House of Cards in Afrika: Kenia vor den Wahlen

Von abgehackten Händen eines Wahlleiters und der Angst vor Unruhen

, von  Tobias Gerhard Schminke

House of Cards in Afrika: Kenia vor den Wahlen
Kenias Präsident Uhuru Kenyatta auf einer Wahlkampfveranstaltung in Kakamega Flickr / Uhuru Kenyatta / Creative Commons License 2.0

Realität oder Netflix-Serie? Diese Frage stellen sich wohl derzeit viele, die die aktuellen politischen Ereignisse in Kenia verfolgen. Am 8. August 2017 wird in der ehemaligen britischen Kolonie gewählt werden. Es geht um die Neubesetzung des Parlamentes und des State Houses in Nairobi, dem Sitz des in Kenia einflussreichen Präsidenten. Und es geht auch um abgehackte Hände, Attacken auf das Haus des Vizepräsidenten und um die Frage, ob Kenias Wahldienstag ein blutiges Ende nimmt.

Wäre die Wahl in Kenia eine Netflix-Serie, so wären Präsident Uhuru Kenyatta (Partei „Jubilee“) und Oppositionsführer Raila Odinga (Wahlallianz „NASA“) wohl in den Hauptrollen. Beide stammen aus einflussreichen, politischen Familien. Herausforderer Odinga, der in den 1990ern in Kenias Gefängnissen als Oppositioneller unter Diktator Daniel Arap Moi bis zur Unfruchtbarkeit gefoltert wurde, wirft der Regierung seit Wochen die strategische Fälschung der Wahlen mithilfe des kenianischen Militärs und anderer staatlicher Organe vor. Dazu kommen steigende Lebensmittelpreise wegen der anhaltenden Dürre im Norden des Landes und eine grassierende Korruption. Die Unzufriedenen sind mobilisiert. Tausende strömen zu den Wahlkampfveranstaltungen von Raila „Baba“ Odinga.

Doch auch der Amtsinhaber kann regelmäßig Bilder von jubelnden Menschenmassen veröffentlichen. Kenyatta kann infrastrukturelle Verbesserungen, eine wachsende Wirtschaft und Erfolge im Kampf gegen die Al Shabaab-Miliz in Somalia verbuchen.

Ein attackierter Vizepräsident: Eine Inszenierung?

Die Wahl erhielt zuletzt House-of-Cards-Charakter, als am vergangenen Wochenende das Haus des Vizepräsidenten William Ruto von einem Unbekannten angegriffen wurde. Unter großer medialer Beachtung wurde die Residenz achtzehn Stunden von Militär und Polizei unter Beschuss genommen. Der Angreifer wurde schließlich erschossen. Er war mit einer Machete bewaffnet und soll ein Schuhverkäufer aus der Nachbarschaft gewesen sein. Nun melden sich Skeptiker zu Wort. Wie kann es sein, dass die Sicherheitskräfte es über Stunden nicht schafften, den ohne Schusswaffe angreifenden Attentäter in einem zuvor evakuierten Haus dingfest zu machen? Warum fielen überhaupt Schüsse? Es steht der Vorwurf der medialen Inszenierung durch die Regierung im Raum.

Ein gefolterter Wahlleiter: Der Schlüssel zur Wahlfälschung?

Ein weiteres Ereignis des vergangenen Wochenendes dürfte ebenfalls von großer politischer Sprengkraft sein. Der stellvertretende Vorsitzende der unabhängigen Wahlkommission in Kenia Christopher Chege Musando wurde zunächst vermisst gemeldet und dann mit tiefen Schnittwunden tot aufgefunden. Neben ihm lag eine bislang unbekannte Frau. Der Vorsitzende der Wahlkommission Wafula Chebukati zeigt sich daraufhin entsetzt und bat die Regierung um Polizeischutz: „Es gibt keinen Zweifel daran, dass Chris Musando vor seinem Tode gefoltert wurde. Wir verlangen zu wissen, wer es getan hat und warum.“ Die Zeitung The Star meldete, dass Musando eine Hand abgeschnitten worden sei. Unbestätigten Angaben zufolge kann man mithilfe der Fingerabdrücke des Opfers die biometrisch gesicherten Wahlsysteme hacken. Musando war einer der wenigen Mitwisser über die Funktionsweise der IT-Geräte der Wahlbehörde. Es ist unklar, ob er unter Folter über die Funktionsweise der Wahlsysteme Auskunft erteilt hat.

Die Debatten auf Twitter und Facebook werden nun vielfach von Fakenews, Entsetzen und Hasskommentaren dominiert.

„Damit Raila [Odinga] Präsident werden kann, müssen ein paar Leute sterben… George Alandwa. Es ist offensichtlich heute, dass diese mysteriösen Tode einen Ursprung haben.“ [For Raila to be president a few people must die… George Alandwa. It’s all obvious nowadays these mysterious deaths have an origin.“], Zeddy Maina am 30. Juli auf Facebook

Großbritannien bot gestern Hilfe bei der Aufklärung der Tat an.

