Grenzen sind die Wunden der Vergangenheit

Europaaktivist*innen feiern 70 Jahre Grenzsturm in St. Germanshof

, von  Tobias Justinger

Grenzen sind die Wunden der Vergangenheit
Gemeinsam Grenzen niederreißen auf dem Weg zu einem föderalen Europa - das haben sich die Europa-Union und die Jungen Europäischen Föderalisten zum Ziel gemacht. Foto: zur Verfügung gestellt von Andrea Meckel

Vor 70 Jahren stürmten 300 Studierende aus neun Ländern die deutsch-französische Grenze in Sankt Germanshof. Am 6. August dieses Jahres erwachte dieser Geist, Corona zum Trotz, erneut. Eine Delegation aus Luxemburg, Deutschland und Frankreich ließ den Gründungsmoment der Europäischen Union der Bürger*innen zum Leben erwecken.

Am 6. August 2020 versammelte sich eine aufgrund der Corona-Pandemie verkleinerte Delegation aus Rheinland-Pfalz, Saarland, Luxemburg und Frankreich an dem ehemaligen deutsch-französischen Grenzübergang Sankt Germanshof. Die Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland wollten zum einen gegen die kürzlichen Grenzschließungen protestieren und zugleich dem Gründungsmoment der Europäischen Bewegung, aus dem der europaweite Jugendverband hervorging, gedenken.

Der Europäische Geist durchdringt die Jugend

Siebzig Jahre vorher, am 6. August 1950, hatten sich 300 Studierende, Professor*innen und Journalist*innen aus neun Ländern auf der deutschen und französischen Seite der Grenze versammelt, um gemeinsam die neu eingerichteten Schlagbäume zu beseitigen. Sie sprachen für eine Generation, die die Schrecken des Krieges noch miterlebte und die Nachwirkungen im Alltag spürte. Eine gute Zukunft sahen sie nur in einem Vereinten Europa. Der französische Außenminister Robert Schuman hatte in seiner berühmten Rede vom 09. Mai 1950 die Schaffung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vorgeschlagen, deren Mitglieder ihre Kohle- und Stahlproduktion zusammenlegen sollten.

Doch diese Forderungen gingen den Aktivist*innen nicht weit genug. Sie verkündeten in einer Erklärung: „Nur eine Europäische Föderation kann unserem Kontinent Freiheit, Sicherheit und Wohlstand garantieren.“

Die Organisation erfolgte noch ohne Internet. Ungewissheit war in den Reihen weit verbreitet und erst als sich die drei Gruppen zeitgleich am Grenzübergang, getrennt durch die Schlagbäume, sahen, wussten sie, dass die Aktion fortgeführt werden kann. Ein Teil reiste in kleinen Bussen, getarnt als Sportvereine an, ein anderer Teil zu Fuß. Aus einer Demonstration wurde ein Schauspiel. So täuschte eine der Studentinnen einen Schwächeanfall vor, um die französische Grenzpolizei von ihren Posten zu bewegen. Gleichzeitig machte sich nun eine kleinere Gruppe an den Grenzbäumen zu schaffen. Auf deutscher Seite trafen die mit Säge bewaffneten Gruppen auf eine große Überraschung. Statt Holz fanden sie Metall vor. Unter großer gemeinsamer Anstrengung arbeiteten sie sich Zentimeter für Zentimeter durch den deutschen Stahl. Kurz darauf wurden die Grenztafeln mit den Schlagbäumen verbrannt und der sonst ruhige Ort besetzt. Für wenige Stunden lebten die 300 Aktivist*innen bereits ihren Traum vor: ein geeintes föderales Europa.



Foto: zur Verfügung gestellt von Andrea Meckel


Wie vor 70 Jahren

Dieses Jahr stürmten keine 300 Personen aus neun Ländern die ehemalige Grenze. Doch versammelte sich eine coronabedingt kleine Delegation aus drei Ländern der Großregion (Luxemburg, Elsass/Lothringen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Wallonien) am historischen Ort. Die Jungen Europäischen Föderalisten Rheinland-Pfalz, die JEF Saarland und die Verbände der Europa-Union aus Rheinland-Pfalz, Saarland und Luxemburg bereiteten eine Schlagbaumattrappe vor.

Der Aufbau der Schranke erfolgte bereits unter der Beobachtung und Mithilfe des Ehepaares Heister, welche vor 70 Jahren an dem Grenzsturm teilnahmen. Während noch auf die Delegation aus Frankreich gewartet wurde, machten sich neugierige Ortsansässige und Urlauber*innen auf den Weg zum ehemaligen Grenzübergang und schlossen sich spontan dem Ereignis an. Als die Gruppe komplett war, wurde die Schranke gesenkt. Daraufhin legte der Delegierte der JEF RLP die Säge an, während Herr Heister ihm zur Seite stand. Bei der Hälfte wechselten sie die Rolle. Die Anwesenden applaudierten und jubelten, als die zwei Generationen dieser symbolischen Grenzschließung vereint ein Ende setzten.

Ursprünglich war von Seiten der JEF und der Europa-Unionen ein großes Fest für das 70-jährige Jubiläum geplant. Aufgrund der Corona-Pandemie konnte es allerdings nicht stattfinden und wurde auf nächstes Jahr verschoben. Doch ungeduldig wie vor 70 Jahren wollten die jungen Europaaktivist*innen der JEF dies nicht akzeptieren und entschlossen sich eine Woche vorher, diesen Akt nachzustellen, um den Geist der europäischen Einigung wiederaufleben zu lassen und zu stärken.



Foto: zur Verfügung gestellt von Andrea Meckel


Der moderne Kampf gegen Grenzen

Die Landesverbände der JEF in Rheinland-Pfalz und dem Saarland wollen diesen Geist fortführen. So befinden sich beide Landesverbände zurzeit in einem juristischen Verfahren gegenüber der Bundesrepublik Deutschland. Vor dem Verwaltungsgericht Koblenz wurde gegen die Grenzschließungen aufgrund der Corona-Pandemie Klage erhoben. Ziel ist es, Grenzschließungen als politisches Mittel durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für die Zukunft auszuschließen. Das Erbe von den beherzten Aktivist*innen wie der Familie Heister soll bewahrt und der Traum eines föderalen Europas verwirklicht werden.

Um das langjährige Verfahren durchzuführen bitten die Initiator*innen um Unterstützung durch Kleinspenden. Hierzu wurde eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, die hier unterstützt werden kann.

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