Europawahlen: Ein europäisches Netzwerk von Journalistenschulen engagiert sich gegen Fake News

, von  Grégory Legroux, übersetzt von Julia Bernard

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Europawahlen: Ein europäisches Netzwerk von Journalistenschulen engagiert sich gegen Fake News
Fotoquelle: Flickr / Marco Verch / CC BY 2.0

Der Kampf gegen Fake News gilt als einer der zentralen Probleme der Demokratie. Eric Nahon, stellvertretender Direktor des „Institut Pratique du Journalisme“ (IPJ), dem Institut für angewandten Journalismus, berichtete während der Europäischen Pressetage über das EUFACTCHECK-Projekt. Das Projekt wurde auf Initiative der European Association of Journalism Schools (EJTA) ins Leben gerufen. Das Ziel: eine neue Methodik zur Überprüfung von Fakten vorzuschlagen und die Welle an Fake News einzudämmen.

Grégory Legroux: Wer sind die Menschen hinter diesem Projekt?

Eric Nahon: Die ursprüngliche Initiative kommt von Nadia Vissers, einer Forscherin an der Universität Antwerpen. Sie wollte eine Arbeitsgruppe für die Lehre des Faktencheckens einrichten. Das Projekt wurde dann 2016 in Paris, am IPJ, auf eine etwas zufällige Weise ins Leben gerufen. Zwei Forscher der Universität Antwerpen haben alle unsere Debatten synthetisiert. Das Endprodukt ergab die drei Entscheidungsbäume, in Form von drei Flussdiagrammen, die schlussendlich auch das Kernstück unserer Methodik darstellen. Die Grundidee war, unsere Lehrmethoden des Fact-Checking zu bündeln und sie im Rahmen der Europawahlen zu testen. Unsere Kernarbeit: Aussagen von Politiker*innen, Aktivist*innen, Ökonom*innen, großen Unternehmensführer*innen etc. zu verifizieren und ihre Behauptungen mit einheitlicher Methode zu bewerten.

Grégory Legroux: EUFACTCHECK vertritt 20 Journalistenschulen in 15 europäischen Ländern. Gibt es gemeinsame Dossiers zwischen den Ländern oder befasst sich jedes Land mit seinen eigenen Themen?

Eric Nahon: Zunächst kümmert sich jede Journalistenschule um das eigene Land. Aber wenn zum Beispiel deutsche Politiker*innen über Frankreich spricht, dann werden auch bei uns Informationen angefordert. Wir arbeiten hierfür auch mit einer gemeinsamen Datenbank, um länderübergreifend Informationen zu überprüfen und keine Zeit mit Dingen, wie zum Beispiel der Überprüfung des Mindestlohns in Polen oder anderem zu verschwenden.

Grégory Legroux: War seit der Gründung der Plattformen Eufactcheck.eu und EuCheck.fr bei einigen Artikel eine höhere Medienresonanz als bei anderen zu verzeichnen?

Eric Nahon: Dies ist schwer zu beurteilen, denn derzeit befinden wir uns mittendrin. Im Dezember haben wir einen Testlauf mit EuCheck France gestartet. Es gibt Themen, die eine höhere Resonanz hatten als andere. Ein Beispiel: die englische Version der Faktenüberprüfung von Damien Rieu. Rieu überprüfte Aussagen um den Marrakesch-Pakt und die angeblichen 480 Millionen Migranten, die das Mittelmeer überqueren. Dies ist der beliebteste Artikel auf der englischen Website Eufactcheck.

Grégory Legroux: Gibt es in einigen Ländern Themen (religiöse, politische usw.), die sensibler oder schwieriger zu behandeln sind als andere?

Eric Nahon: Natürlich.... dies spielt allerdings kaum eine Rolle, da wir Aussagen/Statements überprüfen. Hinzu kommt, dass wir alle von Universitäten oder anerkannten Journalistenschulen kommen und einen sogenannten Kult der Unabhängigkeit pflegen. Außerdem war für alle Journalistenschulen und Partnergruppen klar, dass wir nicht von Google oder Facebook finanziert werden wollen würden. Also wurden vor zwei Jahren, als Fact-Checking noch kein großes Thema war, bei der Europäischen Kommission Subventionen beantragt. Wir haben mit wenig Ressourcen begonnen. Es war eine völlig unabhängige Stiftung, die die Erstellung der Webseite unterstützte. All diese Informationen sind auf der Plattform Eufactcheck.eu zu finden.

Grégory Legroux: Aber ist es zum Beispiel russischen Student*innen überhaupt möglich einen Faktencheck bei einer Aussauge eines russischen Regierungsmitglieds durchzuführen?

