Jüchen, Sommer 2017: Es ist Dienstagabend und damit ist Fußballtraining von der damaligen dritten Mannschaft des SV Bedburdyck Gierath angesagt. Beim Training wird mein jetziger guter Freund, nennen wir Ihn „Coulibaly“ vorgestellt, der zukünftig Spieler unserer Mannschaft sein wird. Ich erinnere mich genau daran, wie wir während der Sommervorbereitung auf die neue Saison immer mehr Kontakt hatten und uns kennenlernten. Nach nur wenigen Trainingseinheiten war es dem Trainer unmöglich, unsere Rangeleien oder Späße während des Trainings oder bei der Spielvorbereitung zu unterbrechen. Dies war mein erster persönlicher Kontakt zu einem Geflüchteten.
Fehlendes Interesse an der italienischen Grenze
Die sogenannte Flüchtlingskrise verfolge ich viel in den Tageszeitungen und sehe die täglichen Nachrichten im Fernsehen. Wieder einmal geht ein Boot mit Geflüchteten vor der italienischen Grenze unter und konnte nicht gerettet werden, weil sich scheinbar niemand für diese Menschen verantwortlich fühlt.
Mein Freund kommt aus Mali, ist 22 Jahre jung. In Mali hat er noch einen Großteil seiner Familie. Die andauernden Bürgerkriege vor Ort erschwerten ihm seine Bildungschancen, weshalb er gezwungen war nach Deutschland zu fliehen. Von dem Leben in Deutschland versprach er sich einen Neuanfang.
In Deutschland angekommen fand er mit der Mannschaft gute Freunde, was ihm die Anfangszeit erleichterte. Dennoch gilt es für Coulibaly unzählige Herausforderungen zu meistern.
Langatmige Asylverfahren
Obwohl er 2017 angekommen war, ist sein Asylantrag noch nicht genehmigt. Mühsam bewegt er sich von Behörde zu Behörde und von Amt zu Amt. Ein Ende der bürokratischen Tortur scheint weit entfernt: Seit drei Jahren schlägt er sich nun mit den Asylgesetzen in Deutschland rum, doch noch immer fehlt ihm der Überblick. Sein einziger Lichtblick ist eine Weiterbildung als Schweißer, der ihm eventuell zu einer Aufenthaltserlaubnis verhelfen kann. Zurzeit arbeitet er noch als Staplerfahrer in der Logistik eines Unternehmens, welches täglich eine Unmenge an Paketen zustellt. Durch seine andauernde Arbeit kann er auch nicht so leicht abgeschoben werden. Dennoch ist weiterhin unklar, ob er am Ende bleiben darf oder nicht.
Ein Kompass für Geflüchtete
Auf der Webseite des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) können sich Geflüchtete ein Heft (ein Guide zur besseren Integration in Deutschland mit dem Namen „Willkommen in Deutschland“) herunterladen und das in unterschiedlichen Sprachen. Soweit so gut – wären da nicht die vielen Seiten.
Angesichts der häufig fehlenden Sprachkenntnisse würde es sich anbieten, eine verkürzte Version des Hefts bereitzustellen, eine Art Mappe für Geflüchtete. Die Mappe beinhaltet dabei die wichtigsten Schritte und Aufgaben mit denen sich Geflüchtete auseinandersetzen müssen. Damit könnten sowohl die Behörden, als auch geflüchteten Menschen Zeit- und Frustration sparen.
Unflexible Integrationskurse
Die Integrationskurse finden meistens abends unter der Woche statt. Aufgrund seiner wechselnden Schichtarbeit kann er nicht teilnehmen, da er seinen Job nicht verlieren darf. Der Arbeitgeber ist auf Coulibaly und seine wertvolle Arbeit angewiesen und kann ihn nicht freistellen. Die beschriebene Situation trifft auf viele Geflüchtete in Deutschland zu und zeigt, dass die gegenwärtigen Integrationskurse mit den Arbeitgeber*innen abgesprochen werden müssen. Damit kann sichergestellt werden, dass Menschen wie mein Freund ihre Arbeit als auch den Integrationskurs beibehalten. Seit neuestem gibt es tatsächlich auch einen Kurs, der in Absprache mit dem Arbeitgeber stattfindet, sodass die Schichtarbeit wahrgenommen werden kann und die Kursstunden sich der Arbeitszeit flexibel beugen. Die meisten Kurse jedoch bleiben unflexibel.
Das Geschäft mit den Unterkünften für Geflüchtete
Container am Rande der Stadt. Das sind Bilder, die die meisten mit Unterkünfte für Geflüchtete verbinden. Was viele jedoch nicht wissen ist, dass arbeitende Geflüchtete hohe Mieten bezahlen, um unter diesen Umständen zu wohnen. Andere Wohnmöglichkeiten sind Geflüchteten kaum zugänglich, aufgrund ihres Aufenthaltsstatus und ihrer finanziellen Lage.
Keine Spur von Identität
Viele Geflüchtete haben negative Erfahrungen damit gemacht, ihre Identität preiszugeben. Sie haben Angst davor, abgeschoben zu werden, sodass sich einige dazu entscheiden, nichts über sich zu erzählen. Für ein sicheres Leben und einen Job in Deutschland ist es wichtig, die eigene Identität offen zu legen, indem man seine Ausweisdokumente oder seine Geburtsurkunde beim Amt zeigt.
Was Geflüchtete in Deutschland brauchen
Was durchweg auffällt ist, dass Geflüchtete bei ihrer Einreise kaum Informationen darüber erhalten, wie man in Deutschland Fuß fassen kann, was mit unzähligen Problemen verbunden ist und gleichzeitig mit vielen Ängsten und Sorgen. Oft sind es Ehrenamtliche oder Amtsmitarbeiter oder Familien wie meiner, die ihnen in den Flüchtlingsheimen behilflich sind. Als Leser*in kann man versuchen sich vorzustellen, wie es wäre, einen ungeplanten Auslandsaufenthalt zu machen. Ich denke nicht, dass man dort sofort weiß, wo der nächste Supermarkt ist, wenn man keine Karte des Ortes hat. Dies ist aber doch gerade für einen Geflüchteten, mit eingeschränkten Rechten, wenigen Deutschkenntnissen, besonders wichtig zu wissen. Wo finde ich die wichtigsten Informationen? Wie kann ich einen Integrationskurs belegen? Und wie genau sind die Regeln und Bedingungen? Allerdings habe ich das Gefühl, dass das vermeintlich strukturierte, allwissende Deutschland sich nicht für die Situation an den Grenzen interessiert und die Bedürfnisse und Wünsche Geflüchteter vor Ort nicht ausreichend identifiziert.
Aber wo ein Wille da ein Weg, so bin ich froh, dass mein Freund einen starken Willen gezeigt hat und am Ende hierbleiben kann.
#KeinMenschistillegal
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