Flüchtlingsverteilung in Europa: Ein gescheitertes Projekt?

, von  James Crisp | EurActiv.com | Übersetzt von Jule Zenker

Flüchtlingsverteilung in Europa: Ein gescheitertes Projekt?
Ein Flüchtlingslager in der griechischen Hauptstadt Athen. © International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies / Flickr/ CC BY-NC-ND 2.0-Lizenz

Die EU wird ihr Versprechen womöglich nicht halten können, bis September 2017 160.000 Flüchtlinge umzusiedeln. Laut aktuellen Zahlen wurden bisher nur 5.651 Asylbewerber auf andere EU-Länder verteilt. EurActiv Brüssel berichtet.

Die Umverteilung von Flüchtlingen in der EU verläuft schleppend

Eigentlich sollte der EU-weite Verteilschlüssel Länder wie Italien oder Griechenland in der Flüchtlingskrise entlasten. Die Ergebnisse lassen jedoch stark zu wünschen übrig. Um das selbstgesteckte Ziel noch zu erreichen, müssten die restlichen EU-Länder bis September 2017 noch 154.349 zusätzliche Asylsuchende aufnehmen.

Die aktuelle Flüchtlingskrise in Europa hat Ausmaße angenommen, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat. Vor allem Italien und Griechenland haben die volle Wucht der Migrationsbewegungen zu spüren bekommen. Aus Griechenland wurden bisher 4.455 Flüchtlinge umgesiedelt, aus Italien 1.196.

Die Krise hat eine tiefe Kluft zwischen den EU-Ländern offenbart. Im passfreien Schengen-Raum wurden teilweise wieder Grenzkontrollen eingeführt, um die Weiterreise der Asylsuchenden nach Deutschland oder in andere Länder zu stoppen.

„Wir können den Asylprozess und die Migration in Europa nur dann wirksam koordinieren und den Schengen-Raum aufrecht erhalten, wenn wir solidarisch und verantwortungsbewusst zusammenarbeiten“, betonte der Erste Vizekommissionspräsident Frans Timmermans.

Dass dies nicht immer der Fall ist, zeigt das im Oktober geplante Referendum Ungarns. Dort werden die Bürger über die EU-Flüchtlingsquoten abstimmen, denen zufolge die Neuankömmlinge unter den Mitgliedsstaaten aufgeteilt werden sollen. Großbritannien machte bereits Gebrauch von seiner Rücktrittsklausel in der EU-Asylpolitik und trägt daher nicht zur Flüchtlingsverteilung bei.

In dieser Woche verkündete die EU-Kommission, die Mitgliedsstaaten hätten diesen Monat 1.200 Asylsuchende umgesiedelt. „Die verstärkten Umsiedlungsbemühungen der Mitgliedsstaaten in den letzten Monaten zeigen, dass wir den Verteilungsprozess durchaus beschleunigen können, wenn nur genug politischen Willen und Verantwortungsbewusstsein mitbringen“, betonte Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos. “Die Erfolge, die wir in den letzten Monaten mit unserem Ansatz erzielen konnten, sind entscheidend für den Ausgang in allen anderen Bereichen, auch bei der schrittweisen Wiedereinführung des Dublin-Systems oder des Schengen-Raums. Die Umverteilung muss funktionieren.“

Dem Dublin-System nach muss ein Asylantrag dort bearbeitet werden, wo der Flüchtling erstmals europäischen Boden betreten hat. Angesichts der Ausmaße der aktuellen Flüchtlingskrise wurde diese Regelung jedoch weitgehend ignoriert – zum Beispiel als Deutschland mehr als eine Million Asylbewerber aufnahm.

Im Rahmen des Notfallverteilungsprogramms werden Flüchtlinge mit guten Bleibeperspektiven von Griechenland oder Italien aus in andere Mitgliedsstaaten geschickt, die sich dann um die Asylvergabe kümmern. Diese Länder erhalten dabei finanzielle Unterstützung aus dem EU-Haushalt.

Frankreich hat die meisten Flüchtlinge aufgenommen

Frankreich hat bisher den Löwenanteil der umgesiedelten Flüchtlinge aufgenommen: 1.721 aus Griechenland und 231 aus Italien. Danach folgen die Niederlanden mit insgesamt 726 Asylsuchenden und Finnland mit 690. Österreich, Ungarn und Polen haben noch gar keine Flüchtlinge im Rahmen des Verteilschlüssels bei sich untergebracht, seit die Maßnahme dieses Jahr auf Anweisung der EU-Spitzenpolitiker im Rat eingeführt wurde.

Am Mittwoch veröffentlichte die EU-Kommission aktuelle Statistiken über die Fortschritte des europäischen Neuansiedlungsprogramms, das der Rat im Juli 2015 bewilligte. Dieses Programm sieht vor, Asylsuchende aus Flüchtlingslagern außerhalb der EU, zum Beispiel aus dem Libanon oder der Türkei, in EU-Länder umzusiedeln. Über zwei Jahre hinweg sollen auf diese Weise 22.000 Menschen in der EU unterkommen.

