Energiepolitik bestimmt transatlantisches Gipfeltreffen
Die Krim-Krise war gerade auf ihrem vorläufigen Höhepunkt angelangt, als US-Präsident Barack Obama Ende März zu einem lang geplanten EU-Gipfel nach Brüssel reiste. Sein Besuch war mit Spannung erwartet worden, denn nach wie vor belasteten der NSA-Skandal und die Diskussion um das geplante Freihandelsabkommen das transatlantische Bündnis. Angesichts der sich überschlagenden Ereignisse in der Ukraine treten diese Bedenken in den Hintergrund, scheint doch eine gemeinsame Reaktion des Westens gegen Putin und sein neoimperialistisches Streben von oberster Priorität.
Im Zuge des Konflikts entwickelt sich besonders die energiepolitische Situation zum Dauerthema, schließlich ist Russland einer der wichtigsten europäischen Öl- und Gaslieferanten. Deutschland bezieht zurzeit etwa jeweils ein Drittel seiner Öl- und Gasvorräte aus Russland. Andere EU-Staaten, besonders die Länder in Osteuropa und im Baltikum, sind dagegen fast vollständig von der russischen Versorgung abhängig. Schon werden Erinnerungen an das Jahr 2009 wach, als Russland der Ukraine mitten im Winter wegen nicht bezahlter Rechnungen kurzerhand das Gas abstellte. Auch in der EU kam es damals vereinzelt zu Engpässen. Im Rahmen des Gipfels riet Obama den Europäern daher, sich in Energieangelegenheiten von Russland unabhängiger zu machen.
Obamas gut gemeinter Vorschlag
Der amerikanische Präsident schlug vor, in Zukunft mehr Gas in die Europäische Union zu exportieren und heizte somit die Diskussion um mögliche Energiealternativen weiter an. Denn die Vereinigten Staaten haben bereits vor geraumer Zeit begonnen, tief unter der Erde liegende Öl- und Schiefergasvorräte mittels der umstrittenen Fracking-Technologie zu fördern. Dabei wird eine Mischung aus Wasser, Sand und Chemikalien unter hohem Druck in eine Gesteinsschicht gepresst. Diese bricht daraufhin auf und ermöglicht den Abbau des im Gestein eingeschlossenen Schiefergases. Das Verfahren hat in den USA einen regelrechten Energie-Boom ausgelöst. Experten zufolge könnte das Land schon bald zum weltgrößten Gasproduzenten aufsteigen. Der Export nach Europa hätte für den amerikanischen Bündnispartner vor allem einen großen Vorteil: durch den sinkenden Gaspreis hätten die osteuropäischen Länder in ihren Verhandlungen mit Russland eine bessere politische Ausgangsposition.
Die Umsetzung ist problematisch
Um das mittels Fracking geförderte Erdgas per Schiff nach Europa transportieren zu können, muss es anschließend verflüssigt werden. Auf europäischem Boden angekommen wird das sogenannte Liquid Natural Gas (LNG) wieder in den gasförmigen Zustand versetzt, damit es in die Leitungen eingespeist werden kann. In Europa sind solche Flüssiggasterminals allerdings Mangelware. So wurde beispielsweise der Bau eines in Wilhelmshaven geplanten Terminals bisher mit der Begründung abgelehnt, ein solcher Hafen sei langfristig nicht wirtschaftlich genug. Eine schnelle Lösung der Energieproblematik ist sowieso nicht zu erwarten, denn nach einer Analyse des Wirtschaftsforschungsinstituts IHS könnte das amerikanische Gas frühestens 2015/2016 exportiert werden.
