Wohin kommt der Müll?
Der größte Abnehmer für den europäischen Müll ist die Türkei. Im Jahr 2022 verschiffte die EU unglaubliche 12,4 Millionen Tonnen Müll in die Türkei – mehr als das Dreifache der Menge, die im Jahr 2004 dorthin geschickt wurde. Auch südostasiatische Länder wie Malaysia, Vietnam und Indien sind zu wichtigen Deponien für europäischen Plastikmüll geworden. Dies führt dazu, dass viele dieser Länder unter der Last des Mülls förmlich ertrinken.
Seit Chinas Verbot von Müllimporten 2018 nimmt die Türkei den Platz ein. Europäische Unternehmen profitieren dabei vor allem von einer Verminderung der Kosten. Gleichzeitige sind die Umweltfolgen enorm. Dies hat zu Anschuldigungen des „Müllkolonialismus“ geführt, da Europa seine Abfallprobleme bedenkenlos auf ärmere Länder abwälzt, ohne sich um die Konsequenzen zu kümmern.
Plastik: Mehr als nur Abfall
Plastikmüll ist längst nicht mehr nur ein lokales Umweltproblem, sondern ein globales Thema mit weitreichenden sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Konsequenzen. Während Kunststoffprodukte unseren Alltag erleichtern und zahlreiche Industrien unterstützen, wird der daraus resultierende Abfall zunehmend zu einer ernsten Herausforderung.
Ein globales Dilemma
Hast Du dich schonmal gefragt, was mit der Plastikflasche passiert, wenn sie in der Recycling-Tonne landet? In europäischen Mülltonnen, besteht eine gute Chance, dass sie auf einem Schiff in die Türkei oder nach Südostasien reist. Tatsächlich werden weltweit nur 9 % des Plastiks tatsächlich recycelt. Der Großteil wird entweder verbrannt, auf Deponien vergraben oder, was am schlimmsten ist, in Flüsse und Ozeane gekippt, wo er die Tierwelt und Ökosysteme zerstört.
Plastikabfälle, insbesondere aus Verpackungen, gehören zu den größten Exportgütern Europas. Es handelt sich dabei nicht nur um Haushaltsmüll, sondern auch um industrielle Kunststoffe, die auf diese Weise entsorgt werden. Während Länder wie die Türkei und Malaysia anfangs bereit waren, diesen Abfall anzunehmen, sind sie mittlerweile von den Mengen und den verursachten Umweltschäden überwältigt.
Greenwashing: Ein schmutziges Geschäft
Was die meisten Menschen nicht wissen, ist, dass die Unternehmen trotz der strengen EU-Gesetze zur Abfallbewirtschaftung clevere Wege gefunden haben, um die Exportmaschine am Laufen zu halten. Einer der beliebtesten Tricks ist die Umbenennung von Abfällen in „End-of-Waste“-Materialien, was bedeutet, dass sie nicht mehr als Abfall eingestuft werden, sondern als Ressource, die wiederverwendet werden kann. Was gut klingt, sieht in der Realität ganz anders aus. Das Schlupfloch ermöglicht es Unternehmen, Vorschriften zu umgehen und Abfälle in Länder zu schicken, die die riesigen Mengen, die dorthin geschickt werden, nicht bewältigen können. Und es kommt noch schlimmer: Sowohl die Unternehmen in den Export- als auch in den Importländern führen oft ihre eigenen Tests durch, um zu entscheiden, ob etwas „Abfall“ oder „Material“ ist. Wie man sich vielleicht vorstellen kann, sind diese Tests nicht immer zuverlässig. In vielen Fällen ist das, was als wiederverwendbares Material bezeichnet wird, in Wirklichkeit immer noch Abfall. Dies hat zu einigen schockierenden Umweltskandalen geführt, bei denen ganze Schiffsladungen von Müll zurückgewiesen und zurückgeschickt wurden.
Hoffnung durch neue Regelungen?