Eric Nahon: Etwas weniger... aber sie sind letztlich ziemlich frei. Solange sie die Methode anwenden, die wir gemeinsam entwickelt haben, ist das für uns in Ordnung. Bisher gab es kein Problem. Zu diesem Thema werden wir eine große Besprechung auf dem Weltkongress der Journalismusschulen, dem WJEC, haben, den wir in der Woche des 8. Juli 2019 in Paris veranstalten.

Grégory Legroux: Bezüglich EuCheck France: welche Themen werden von Ihren Student*innen am häufigsten behandelt?

Eric Nahon: Das Ausgangsprinzip war: die Überprüfung von wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Informationen im Zusammenhang mit den Europawahlen. Deshalb haben wir Arbeitsgruppen nach dem Modell der Hackathons eingerichtet, allerdings in verlängerter Form. Während zwei intensiver Wochen haben unsere Student*innen genau dies getan. Wir haben mit wissenschaftlichen Student*innen des Masterstudiengangs Engineering and Environmental Management (IGE) der MINES (renommierte Grande Ecole/Universität für Ingenieur*innen) und anderen des Masterstudiengangs Public Affairs der Dauphines ( Universität in Paris) zusammengearbeitet. So haben wir zum Beispiel viele Themen rund um Glyphosat und hormonelle Disruptoren behandelt. Die Grundidee: wissenschaftliche Konsequenzen und wirtschaftliche Informationen herausarbeiten.

Grégory Legroux: Wie wählen Sie Themen aus und wie lange dauert es, Informationen vor der Veröffentlichung zu überprüfen?

Eric Nahon: Wir geben die Themenstellung vor und dann haben die Student*innen eine Recherchezeit, um die Themen und Aussagen ausfindig zu machen. Genehmigungen werden dann von unserem Pädagogischen Komitee ausgegeben. Was die Verifizierung betrifft, so dauert es einige Zeit..... Ich kann nicht sagen, wie lange genau. Es gibt Informationen, die sehr schnell überprüft werden können und dann auch immer wieder Personen, die schwer zu erreichen sind. In unserer Methode brauchen wir im Rahmen der Verifizierung mindestens zwei Experten. Daher ist es notwendig zu wissen, wie man die Richtigen ausfindig macht. Wenn außerdem Experte A eine Sache sagt und Experte B eine andere, dann muss ein dritter Experte konsultiert werden. Die Idee war, dass jede Gruppe vier Zitate überprüfen sollte. Es gab also vier Faktenkontrollen und vier Perspektiven der Fakten, die es binnen zwei Wochen zu überprüfen galt.

Grégory Legroux: In Anbetracht des neuen Ansatzes von CheckNews, ist es nicht eine Einschränkung selbst ein Thema auszusuchen, gerade im Zusammenhang mit der Einbindung der von der Öffentlichkeit gewünschten Themen?

Eric Nahon: Auf der Website Eufactcheck.eu ist es möglich, eine Faktenprüfung vorzuschlagen. Wir verfolgen allerdings eher den Ansatz journalistischer Recherche. Die Ausbildung von Journalisten ist unser zentrales Anliegen. Wir sind alle Journalisten oder ehemalige Journalisten. Für uns ist die Lehre für Journalisten vorrangig, obwohl ich die Einbindung von der Öffentlichkeit gewünschter Themen für eine sehr gute Sache halte.

Grégory Legroux: Ihre Artikel sind nicht allgemein verfügbar. Ist Ihr vorrangiges Ziel, Ihren Schülern die Methodik des Fact-Checkings beizubringen oder der breiten Masse ein Hilfsutensil bereitzustellen?

Eric Nahon: Ja, der Zugang zu unseren Artikeln ist begrenzt und wir halten daran fest. Wir betreiben angewandte Forschung. Ziel ist es, nicht die für die Website zu werben, sondern für die Methodik. Wenn man von Grund auf etwas Neues ins Leben ruft, stellt sich die Frage, ob man Beiträge sponsern lässt, um ein größeres Publikum zu erreichen, oder ob man Konferenzen besucht, um die Methodik zu verbreiten. Wir haben uns entschieden, die Methodik vorzustellen. Derzeit wird eine Pressemitteilung vorbereitet, um möglichst vielen Redaktionen und Schulen/Universitäten zu erklären, was genau wir tun.

Grégory Legroux: Können Journalisten grundsätzlich alle Themen behandeln, so technisch sie auch sein mögen, oder sollten sie sich nicht manchmal auf echte Fachleute in dem jeweiligen Fachgebiet verlassen?