Ein Kampf der Ethnien über begrenzte Ressourcen

In Kenia ist eine Wahl nicht einfach nur ein demokratischer Entscheidungsprozess, sondern der Schiedsspruch darüber, welche Ethnie im Land politisch die Oberhand hat und wessen Vertreter die Macht über entscheidende Ressorts und damit Ressourcen erhält. Das in ökonomischer Sicht ostafrikanische Powerhouse ist ein multiethnischer Staat. Traditionell rivalisieren die beiden politisch einflussreichsten Stämme Kikuyu und Luo um die Macht im Präsidentenhaus. Bisher unterlagen stets die Kandidaten der Luo. Offiziell ist die Partei „Jubilee“ von Präsident Kenyatta, selbst Kikuyu und Sohn des ersten Präsidenten des postkolonialen Kenias, nicht mit den Kikuyu affiliiert. Besonders zu Anfang des Wahlkampfes gab man sich betont multiethnisch. De facto wählen aber laut dem Meinungsforschungsinstitut Ipsos über 85 Prozent in den durch Kikuyu dominierten Wahlkreisen Jubilee und Kenyatta. Ähnliche Zustimmungswerte werden dem Luo Raila Odinga und seiner Wahlallianz NASA in Gebieten der Luo vorausgesagt.

„Und ja… ich bin Teil eines Stammes, ich bin ein Kikuyu. Und ich bin stolz darauf… Was ist daran so schlimm, wenn ich entlang ethnischer Grenzen wähle?“ [And yeah... I have a tribe am a kikuyu.. And proud of it.. So what if am voting along tribal lines?“]“ – Peter Ndung’u am 26. Juli 2017 auf Facebook

Zuletzt geht es wohl auch um Stolz, dass der Kandidat der eigenen Gruppierung, des eigenen Stammes gewinnt. Triumph, in einem Land, wo viele nur wenig Materielles besitzen, wenig Vorzeigbares – vor allem die vielen Jungen. Ein Präsident der eigenen Ethnie ist etwas Vorzeigbares, ein Triumph: Man kann sagen, man ist Teil von etwas ganz Großem. Jungwähler lassen sich dafür schnell mobilisieren. Anne Gathoni schreibt dazu am 31. Juli 2017 auf Facebook:

„Ich weine um mein Land Kenia, Gott. Wir sind alle Kenianer. Raila [Odinga] und Uhuru [Kenyatta] gehören zu gleichen politischen Klasse. Sie haben Geld. Aber wir hier [in den Kommentaren auf Facebook] beleidigen einander. Ihretwegen.“ [Weeping form my country God. We are all Kenyans raila and uhuru belong to the same class they got money but we are here abusing each other coz of them.”

Die Europäische Union als Wahlbeobachter

Joseph Owuoth, Sprecher des Militärs, gab vorgestern bekannt, dass die als Beweis für die angeblich durch die Regierung geplante Wahlfälschung zuletzt geleakten Dokumente zur Operation „Dumisha Utulivu“ authentisch seien. Militärführung und Regierung sprechen nun von einem aus dem Kontext gerissenen Textfragment. Die Vorwürfe seien haltlos. Tatsächlich werden Wahlkampf und Wahl von zahlreichen Wahlbeobachtern inspiziert werden. Die Europäische Union stellt bereits seit dem 27. Juni in dreizehn Orten insgesamt dreißig Wahlbeobachter, die bis zum Wahltag im Land bleiben werden. Am Ende des Wahlkampfs und am Wahltag selbst werden zusätzlich sieben Mitglieder des Europäischen Parlaments und zweiunddreißig zusätzliche Kurzzeit-Wahlbeobachter aus Europa nach Kenia reisen. Die dortigen Behörden hatte die Wahlbeobachter selbst eingeladen.

Die Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Erhält keiner der Kandidaten wie in den Umfragen vorhergesagt mehr als 50 Prozent der Stimmen, wäre eine Stichwahl vonnöten. Es wäre erste Mal in der Geschichte des Landes, welches 1963 blutig die Unabhängigkeit von Großbritannien erkämpfte.

2007: Ethnische Nachwahlunruhen mit Tausenden Toten

Bei der aktuellen Gemengelage besteht nach Einschätzung der EU-Wahlbeobachter die Gefahr von einem zweiten 2007. Damals wurden bei Nachwahlunruhen über zwei Monate hinweg zwischen 800 und 1.500 Menschen getötet. 180.000 bis 600.000 Menschen wurden vertrieben und befinden sich in Teilen bis heute in Camps für Inlandsflüchtlinge. Präsident Kenyatta und Herausforderer Odinga betonen heute deshalb nicht nur in Ihren Wahlslogans bewusst die Einheit des Landes. Dennoch ist die Anspannung nach knapp einem Jahr hitzigen Wahlkampfes groß. Es steht die Befürchtung im Raum, dass es abermals entlang ethnischer Grenzen zur politischen Grabenkämpfen und Gewalt kommen könnte. Viele in Kenia glauben, dass die Kikuyu seit jeher politisch durch ihre Regentschaft in Nairobi bevorzugt wurde.

“Die Luhya [dominierender Stamm in Westkenia] sollten alle Kikuyus aus Luyaland vertreiben, wenn es sie gibt. Luhyaleben zählen. [“luhya should drive all kikuyus from luyaland if their is any. Luhya lives matter.”], Kiilu Sam auf Facebook am 30. Juli 2017

Sollte es zu Unruhen nach der Wahl kommen, könnte dies das Image des Urlaubslandes Kenia nachhaltig schädigen. Schon in den Folgejahren der ersten Unruhen 2008 hatte die vom Tourismus stark abhängige Wirtschaft gelitten. Das Land war politisch gelähmt. Die Zahl der Vertriebenen belasten bis heute Sicherheit und den sozialen Zusammenhalt im Land. Ein Anschwellen der Flüchtlingszahl würde das Land weiter destabilisieren. Zuletzt wäre der Zusammenhalt der insgesamt mehr als vierzig Stämme als „Kenya ni kwetu“ („Kenia ist unser“) - die Einheit Kenias - gefährdet.

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