Alles eine Frage der Perspektive
Geschichte ist nicht nur eine Frage der bloßen Fakten. Es ist vielmehr eine Frage der Interpretation. So wie Geschichte schon immer und auch heute noch an europäischen Schulen und darüber hinaus in der Gesellschaft gelehrt und dargestellt wird, wird sie maßgeblich von gesellschaftlich konstruierten Vorstellungen geprägt. Weltbilder sind tief prägende Konzepte, die sich auch in der Geschichtslehre niederschlagen.
Die jüngsten Ereignisse, wie die Ermordung von George Floyd in den USA, haben gezeigt, dass viele Nationen des sogenannten “Westens” zum Beispiel die von ihnen begangenen Schreckenstaten während der Kolonialisierung noch nicht ausreichend aufgearbeitet haben. Viel eher dominieren rosarote Held*innenerzählungen von nationaler Größe und Macht. Die Realität der oftmals kriminellen und tödlichen Ausbeutung ethnischer Gruppen wird negiert. Jetzt, wo viele Statuen von Sklav*innenhändler*innen anfangen zu Bröckeln, gibt es Hoffnung auf ein neues, vielleicht ehrlicheres, Verständnis der Kolonialgeschichte.
Nicht nur rassistische Geschichte, auch antifeministische Geschichte muss neu gedacht werden
Doch so wie der Widerwille, die eigene Kolonialgeschichte aufzuarbeiten, mit dem hartnäckigen Glauben an die Überlegenheit einiger Nationen und Gruppen gegenüber anderen verbunden ist, so kann die mangelnde Repräsentation von Frauen in der Geschichte durch bis heute anhaltende patriarchalischen Strukturen im Europa des 21. Jahrhunderts erklärt werden.
In einer Zeit, in der wir (unter-)bewusst noch immer von Bildern der männlichen Führung, Wissenschaft, Technologie und Management geprägt sind, ist es wohl auch deutlich einfacher, männliche Ikonen der Geschichte ausfindig zu machen und an sie zu erinnern. Für viele passen männliche Bilder noch immer besser zur Vorstellung von Leistung und Innovation. Dementsprechend wird die weibliche Geschichte unseres Kontinents oft unterschätzt. Obgleich sie ebenso bedeutsam wie ihre männlichen Kollegen sind, werden weibliche Wegbereiterinnen häufiger vergessen. So bleiben sie oft unentdeckt, trotz ihrer oftmals unglaublichen Taten und erstaunlichen Werken.
Ein Projekt, das weiblichen Persönlichkeiten Aufmerksamkeit schenkt
Das Redaktionsteam von The New Federalist ist stolz darauf, feministisch zu sein. Mit der Organisation dieses Projekts soll vielen Frauen und ihre vielen Errungenschaften und Beiträgen zur europäischen Geschichte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Manch eine von ihnen ist auch heute noch aktiv. Damit soll die mangelnde Präsenz von Frauen in unserem kollektiven Gedächtnis der Geschichte anerkannt werden, hierzu gehört auch die zeitgenössische Geschichte. Die kurzen Artikel sollen die Barrieren aufzeigen, mit denen die von uns ausgewählten Frauen konfrontiert waren, als sie versuchten, sich Gehör zu verschaffen. Dies ist wichtig, da viele dieser Barrieren auch heute noch existieren: In der Form von Vorurteilen, Stereotypen, Unterrepräsentation, sexualisiertem Missbrauch und Gewalt. Das Projekt heißt „European HerStory“, da es für ein Geschichtsverständnis steht, das für Fortschritte auf dem Weg zur Gleichstellung der Geschlechter in der heutigen Gesellschaft entscheidend ist. Denn um den Weg der Gleichstellung zu beschreiten, braucht es inklusive Geschichte(n). Es braucht eben auch ihre Geschichten (“HerStories”).
Die Idee für das Projekt stammt von Rafael Silva, einem der Social-Media-Autor*innen von The New Federalist. Rafael Silva hat für das Projekt ein Brainstorming mit Mitgliedern des Redaktionsteams, die aus vielen verschiedenen Teilen Europas stammen, organisiert. So wurden viele potenzielle Persönlichkeiten aus ihren oder anderen Ländern vorgeschlagen. Anschließend wurde eine anonyme Umfrage durchgeführt, bei der jedes Teammitglied zwei Stimmen abgab, um die Frauen auszuwählen, die Teil des Projekts sein sollten. Das Ergebnis war ein breites historisches Spektrum von Frauen aus verschiedenen Fachgebieten, mit den unterschiedlichsten Hintergründen, Nationalitäten, sexuellen Orientierungen: Einige von ihnen kämpften für das Recht der Frauen auf politische Partizipation, andere prägen die zeitgenössische europäische Politik bis heute. Gelernt haben alle etwas, die an diesem Projekt mitgewirkt haben.
Disclaimer: Dieser Artikel stellt die persönliche Meinung des*r Autor*in dar und spiegelt nicht die Ansichten der Redaktion von treffpunkteuropa.de wider.
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