Gibt es bald neue Mitglieder in der EU? - Ein Überblick

, von  Benedikt Braun

Gibt es bald neue Mitglieder in der EU? - Ein Überblick
Wer darf bald mit am Tisch sitzen? Die Antwort lässt weiter auf sich warten. Foto: European Union/Copyright

Gerade erst ist Großbritannien aus der Europäischen Union ausgestiegen. Damit wurde eine zunehmende Europaskepsis ausgelöst, bei der die ganze Union in Frage gestellt wird. Andererseits gibt es viele Beitrittskandidaten, die in der Warteschlange stehen aufgenommen zu werden. Gerade im Balkan befinden sich mehrere Staaten, die den offiziellen Status des Beitrittskandidaten bekommen haben. Doch wie weit sind die Verhandlungen vorangeschritten? Wer ist das potenziell nächste Mitglied?

Zunächst einmal zum Ablauf eines Mitgliedsantrags. Für eine Mitgliedschaft reicht es nicht aus, einfach nur einen Antrag zu stellen. Die Europäische Union prüft jeden Kandidaten sorgfältig und hat so einige Voraussetzungen. Theoretisch hat jedes europäische Land, die Möglichkeit der EU beizutreten. Nach dem ein Land einen Antrag auf Beitritt zur EU stellt, müssen gewisse Kriterien erfüllt werden, um den Status eines offiziellen “Beitrittskandidaten” zu erhalten. Dazu gehören vor allem die sogenannten “Kopenhagener Kriterien”, die dazu dienen, keine politisch und wirtschaftlich labilen Staaten aufzunehmen. Stattdessen muss jeder Beitrittskandidat, ein politisches, wirtschaftliches und Acquis – Kriterium (die Fähigkeit, sich Verpflichtungen und Ziele der EU anzueignen) erfüllen, um Vollmitglied der Europäischen Union zu werden.

Die derzeitigen Beitrittskandidaten sind Albanien, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien und die Türkei. Trotz gleichem Status, hat jedes Land eine individuelle Situation vorzuweisen.

Albanien

Albanien hat schon seit längerer Zeit engeren Kontakt zur Europäischen Union. Schon 1992 trat ein Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU (damals noch als EG - Europäische Gemeinschaft) und Albanien in Kraft. Mit einem offiziellen Antrag am 28. April 2009, startete das Land seinen Versuch in die EU aufgenommen zu werden. Der Rat der Europäischen Union ließ gleich dreimal die Empfehlung zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen verstreichen. Bis schließlich im März 2020 beschlossen wurde, die Verhandlungen aufzunehmen. Seitdem der überarbeitete Verhandlungsrahmen im Februar 2020 bekannt wurde, ist nicht mehr viel passiert. Zumindest fehlt nach wie vor ein Rahmenabkommen, das den konkreten Plan der Gespräche bestätigt. Die schleppende Erweiterung wird vor allem der Europäischen Union angekreidet. Dieser Tage hat sich nun David Sassoli, Präsident des Europäischen Parlaments, nochmal klar für eine rasche Aufnahme der Gespräche ausgesprochen. Auch die Bevölkerung Albaniens gilt im Balkan als sehr “pro-europäisch”, wie ein Eurobarometer aus dem Juni 2020 zeigt. Gleich 93% sprachen sich für einen Beitritt in die EU zu dieser Zeit aus.

Montenegro

Montenegro ist seit 2006 unabhängig von Serbien und rechnet sich damit bessere Chancen auf eine Mitgliedschaft aus, als bei einem Verbleib in der vorherigen Staatenunion, der beiden Länder. Bereits 2008 reichte Montenegro seinen Antrag ein. Genau 2 Jahre später, bekam man den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten. Seit 2012 laufen die Gespräche der EU und Montenegro. Mittlerweile hat das Land bereits 33 Verhandlungskapitel eröffnet, von dem drei wieder geschlossen wurden. In einer 2018 veröffentlichten Strategie der EU-Erweiterung im westlichen Balkan wird die Aufnahme zur EU im Jahr 2025 als möglich, aber “sehr ambitioniert” beschrieben. Im Januar 2021 empfing Deutschlands Bundesaußenminister Heiko Maas seinen montenegrinischen Kollegen Dorde Radulovic und beschrieb Montenegro als einen Beitrittskandidat, der “eine besondere Rolle einnimmt und weiter ist als alle anderen”. Dass die Beitrittsverhandlungen während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft nicht bereits fortgeschrittener sind, liegt laut Heiko Maas, vor allem an der Corona-Pandemie und die damit verbundenen Aufgaben.

