Die Europäische Union (EU) befindet sich in ihrer bisher schwersten Krise. Ihr Zusammenhalt schwindet, gemeinsame europäische Projekte, mit denen die Bürgerinnen und Bürger etwas anfangen können, gibt es nicht, die Akzeptanz in die europäischen Institutionen geht weiter zurück, die Sehnsucht nach einem Zurück zum Nationalstaat greift, vermittelt über rechtspopulistische Parteien, um sich. Wenn ein EU-Krisengipfel unter dem Eindruck des Brexit, der sozialen Krisen in Südeuropa und dem einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik nicht mehr zustande bringt, als den Menschen eine gemeinsame Verteidigungspolitik als Klammer einer Union vorzuschlagen, dann scheint selbst die Politik eines Durchwurstelns an ihrem Ende angekommen zu sein.
An dieser Krise trägt Deutschland, diese Bundesregierung, ein hohes Maß an Verantwortung. Sie war es, die in der ersten größeren Fluchtbewegung über die Mittelmeerroute den Italienern und Spaniern, die um eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge ersuchten, Quoten strikt ablehnte. Nun erhält die Kanzlerin die Quittung für ihre Entsolidarisierung, indem die meisten EU-Länder sich nun ihrerseits weigern, Zuflucht Suchende aus Deutschland bei sich nach einem Quotenschlüssel aufzunehmen.
Entsolidarisierung hieß auch das Motto bei der Euro-Schuldenkrise. Als sich viele EU-Staaten infolge massiver Bankenrettungsprogramme verschuldeten, wurden die Krisen vor allem in den südeuropäischen Ländern durch eine autoritäre Austerity-Politik noch vertieft. Griechenland, Spanien und Portugal wurden durch die Diktate einer nicht legitimierten Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission zu Lohn-, Renten- und Sozialkürzungen gezwungen, die die Krise und damit auch die öffentlichen Schulden noch weiter verstärkten und jegliches Vertrauen in die EU zerstörten. Wenn die Hälfte der Jugendlichen in Griechenland und in Spanien arbeitslos wurde und die Verantwortung zurecht den Troika-Institutionen zuwies, dann wird damit Vertrauen in die EU zerstört.
Die Bundesregierung trägt als wirtschaftlich stärkstes Land die Hauptverantwortung für diese Politik. Wenn selbst der IWF kritisiert, man habe es mit den strengen Kürzungsdiktaten übertrieben und zur Lösung der Schuldenprobleme noch mehr Öl ins Feuer gegossen, sollte zur Einsicht gelangen, dass die bisherige Politik grundfalsch und kontraproduktiv war. Statt radikaler Schrumpfkuren auf dem Rücken der Mehrheit der Bevölkerung in diesen Ländern, vor allem in Griechenland, muss endlich auf den Aufbau statt Abbau, auf Wachstum gesetzt werden. Südeuropa benötigt einen Marshall-Plan, um öffentliche Investitionen zu fördern, aus denen Wachstum, mehr Beschäftigung und auch wieder mehr Steuereinnahmen entstehen, aus denen die Schulden bedient werden können.
Ein Europa hat nur eine Zukunft, wenn die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger es akzeptiert. Dafür braucht es einen Neustart, einen grundlegenden Politikwechsel, damit die EU sozialer und gerechter wird. Dazu zählen vereinbarte Mindeststandards bei den Steuern – von den Verbrauchs-, Einkommens- bis zu den Vermögens- und Unternehmenssteuern, gesetzliche, existenzsichernde Mindestlöhne, ebenso Mindestsozialstandards gegen die Lebensrisiken im Alter, bei der Gesundheit, der Pflege und bei Arbeitslosigkeit. Eine Europäische Union braucht transparente Strukturen und weniger Bürokratie und entscheidend mehr Demokratie. Elemente der direkten Demokratie wie Volksbegehren und Volksentscheide gehören ebenso dazu wie ein europäisches Parlament mit vollständigen Legislativfunktionen und einer zweiten Kammer mit den Landesvertretungen, ähnlich dem föderativen System in Deutschland und vielen anderen Mitgliedsländern. Wir müssen uns über künftige Zukunftsprojekte verständigen, angefangen bei der ökologischen Nachhaltigkeit über eine digitale Vernetzung und eine Verkehrsinfrastruktur, eine postfossile Energiewende und vieles mehr. Zur Zukunft gehören gemeinsame Bildungsstandards und die gegenseitige Anerkennung von Schul- und Berufsabschlüssen. Schließlich müsste sich ein Europa auf eine gemeinsame dem Frieden verpflichtete Außen- und Entwicklungspolitik verständigen, von der wir gegenwärtig weit entfernt sind. Mindestens vier Gründe gibt es für ein integriertes Europa. Es hat eine gemeinsame Zukunft, wenn es die jungen Generationen dafür begeistert und ihr Perspektiven bietet.
Nur ein Europa, das seine Ressourcen bündelt, kann gegen die künftige Wirtschaftsmacht China und die USA bestehen und konkurrenzfähig bleiben. Europa hat nur eine Stimme von Gewicht in den internationalen Beziehungen, bei der Lösung und Beilegung von regionalen Konflikten, wenn es einheitlich agiert und seine Beziehungen zu Russland, bei allen bestehenden gegenwärtigen Problemen und Schwierigkeiten, ausbaut, denn Europa hat nur mit, nicht ohne und schon gar nicht gegen Russland eine sichere Zukunft.
Und all diejenigen, die einem Brexit folgen und mit einem Austritt aus der EU liebäugeln, sollten sich vergegenwärtigen, dass es zwischen den Mitgliedsländern der Europäischen Union keine Kriege mehr gegeben hat, die vorher die europäische Geschichte dominierten. Schon allein deshalb dürfen wir die EU nicht kaputt gehen lassen.
1. Am 17. November 2016 um 16:16, von duodecim stellae Als Antwort Gastbeitrag von Gregor Gysi: Die Krise der EU
Sehr gut! Jetzt die Nationalpopulisten, Wagenknecht und Lafontaine entsorgen und Gysi an die Spitze der Linkspartei! Dann steht R2G nichts mehr im Weg unter Bundeskanzler Martin Schulz!
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