Eric Nahon: Dies ist ein heikles Thema. Der Journalist ist im Wesentlichen kein Experte. Als Journalisten können wir nach einer Weile uns in ein Thema eingearbeitet haben, aber wenn wir das Beispiel der AFP (Französische Presseagentur) nehmen, wechselt man dort alle fünf Jahre die Abteilung..... Ich zum Beispiel beschäftige mich seit sehr langer Zeit mit Musikjournalismus. Mein Kredo war immer, wenn ich Künstler*innen und ihre Karriere zu gut kannte, mich ein oder zwei Jahre nicht mehr mit ihnen zu beschäftigen. Mein Ziel ist es, für die breite Öffentlichkeit zu schreiben. Sobald ich anfange, komplexe Begriffe und Fachjargon zu verwenden, funktioniert dies nicht. Wir brauchen Akademiker*innen, wir brauchen Expert*innen, aber Journalist*innen müssen in der Lage sein, einen komplexen Gedanken zu erfassen und ihn auf einfache, aber nicht vereinfachte Weise zu reproduzieren. Ich sage meinen Student*innen oft, dass Journalist*innen ihr Publikum oder ihre Zuschauer*innen lieben müssen. Wenn jemand sein Publikum liebt, wird diese Person auf einfache Weise versuchen, Dinge zu reproduzieren, aber natürlich ohne Vereinfachung und ohne die Leserschaft für dumm zu verkaufen.

Grégory Legroux: Sollte Fact-Checking auf kurz oder lang an Journalismusschulen gelehrt werden?

Eric Nahon: Fact-Checking entspringt der Notwendigkeit, zu überprüfen, was in sozialen Netzwerken oder in politischen Sendungen gesagt wird. Dies ist eine klassische Fähigkeit, die alle Journalismusstudent*innen haben muss. So ist es beispielsweise zwei Jahre her, dass wir einen Kurs zur Überprüfung von Fakten eingerichtet haben. Die EJTA-Methodik wurde getestet und im nächsten Jahr wird dieser Kurs, der zuvor wahlweise gewählt werden konnte, zu einem Kurs für alle Masterstudent*innen werden. Also ja, es ist eine Fähigkeit, die es in die Schulen zu integrieren gilt. Ebenso waren in den 2000er Jahren Internetkompetenzen wahlweise zu erlangen, während es heute eine Querschnittskompetenz ist.

Grégory Legroux: Kann Fact-Checking als Kompetenz langfristig eine tragfähige Lösung sein, um falschen Nachrichten und ihrer Ausbreitungsgeschwindigkeit entgegenzuwirken, oder wird die eigentliche Lösung in der Informationsaufklärung seitens der Journalismusschulen liegen?

Eric Nahon: Beide, mein Captain! Mehr denn je ist es heute notwendig Informationen zu überprüfen. Überprüfen und erklären, wenn Politiker*innen Halbwahrheiten verbreiten, eine Zahl manipuliert wurde. Aber es muss natürlich auch ganz grundsätzlich erklärt werden, wie man mit Informationen umgeht. Jahrelang las man im familiären Kreis Zeitung. Man sprach gemeinsam über aktuelle Ereignisse. Als der Fernseher ankam, gab es um 20 Uhr eine Art heilige Messe (das französischen Abendjournal „le 20 heures“). Heute sind junge Menschen Informationen ganz ohne Filter, ohne Austausch ausgesetzt. Es besteht daher großer Bedarf an Medienbildung, sowohl für neue als auch für alte Medien. Auch in der Medienpädagogik besteht großer Bedarf an Kursen zur Bildsymbolik (französisch: sémiologie de l‘image). Zu wissen, was ein Bild bedeutet, was eine Kameraeinstellung symbolisiert, aussagt.

Grégory Legroux: Abschließend, wie sehen Sie die Zukunft Ihrer beiden Webplattformen nach den Europawahlen im Mai?

Eric Nahon: Der EuCheck-Webseite ist bereits geschlossen und die EuFactCheck-Gruppe wird Ende Mai, nach den Europawahlen, ihre Arbeit beenden. Für uns besteht die Herausforderung nicht darin, diese Seite fortzusetzen, sondern weiterhin Fact-Checking zu vermitteln. Diese beiden Seiten sind eine Möglichkeit, uns zu zeigen, dass das, was wir theorisiert haben, tatsächlich funktioniert. Die Seite ist der Beweis für die Funktionsfähigkeit unserer Methodik. Ich kann Ihnen sagen, dass es nicht nur in der Journalismusausbildung Früchte trägt, sondern auch von nicht-journalistischen Student*innen angewandt wird! Wenn man unseren Entscheidungsbäumen Schritt für Schritt folgt, kann jeder Fakten überprüfen. Dies ist Ziel unseres Projekts.

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