Widerstand von allen Seiten
Abgesehen von der problematischen Umsetzung ist das Fracking-Verfahren an sich unter Umweltschützern höchst umstritten. Kritiker warnen eindringlich vor einer möglichen Verseuchung des Trinkwassers, da einige der verwendeten Chemikalien giftig sind. Zudem ist bisher unklar, wie das bei der Förderung anfallende Abwasser entsorgt werden soll. Dieses kann neben der Fracking-Flüssigkeit auch Schwermetalle oder radioaktive Substanzen enthalten. Auch in der amerikanischen Politik stoßen die Exportpläne vermehrt auf Widerstand. Etliche Kongressabgeordnete befürchten ein Anstieg des Gaspreises und eine damit verbundene Schwächung der US-Wirtschaft. Schließlich waren es unter anderem die billigen Energiepreise, die nach der schweren Wirtschaftskrise im Jahr 2008 halfen, die fragile amerikanische Konjunktur wieder anzukurbeln. Für die amerikanischen Schiefergas-Firmen ist ein Export nach Europa zudem lange nicht so lukrativ wie ein Export nach Asien. Da der Gaspreis dort bis zu fünfmal höher liegt, winken den Unternehmen wesentlich mehr Gewinne.
Die Suche nach Alternativen geht weiter
In einem Gastbeitrag für die „Financial Times“ fordert der polnische Premierminister Donald Tusk deshalb eine Europäische Energieunion, die sich in ihrem Aufbau an der erst vor kurzem beschlossenen Bankenunion orientieren soll. Diese würde unter anderem eine Zentrale beinhalten, die Gas für alle 28 EU-Mitgliedsstaaten einkauft, sowie einen Solidaritätsmechanismus, der bei möglichen Versorgungsengpässen aushilft. Unterstützung für diesen Plan kommt unter anderem vom britischen Energieminister Ed Davey. Tusk wirbt zudem um eine verstärkte Kohleförderung, da gerade Polen davon noch große Vorkommen besitzt. Hierfür erntete er jedoch bereits beim Warschauer Klimagipfel im letzten Jahr von Umweltschützern viel Kritik.: Kohle ist als fossiler Brennstoff sehr CO2-intensiv, zudem sind viele der polnischen Kohlekraftwerke mittlerweile veraltet.
Seit kurzem diskutieren hochrangige europäische Politiker nun darüber, das Fracking auf europäischem Boden zu erlauben. Zu den Befürwortern gehören EU-Energiekommissar Günther Oettinger, der polnische Ministerpräsident Donald Tusk sowie der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Dieser hat erst vor Kurzem mit einem geplanten Gesetzesentwurf für Furore gesorgt, der die umstrittene Gasförderung ab 2015 unter Einhaltung bestimmter Auflagen auch in Deutschland zulassen soll. Experten erachten in Anbetracht der hohen europäischen Umweltstandards eine großzügige Vergabe von Bohrlizenzen allerdings als unwahrscheinlich.
Grüner Strom als Ultima Ratio?
Eine langfristige Lösung, mit der Europa seine Energieabhängigkeit von Russland deutlich reduzieren könnte, liegt im Moment noch in weiter Ferne. Zwar würde die verstärkte Förderung von Kohle kurzzeitig die Lage entspannen, jedoch werden auch die Vorkommen dieses fossilen Brennstoffs in einigen Jahrzehnten erschöpft sein. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Erschließung neuer Ökostromreserven an Bedeutung. Der Anteil erneuerbarer Energien liegt in Europa zurzeit bei 13 Prozent, soll bis 2020 aber auf 20 Prozent steigen. Diese Zielvorgabe der EU-Kommission würde die energiepolitische Abhängigkeit von Russland zwar noch lange nicht beseitigen; sie bleibt jedoch nutzlos, wenn die wenigsten EU-Staaten den Ökostromausbau tatsächlich mittragen wollen. Während Deutschland verstärkt auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien setzt, wollen Frankreich und Polen ihre energiepolitische Zukunft mit einem Mix aus Kohle und Atomenergie gestalten. Das Erreichen einer vollständigen Energieunabhängigkeit Europas bleibt also eine Aufgabe, die die europäische Politik noch lange beschäftigen wird.
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