Nordmazedonien

Anfang 2004 stellte Nordmazedonien einen Antrag zur EU-Mitgliedschaft. Und ein Jahr später bekam es den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten. Doch lange Zeit wurden keine Verhandlungen aufgenommen. Das liegt vor allem am Namensstreit zwischen Griechenland und Nordmazedonien. Diese blockierten immer wieder die Verhandlungen bis man sich 2019 auf den Namen “Republik Nordmazedonien” einigen konnte. Im März 2020 gab es dann schließlich die Bestätigung zur Aufnahme von Verhandlungen. Diese wurden mittlerweile aber wieder durch ein Veto gestoppt. Der EU-Mitgliedsstaat Bulgarien hat weitere Forderungen, welche sich klar gegen die Souveränität und Selbstbestimmung Nordmazedoniens stellen und den Aufnahmeprozess erheblich verlangsamen werden. “Mazedonisch solle nur als bulgarischer Dialekt dargestellt werden, auch wird verlangt, dass Nordmazedonien erklärt, keine Gebietsansprüche zu erheben, sowie dass es keine mazedonische Minderheit in Bulgarien gebe.”

Serbien

Serbien wurde bereits 2005 eine EU-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, damals noch in der gemeinsamen Staatenunion mit Montenegro. Nach einer Suspendierung der Gespräche und der Unabhängigkeit von Montenegro, galt vor allem die Verhaftung zweier mutmaßlicher Kriegsverbrecher als Bedingung für den weiteren Verlauf. Nachdem im Mai 2011 beide Verhaftungen erledigt waren, schlug die EU-Kommission vor, Serbien den Status eines Beitrittskandidaten zu vergeben. 2012 war es schließlich soweit und Serbien wurde offizieller Beitrittskandidat. Anfang Januar 2014 wurden die Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Bis Ende 2018 hatte Serbien 18 Verhandlungskapitel eröffnet. Eng verknüpft mit der Integration Serbiens in der EU, gilt vor allem die Normalisierung der Beziehung zum Kosovo. Zuletzt äußerte sich Serbiens Außenminister Nikola Selaković im Interview mit der Süddeutschen Zeitung positiv gegenüber einem EU-Beitritt, nachdem in letzter Zeit Kritik an Serbiens Regierung aufkam. Selaković beteuerte nach wie vor “auf dem europäischen Pfad” zu sein. Doch fällt auf, dass im Unterton eine klare Kritik an den Kosovo gerichtet wird, nicht genügend zu tun, für eine Normalisierung der Beziehungen zu tun. Diese Normalisierung ist nach wie vor enorm wichtig, um einen EU-Beitritt zu realisieren.

Türkei

Die Türkei ist der aktuell älteste offizielle EU-Beitrittskandidat. Gleichzeitig aber auch am weitesten von einem realistischen Beitritt in die Union entfernt. Die politische Entwicklung der letzten Jahre nimmt immer mehr Abstand zu den Werten einer Europäischen Union. Noch im Dezember 2004 stellte der Europäische Rat fest, dass die Kopenhagener Beitrittskriterien “hinreichend erfüllt” werden, daraufhin wurden im Oktober 2005 die Beitrittsverhandlungen eröffnet. Im Falle der Türkei gibt es eine sogenannte Einbeziehungsklausel sowie Suspendierungsklausel, die zum Abbruch der Gespräche führen kann. Dazu müssen Grundwerte der Europäischen Union gebrochen werden oder Verpflichtungen einer Vollmitgliedschaft langfristig versäumt werden. Durch diverse Vorkommnisse, liegen “die Beitrittsverhandlungen derzeit faktisch auf Eis”, wie es das Auswärtige Amt Deutschlands in einem Bericht zur EU-Erweiterung mit der Türkei beschreibt. Auch der Europäische Rat spricht mittlerweile – eher zurückhaltend – von einem Angebot der EU, “an der Entwicklung einer kooperativen und für beide Seiten nutzbringenden Beziehung zur Türkei”, zu arbeiten.

Die EU-Erweiterung geht schleppend voran. Keiner der aktuellen Beitrittskandidaten steht kurz vor der Aufnahme in die Europäische Union. Bei manchen Staaten kommen gar Zweifel auf, wie es in Serbien im Falle der Impfstoffbeschaffung, zuletzt deutlich wurde. Die Türkei hat sich mehr oder weniger völlig verabschiedet. Die aktuelle Politik distanziert sich klar von den Werten Europas. Ein Beitritt von Albanien und Montenegro erscheint aktuell am wahrscheinlichsten. Aber auch hier fehlt eine entschlossene Haltung zur raschen Aufnahme. Das führt zu Stimmen, die sagen, die EU ist gar nicht mehr an einer Erweiterung im Balkan interessiert. Vor allem das “Open Society European Policy Institute” (OSEPI) und der unabhängige Thinktank “d|part” kommen in einer Studie zu diesem Fazit. Außerdem wird auch in einem Eurobarometer aus dem Juni 2020 deutlich, dass nicht alle Mitgliedsstaaten, einer Erweiterung positiv gegenüberstehen. Vor allem in Frankreich sinkt die Zustimmung, was auch die aktuelle Regierung für die nächsten Präsidentschaftswahlen nicht unberührt lässt.

Es wird sich auch zeigen ob die Corona-Pandemie Einfluss auf die Entscheidungen genommen hat. Das wird aber erst nach der Pandemie deutlich werden und hätte eine weitere zeitliche Verschiebung der EU-Erweiterung im Balkan zur Folge.

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