Es lebe die Arbeitnehmerfreizügigkeit!

, von  Hannah Illing

Es lebe die Arbeitnehmerfreizügigkeit!
„Achtung! Staatsgrenze“ steht auf diesem Schild an der polnisch-tschechischen Grenze. Neben offenen Grenzen wird in der EU aktuell auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit wieder infrage gestellt. Flickr / Chris Rubber Dragon / Attribution 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0)

Österreich führt demnächst eine fragwürdige arbeitsmarktpolitische Regelung ein, die die EU-interne Arbeitsmigration stark einschränken könnte. In einem solidarischen Europa ist das die falsche Politik.

Es dauert nicht mehr lange, dann führt Österreich zum 1. Juli 2017 den „Beschäftigungsbonus“ für einheimische Arbeitskräfte ein. Wenn ein Unternehmen danach einen neuen Arbeitnehmer anstellt, werden ihm 50 Prozent der Lohnnebenkosten vom Staat zurück erstattet. Der springende Punkt: Für Angestellte, die erst neu nach Österreich zugewandert sind, gibt es keine Förderung. Für Unternehmen ist es daher attraktiv, insbesondere österreichische Bürger einzustellen. Österreichs Bundeskanzler Christian Kern begründete die Maßnahme mit den negativen ökonomischen Effekten der EU-Arbeitsmigration nach Österreich: Österreichische Arbeitnehmer litten dadurch unter Lohndumping und gestiegener Arbeitslosigkeit.

Der sozialdemokratische Politiker Kern reiht sich damit ein in die Riege meist konservativer europäischer Politiker, die dafür eintreten, die „nationale Arbeiterschaft“ zu schützen. Ein weiteres prominentes Beispiel ist die britische Premierministerin Theresa May, die im Zuge der Brexit-Verhandlungen ihr Ziel, die Arbeitsmigration aus EU-Ländern nach Großbritannien einzuschränken, mit großer Entschiedenheit verfolgt.

Solch eine national-fokussierte Politik widerspricht klar der EU-Regelung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, nach der ein EU-Bürger, der in einem anderen EU-Land Arbeit sucht, im Hinblick auf den Zugang zu Beschäftigung und Arbeitsbedingungen genauso behandelt werden sollte wie die Staatsangehörigen des entsprechenden Landes. Zudem stellt sich die Frage, wie wissenschaftlich fundiert die Behauptung von Kern und May ist, dass die EU-Migration der einheimischen Bevölkerung schade.

Es ist richtig, dass die Arbeitslosenquote in Österreich zuletzt gestiegen ist. 2016 lag sie laut Eurostat bei 6 Prozent, 2010 und damit vor der Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes für Bürger der neuen EU-Länder, waren es noch 5 Prozent. Diese Feststellung alleine sagt jedoch nichts über den kausalen Effekt der Öffnung des Arbeitsmarktes auf die Arbeitslosenquote aus: Es könnte zum Beispiel auch sein, dass die höhere Arbeitslosigkeit 2016 noch eine Spätfolge der Finanzkrise von 2008 war.

Mehrere Szenarien bezüglich der Effekte von Arbeitsmigration auf den einheimischen Arbeitsmarkt sind denkbar; sie hängen unter anderem davon ab, ob die Arbeitsmigranten die einheimischen Arbeitskräfte „ersetzen“ oder ob sie sie „ergänzen“. Verfügen beide über ähnliche Fähigkeiten, tritt der erste Fall ein. Dann besteht tatsächlich die Gefahr, dass die Arbeitsmigranten mit in der Regel niedrigerem Reservationslohn die inländischen Angestellten vom Arbeitsmarkt verdrängen. In der Folge würden die Löhne im Inland sinken und die Arbeitslosigkeit stiege. Im zweiten Fall könnte Arbeitsmigration jedoch durchaus positive Effekte auf die einheimische Bevölkerung haben. Generell wird angenommen, dass die Effekte für gering qualifizierte einheimische Beschäftigte eher negativ sind, für hoch qualifizierte Beschäftigte dagegen positiv.

Empirische Studien zu den Effekten von Migration innerhalb der EU sind geteilt: Sie finden sowohl positive, negative als auch gar keine Effekte. Das Ergebnis der jeweiligen Studie muss dabei immer auch in ihrem zeitlichen und geographischen Kontext gesehen werden. Ein kürzlich veröffentlichtes Papier von Christian Dustmann, Uta Schönberg und Jan Stuhler kommt zum Beispiel zu dem Ergebnis, dass ein Anstieg tschechischer Pendler Anfang der 1990er Jahre negative Effekte auf Beschäftigung und Löhne in der bayerischen Grenzregion hatte. Im Gegensatz dazu können Sara Lemos und Jonathan Portes keine Arbeitsmarktauswirkungen von EU-Migration nach Großbritannien zwischen 2004 und 2006 feststellen. Wiederum zu einem anderen Ergebnis kommen Mette Foged und Giovanni Peri: Sie untersuchen Migration in den Jahren 1991-2008 nach Dänemark und finden heraus, dass gering qualifizierte dänische Arbeiter ihre Fähigkeiten als Folge eines Migrationsstroms „upgraden“, was im Endeffekt zu Lohnsteigerungen führt.

Angesichts dieser gemischten Evidenz ist die simple Schlussfolgerung einiger europäischer Politiker pauschalisierend. Sie mag zwar kurzfristig Wählerstimmen generieren, könnte aber auch grundlos Zusammenhalt und Solidarität innerhalb der Union beschädigen. Angesichts des zu erwartenden demographischen Wandels werden europäische Länder in Zukunft vielleicht sogar um Einwanderer werben müssen. Eine Politik wie der österreichische „Beschäftigungsbonus“ ist kurzsichtig, populistisch und stellt mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit eine der größten Errungenschaften der EU infrage.

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