnen befand sich eine hohe Zahl von Kindern und Familien. Auch im Angesicht der Wahl wurde die Wut der Bürger*innen noch einmal weiter geschürt, als ein Obdachloser in der ersten Wahlwoche in Dublin bei einer Aufräumaktion schlafend in seinem Zelt schwer verletzt wurde. Mehr als 200 Obdachlose starben im letzten Jahr in Irland.

Weiteres zentrales Thema stellen die Lebenshaltungskosten in Irland dar. Laut einem Ranking aus dem Jahr 2019 ist Irland das dritt-teuerste Land der EU. Trotz steigender Gehälter fühlen sich viele Wähler*innen nicht an dem wirtschaftlichen Aufschwung der letzten Jahre beteiligt. Die Wirtschaft hat sich von dem Zusammenbruch der Banken im Jahr 2010 zwar erholt. Umfragen zufolge hat der Durchschnitt der irischen Bevölkerung aber das Gefühl, nicht von dem Aufschwung zu profitieren.

Zusätzlich stieg in den letzten Jahren das staatliche Rentenalter, wie in vielen anderen EU-Ländern auch, auf 67 Jahre. Dies sorgte für große Unzufriedenheit in der Bevölkerung, da viele Arbeitsverträge bereits mit 65 Jahren enden. Für die Zwischenzeit von zwei Jahren wird erwartet, dass die Arbeiter*innen sich als arbeitslos melden, was von vielen Wähler*innen als demütigend wahrgenommen wird.

Brexit: Diskutiert oder vergessen?

Die Rolle des Brexits für die Wahlen in Irland kann als einerseits sehr gering und andererseits als sehr hoch eingeschätzt werden. Die ehemalige Regierung unter Leo Varadkar hat mit ihrem Fokus auf den Brexit auch im Wahlkampf bei der Bevölkerung nicht punkten können, obwohl Varadkar als souveräner Verhandler innerhalb der Verhandlungen um den Brexit galt und eine harte Grenze zu Nordirland verhindert hat. Doch die Bevölkerung hat mit ihrer Wahl gezeigt, dass die höhere Relevanz für sie auf den sozialen, innenpolitischen Themen liegt.

Andererseits hat der Brexit eine große Rolle gespielt, da die Nationalist*innenpartei Sinn Féin für die Wiedervereinigung mit Nordirland eintritt. Nachdem London in den Brexit-Verhandlungen gezeigt hat, dass das Interesse an Nordirland und den dort vertretenen Meinungen schwindet, kann die offensichtlich wiedererlangte Wählbarkeit von Sinn Féin als neue Hoffnung für eine Annäherung an Nordirland gesehen werden. Nordirland wird sich vorerst weiter an EU-Regelungen halten, wodurch die Bindung an Großbritannien abnehmen und die an die Republik Irland zunehmen könnte. Dies ist allerdings nicht als direkter Schritt zur Wiedervereinigung zu sehen, sondern höchstens als schrittweise, langsame Annäherung aneinander. Die gewaltvolle Vergangenheit gilt auch heute noch als nicht endgültig aufgearbeitet.

Sonderfall Irland oder ein europäisches Problem?!

Die Probleme, die sich in der Republik Irland aufzeigten und zentrale Elemente der Wahl vom 08. Februar waren, lassen sich als ähnliche Probleme wie in anderen europäischen Ländern auch vorherrschend einordnen: Ein Teil der Bevölkerung fühlt sich von wirtschaftlichem Erfolg ausgeschlossen. Die Umverteilung hat in den letzten Jahren nicht funktioniert, was vor allem zu einer Unzufriedenheit unter den Arbeitnehmer*innen geführt hat. Die drastische Sparpolitik hinterließ für die Bevölkerung spürbare Löcher im sozialen Sicherheitsnetz.

Dies zeigte sich in den Wahlen deutlich. Dennoch hat keine der Parteien allein eine Mehrheit, die für eine Regierungsbildung reicht. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob es, wie bei den letzten Wahlen, wieder eine Minderheitsregierung mit Akzeptanz der jeweilig anderen Partei zwischen Fine Gael und Fianna Fáil geben wird. Dies wäre eine Fortführung der letzten Jahre und würde den sehr deutlichen Ruf der Bevölkerung nach Veränderung ignorieren. Noch im Wahlkampf schlossen sowohl Fine Gael und Fianna Fáil eine Koalition mit Sinn Féin aus: Andere Konstellationen werden damit unwahrscheinlich. Fianna Fáil zeigte sich nach Veröffentlichung erster Wahlergebnisse allerdings nicht mehr als komplett abgeneigt, eine Koalition doch zu probieren. Mary Lou McDonald, Vorsitzende von Sinn Féin kündigte an, zuerst mit den kleineren Parteien und einzelnen Mandatsträger*innen Gespräche zu führen und mit diesen eine Zusammenarbeit zu erarbeiten.

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