Bisher habe man so bereits 10.695 Asylsuchende aufgenommen. Großbritannien leistete hierbei den größten Beitrag, indem es 2.200 Menschen direkt aus Flüchtlingslagern außerhalb der EU zu sich holte.

Als wichtiger Bestandteil des umstrittenen EU-Türkei-Deals richtet sich das Programm vor allem an syrische Asylsuchende in türkischen Flüchtlingslagern. Beim Abschluss des Abkommens am 18. März einigten sich Brüssel und Ankara darauf, für jeden von der Türkei zurückgenommenen illegalen Bootsflüchtling einen syrischen Asylsuchenden aus der Türkei in die EU umzusiedeln.

Befürworter des Deals meinen, man könne so die Menschen davon abhalten, die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer auf sich zu nehmen und stattdessen legale Wege der Einwanderung fördern. Kritiker entgegnen jedoch, das Abkommen bewege sich gefährlich nahe am Rande des Völkerrechts.

Kommission mahnt Mitgliedsstaaten zur Aufnahmebereitschaft

„Ich begrüße die Bemühungen der Mitgliedsstaaten bei der Verteilung und Neuansiedlung von Flüchtlingen“, so Timmermans. „Dennoch sollten diejenigen, die mehr leisten könnten, dies auch dringend tun.“

Dieser Artikel erschien zuerst bei unserem Medienpartner EurActiv.de.

Ihr Kommentar
  • Am 29. September 2016 um 09:03, von  mister-ede Als Antwort Flüchtlingsverteilung in Europa: Ein gescheitertes Projekt?

    Mir fehlt bei der Aufstellung, dass im EU-Türkei-Statement vom 18.3. auch die Einrichtung humanitärer Kontingente durch die EU und ihre Mitgliedsländer zugesagt wurde.

    Eigentlich sollten diese Kontingente kommen, wenn die Zahl der irregulären Einreisen aus der Türkei zurückgegangen ist, was mittlerweile ja der Fall ist. Aber wenn es die EU-Länder noch nicht mal schaffen, Flüchtlinge aus Griechenland in etwas größerer Zahl aufzunehmen, wie soll das dann jemals etwas mit regulären Wegen in angemessener Größenordnung von außerhalb der EU werden.

  • Am 30. September 2016 um 06:18, von  duodecim stellae Als Antwort Flüchtlingsverteilung in Europa: Ein gescheitertes Projekt?

    Mr. Ede, eben, sie haben es erfasst. Die europäischen Nationen betreiben schon seit Jahren oder sollte man sagen Jahrzehnten eine passive brutale Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen, genannt Dublin-Vereinbarung. Auch für die Bundesbürger war dies ein guter Deal, weil sie mit dem Elend nicht konfrontiert wurden und die meisten hierzulande scherten sich einen Dreck um die Schicksale dieser Leute. Dann plötzlich hat eine große Masse an Menschen beschlossen auf Dublin zu pfeifen und die Staaten an der Peripherie hatten keine Lust dieses Abkommen, das sowieso zu ihren Ungunsten war, mit brutaler Gewalt gegen Flüchtlinge durchzusetzen. Plötzlich landen die Probleme der Europäischen Peripherie mitten im germanischen Speckgürtel von Euroland - Betroffenheit, Entsetzen und Mitgefühl allerorten. Am schlimmsten fand ich aber dann den deutschen moralischen Zeigefinger im Herbst 2015 gegenüber den anderen Nationen, die schlicht genauso agiert haben wie die Bundesregierung bis zu dem Moment als die Flüchtlinge schon da waren - Dublin, italienisches/ deutsches Problem. Eigentlich ein Trauerspiel. Schlimm ist das manche Leute diese Merkel’sche PR-Finte der Humanität geschluckt haben.

    Jetzt versucht man klammheimlich zur Politik der Unhumanität zurück zu kehren, aber der Türkei-Deal wird scheitern. Erdogan wäre blöd wenn er ihn umsetzt, wo doch auch die Europäische Union viele ihrer Versprechen nicht einhält und keine Anstalten macht legale Einreisewege für Flüchtlinge zu schaffen. Auch hier wiederum blocken die nationalen Regierungen und verhindern ein effektives Arbeiten der Union.

    Auch bei der internen Flüchtlingsverteilung sieht man wieder diese passive Abschottungshaltung vieler Staaten. Letztlich haben supranationale Organe wie die Kommission oder Parlament da auch keine Machtbasis irgendetwas durchzusetzen. Dazu nochmal: http://www.treffpunkteuropa.de/europa-kann-mehr-tun

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