Es gibt aber auch gute Nachrichten. So hat die EU 2024 eine neue Verordnung erlassen, die den Export von Kunststoffabfällen in Nicht-OECD-Länder bis 2026 vollständig unterbinden soll. Das bedeutet, dass Länder wie Malaysia, Indien und Vietnam höchstwahrscheinlich nicht länger die Müllkippe der EU sein werden. Doch der Weg dorthin ist weit. Selbst in den OECD-Ländern, einschließlich der Türkei, in denen Abfallexporte erlaubt sind, erfordern strengere Vorschriften nun schriftliche Vereinbarungen zwischen den Ländern, um sicherzustellen, dass der Abfall ordnungsgemäß verarbeitet wird. Diese neue Verordnung ist Teil einer umfassenderen Anstrengung zur Stärkung des europäischen Abfallmanagementsystems und zur Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft, in der die Gesamtabfallmenge minimiert wird, während gleichzeitig die Materialien so weit wie möglich wiederverwendet und recycelt werden. Auf der anderen Seite spricht die EU viel über Nachhaltigkeit, während weniger als 12 % der in Europa verbrauchten Materialien tatsächlich aus dem Recycling stammen. Ein Widerspruch zwischen dem angestrebten Image der EU und der Realität.
Versteckte Kosten für Gesundheit und Umwelt
Neben gravierenden Folgen für die Umwelt hat die Ausfuhr von Abfällen auch schwerwiegende soziale und gesundheitliche Folgen, vor allem in Ländern, die nicht über die entsprechende Infrastruktur verfügen, um sie zu entsorgen. In der Türkei beispielsweise haben europäische Abfälle zu einer weit verbreiteten Verschmutzung geführt, da gefährliche Chemikalien aus unsachgemäß behandelten Kunststoffen die Wasserversorgung und den Boden verseucht haben. Darüber hinaus wird die Abfallverarbeitung in vielen dieser Länder von informellen Arbeitskräften durchgeführt und findet oft unter unsicheren und unhygienischen Bedingungen statt. Einige dieser Arbeiter*innen sind Kinder und Jugendliche. Sie sind täglich gefährlichen Stoffen ausgesetzt, was zu ernsten Gesundheitsproblemen wie Atemwegs- und Hauterkrankungen führt.
Die Müllwirtschaft von morgen: Ein großer Kreislauf?
Die Antwort liegt darin, mehr Abfall in Europa zu halten und die Recyclingsysteme auf dem gesamten Kontinent zu verbessern. Der 2020 verabschiedete EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft ist ein Schritt in die richtige Richtung. Er zielt darauf ab, die Abhängigkeit der EU von Abfallexporten zu verringern, indem er bessere Recyclingpraktiken fördert und Unternehmen ermutigt, Produkte zu entwickeln, die leicht wiederverwendet oder recycelt werden können. Einfach wird der Wandel aber nicht. Zum jetzigen Zeitpunkt hat sich Europa jahrelang auf den Export seiner Abfälle verlassen, um seine Recyclingprobleme zu lösen, und viele Branchen sind tief in diesem Modell verwurzelt. Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft erfordert massive Investitionen in die Recycling-Infrastruktur sowie eine strengere Durchsetzung der Vorschriften, um sicherzustellen, dass der Abfall von Anfang bis Ende nachhaltig bewirtschaftet wird.
Und jetzt? Müll neu denken!
Während Europa mit seiner Abfallkrise kämpft, ist eines klar: Die Zeit, in der wir unsere Probleme in andere Länder verlagern, geht zu Ende. Die neuen EU-Verordnungen sind ein mutiger Schritt, aber sie sind erst der Anfang. Um das Abfallproblem wirklich in den Griff zu bekommen, müssen wir überdenken, wie wir unsere Materialien überhaupt produzieren, verwenden und entsorgen. Wenn Du das nächste mal etwas in die Mülltone wirfst, frag Dich: Wo wird das landen? Denn in einer Welt, in der der Müll des einen die Last eines anderen Landes ist, hat unser Abfall weitreichende Folgen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir langfristige, nachhaltige Lösungen finden und nicht nur eine, die das Problem nur verschiebt.
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