ALDE präsentierte Team Europe

Europas Liberale in der Schwebe

, von  Bastian De Monte

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Europas Liberale in der Schwebe
Das Wahlkampf-Kick-Off der ALDE fand am 21. März im Brüsseler Egmont Palace statt. Photo : Flickr - ALDE Party - CC BY-NC-ND 2.0

Monate nach der Präsentation der Spitzenkandidat*innen durch andere europäische Parteien einigten sich auch die Liberalen darauf wer sie in die diesjährigen Europawahlen führen wird. Beim Wahlkampf-Kick-Off in Brüssel Ende März wurde „Team Europe“ nun offiziell vorgestellt.

Spät, aber doch haben auch Europas Liberale endlich beschlossen, wer sie in die diesjährigen Wahlen führen wird. Beim Wahlkampf Kick-Off wurde Team Europe – bestehend aus liberalen Schwergewichtlern und aufstrebenden Newcomern – vorgestellt. Je nach dem, ob die EU-Skeptiker nach der Wahl eine allumfassende Fraktion bilden können und ob sich Präsident Macron am Ende tatsächlich mit der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa zusammenschließt, hoffen die Liberalen auf ein Comeback als drittstärkste Kraft. [1]

Team Europe

Das regional ausgeglichene Team besteht aus fünf Frauen und zwei Männern. Zu den bekanntesten Gesichtern zählen zweifelsohne der belgische Ex-Premier Guy Verhofstadt, Fraktionsvorsitzender und Brexit-Unterhändler des Europaparlaments, sowie Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, die sich mit hohen Strafen gegen Apple und Google einen Namen gemacht hat. Trotz großer Beliebtheit in Brüssel schlägt der Dänin politischer Gegenwind entgegen; ihre linksliberale Radikale Venstre ist in Opposition. Und obwohl die Regierungspartei Venstre auf EU-Ebene auch Teil der ALDE ist, ist eine Verlängerung Vestagers als Kommissarin mehr als ungewiss.

Eine weitere bekannte Persönlichkeit ist die ehemalige Kommissarin Emma Bonino, die bereits unterschiedliche Regierungsämter innehatte, momentan für Rom im italienischen Senat sitzt und kürzlich die euroföderalistische Partei Più Europa gründete. Diese ist allerdings nicht die einzige junge Bewegung, die vertreten ist: Momentum schickte seine Mitbegründerin Katalin Cseh, ausgebildete Gynäkologin, aus Ungarn nach Brüssel. Die neuen Mitgliedstaaten werden außerdem durch die slowenische Transportkommissarin Violeta Bulc repräsentiert, die für die Stranka modernega centra (Moderne Zentrumspartei) von Ex-Premier Cerar in den Ring steigt.

Die größten liberalen Delegationen nach der Wahl werden aus Deutschland, Spanien und Tschechien erwartet. Es ist also nicht verwunderlich, dass FDP-Spitzenkandidatin Nicola Beer und Wirtschaftsprofessor Luis Garicano von Ciudadanos Teil von Team Europe sind. Wer allerdings fehlt, ist Justizkommissarin Věra Jourová, die sich auf ihre nationale Kampagne konzentrieren wird.

Neue Bündnisse und der Macron-Faktor

Während weder Più Europa noch Momentum aktuell mit Sitzen im Europaparlament rechnen können, darf es als Zeichen der Ermutigung verstanden werden, diese Parteien vertreten zu haben – als Zeichen der Anerkennung einer liberal-progressiven Welle, die aktuell durch eher eurokritische Länder schwappt: Erst vor Kurzem gewann Zuzana Čaputová (Progressive Slowakei) mit 58% die slowakischen Präsidentschaftswahlen.

Das große Fragezeichen bleibt Macron. Eine Allianz mit La République En Marche würde der ALDE-Fraktion nicht nur ein Mehr an 22 MdEP bescheren, sie würde auch die liberale Stimme im Europäischen Rat stärken, dem de facto mächtigsten EU-Gremium. Die Pläne des französischen Präsidenten, der es sich ja seit jeher zur Aufgabe gemacht hat, das herkömmliche Parteiensystem zu sprengen, bleiben aber schwammig. Je nach Wahlergebnissen in den einzelnen EU-Staaten könnte er gar eine komplett neue Gruppe formen und der der ALDE anbieten, Teil davon zu sein – gemeinsam mit anderen proeuropäischen Parteien.

Macrons Aufruf zu einem europäischen Neubeginn wurde – wenngleich nicht in allen Punkten – etwa von Polens neuer Pro-Europa-Koalition willkommen geheißen, einem Bündnis aus Politiker*innen aller Couleurs mit dem einzigen Ziel, die Regierungspartei PiS zu stürzen. Die neue Bewegung Wiosna (Frühling) wiederum nimmt nicht daran teil. Mit ihrer progressiven Agenda wäre sie ein natürlicher Verbündeter für Macron – ALDE-intern wird sie von manchen allerdings als zu links betrachtet.

Selbiges gilt für die kolportierte Zusammenarbeit mit der sozialdemokratischen Fraktion S&D: Macron hatte ja bereits vor längerer Zeit eine Zusammenarbeit mit Italiens Partito Democratico angedacht, allerdings stehen ihm die französischen Sozialisten kritisch gegenüber. Eine wie auch immer geartete „progressive“ Allianz würde auch ALDE wiederum vor eine Zerreißprobe stellen. Was also bleibt: Ungewissheit.

Quo vadis ergo, Europa liberalis?

Und dennoch fällt ALDE vor Macron, der sich Spitzenkandidat*innen auf EU-Ebene offen widersetzt, auf die Knie. Im Jahr 2014 noch war die Partei, die mit Guy Verhofstadt an der Spitze in die Wahl zog, eine der größten Verfechterinnen dieses Systems. Allerdings muss hier noch vor allem eines einkalkuliert werden: persönliche Eitelkeiten. So einfach wollte Verhofstadt nicht Platz für die populäre Kommissarin Vestager machen – zumal diese den politischen Rückhalt ihrer eigenen Regierung nicht hat.

Selbstverständlich kann argumentiert werden, dass ein Kandidat*innenteam die Vielfalt innerhalb der ALDE widerspiegelt – von Marktliberalen über Zentristen hin zu Sozialliberalen und Progressiven – sowie der Animation junger Parteien dient. Keine/n Spitzenkandidat*in aufzustellen, bringt aber vor allem zum Ausdruck, wie uneins man unter den Liberalen ist. Dies gilt national wie auch auf EU-Ebene und betrifft nicht nur einzelne Politikfelder, sondern vor allem auch die Kernfrage, in welche Richtung sich unsere Union entwickeln soll. Einige ALDE-Mitglieder sind glühende Föderalisten, andere schauern angesichts der Möglichkeit einer Fiskal- oder Transferunion und bevorzugen zwischenstaatliche Lösungen – und Macron ist irgendwo dazwischen.

Was vom Kick-Off letztlich bleibt, ist die Erinnerung an eine schicke Location. Große inhaltliche Würfe suchte man vergebens und somit bleibt man den Wähler*innen vor allem eines schuldig: eine wahre liberale Vision für Europa.

Im Einklang mit unseren Richtlinien für guten Journalismus möchte Treffpunkt Europa darauf hinweisen, dass unser Autor das Event als Parteimitglied besucht hat.

Anmerkungen

[1Die ALDE-Fraktion besteht hauptsächlich aus der gleichnamigen ALDE-Partei, umfasst aber auch die Europäische Demokratische Partei und einige unabhängige Mitglieder.

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