„Ich fühle mich intellektuell voll ausgelastet“ - Im Gespräch mit einem Tischlerlehrling

, von  Louis Friedrich

„Ich fühle mich intellektuell voll ausgelastet“ - Im Gespräch mit einem Tischlerlehrling
Bild: Louis F. für treffpunkteuropa.de

Mit ca. einer halben Million Studienanfänger*innen jedes Jahr an deutschen Hochschulen ist der akademische Ausbildungsweg beliebt wie nie. Kein Wunder, denn ein Studium gilt bei vielen Schulabgänger*innen als der angesehenste und sicherste Weg zu einem gut bezahlten Job und das „Studierendenleben“ wird medial zu einem romantischen Mythos verklärt. Auf der anderen Seite sind die Abbrecherquoten mit über 30 % konstant hoch und viele Studierende merken erst, dass ihnen ihr Studium wenig Spaß macht, nachdem sie schon einige Semester in überfüllten Hörsälen verbracht haben und angesichts steigender Miet- und Bierpreise ins Schwitzen gekommen sind.

Auszubildende in Handwerksberufen verdienen nicht nur während der Ausbildung schon Geld, sondern haben in einigen Bereichen auch bessere Gehalts- und Aufstiegsaussichten als so manch ein*e Studierende*r. Angesichts eines notorischen Fachkräftemangels gewinnt das Handwerk auch einiges an Prestige. Einmal abgesehen von den harten Fakten kann eine Lehre für viele ein Schritt Richtung Selbstverwirklichung sein, wenn man ihn denn geht. Basti ist diesen Schritt gegangen: als einer von immer mehr Abiturient*innen, die sich für eine Ausbildung entscheiden, hat er mit treffpunkteuropa.de über seinen Weg ins Handwerk gesprochen.


Als Tischlerlehrling bei der Berliner Schaubühne hat Basti wirklich alles richtig gemacht: Das Theater bezahlt ihn nach den Tarifen des öffentlichen Dienstes und sein Betrieb ist für das Bühnenbild zuständig, die Aufträge sind dementsprechend spannend und abwechslungsreich. Nach seinem Abitur an einem Schöneberger Gymnasium hat der 22-jährige erst einmal ein Orientierungsstudium an der Technischen Universität begonnen, damals noch in der Absicht, danach auch weiter zu studieren. Doch als er zum Ersten Mal dazu kam, sich auf der Baustelle einer befreundeten Familie in der Holzarbeit auszuprobieren, wusste er, dass er lieber Handwerker werden möchte. Da Basti in seinem Umfeld noch immer einige Vorurteile gegenüber dem Handwerk bemerkt und bedauert, dass trotz einer steigenden Nachfrage nach Ausbildungen an Gymnasien, dort fast nur Studienorientierung angeboten wird, hat er sich gerne auf das Interview eingelassen. Neben der Arbeit geht er gerne mal tanzen, liest so viel er kann und betreibt Artistic Jonglage - Berliner eben.

Grüß dich Basti! Bei treffpunkteuropa.de haben wir seit Kurzem einen neuen Schwerpunkt im Gesellschafts- und Kulturressort: Wir beschäftigen uns nämlich mit Selbstfindung und - suche. Wir werden ein bisschen küchenpsychologische und -philosophische Fragen behandeln aber auch ganz praktische Themen, wie zum Beispiel die Suche nach der richtigen Ausbildung bereden. Mit letzterem wollen wir heute beginnen, genauer gesagt mit der Frage „Muss es denn immer ein Studium sein?“ Kann man denn in deinem Fall schon länger von einem Traum sprechen, Tischler zu werden - oder wie bist du da gelandet?

Ich bin da tatsächlich relativ spontan gelandet. Also ich habe in der Zeit, in der ich mein Orientierungsstudium gemacht habe, zwischen September 2020 und September 2021 ungefähr, angefangen bei Freunden auf der Baustelle zu arbeiten. Da haben wir die obersten zwei Stockwerke eines Kornspeichers abgebaut und dann ein Notdach aus Holz installiert. Eigentlich habe ich erst währenddessen gemerkt, dass mir Handwerk und Holz liegen. Auch die Atmosphäre auf so einer Baustelle, wenn man mit Leuten zusammenarbeitet und so ein bisschen sieht was man jeden Tag schafft, liebe ich einfach sehr. Dann habe ich recht kurzfristig die Entscheidung getroffen, mich einfach auf einen Ausbildungsplatz zu bewerben. Und mittlerweile ist es auf jeden Fall ein Traum.

Hattest du während deiner dreijährigen Oberstufe die Möglichkeit dich praktisch auszuprobieren oder war das wirklich das erste Mal, dass du mit Handwerk und Holzarbeiten Berührung gekommen bist?

Ich hatte echt in der Schule überhaupt keine Berührungspunkte damit. Tatsächlich habe ich, bevor ich angefangen habe auf diesen Baustellen zu arbeiten, eigentlich handwerklich nicht mehr gemacht als mal ein Bild aufgehangen, irgendwo einen Dübel in die Wand gehauen und vielleicht eine Latte abgesägt. Es war auch ein Sprung ins kalte Wasser.



Quelle: Statistisches Bundesamt 2023 ©


Also wenn man sich die Zahlen anguckt, sind über 70% der Gymnasialbgänger*innen dann später auch im Studium zu finden. Wie sieht es mit deinem Schulumfeld aus, haben dort alle ein Studium angefangen oder gab es noch den einen oder anderen der eine Ausbildung begonnen hat?

Also die, zu denen ich Kontakt habe, studieren eigentlich fast alle. Aber in meiner Berufsschulklasse gibt es tatsächlich zwei Leute, die von meiner alten Schule sind. Eigentlich gar nicht so schlecht, wenn man sich das überlegt.

Hatte dein Umfeld Erwartungen an dich, dass du studierst, so nach dem Motto: „Jetzt hat er das Abitur gemacht, nun soll er auch studieren“?

Ich würde sagen es hatte niemand Erwartungen aber es haben alle erwartet. Also es sind einfach alle davon ausgegangen, dass es passieren wird, weil es halt einfach der Weg ist, den fast alle gehen. Aber es war jetzt nicht so, dass ich Druck erfahren habe von meinem Elternhaus. Da gab es jetzt keine Stimmen, die mir gesagt haben: „Oh Gott was machst du da? Geh studieren, du bist doch ein schlaues Kerlchen!“.

Wie würdest du sagen hat sich dein Umfeld verändert, seitdem du eine Ausbildung machst?

Tatsächlich hat es sich stark verändert einfach, weil ich mittlerweile mit ganz vielen Tischler*innen in Kontakt bin und sich da ein total inniger Freundeskreis gebildet hat. Also ich habe zwei- drei total enge Freund*innen die alle Tischler lernen. Mein alter Freundeskreis und mein altes Umfeld bestehen weiterhin fort, aber es ist einfach eine ganz neue Blase an Menschen dazugekommen, die den gleichen Alltag haben wie ich.

Ist das auch eine Barriere zu dem alten Milieu, das einen anderen Rhythmus hat?

Natürlich ist es nicht immer einfach. Ich habe Freund*innen vorher regelmäßig unter der Woche gesehen und man hat sich halt morgens, mittags oder abends – wie es eben gepasst hat - getroffen. Das sind Sachen, die sind aufs Wochenende verlagert worden. Die Leute, die ich unter der Woche treffe, sind wirklich größtenteils dann Menschen die einen ähnlichen Rhythmus haben wie ich. Das sind Leute, mit denen ich ungefähr gleichzeitig Feierabend habe und klar ist, dass alle auch mal ins Bett müssen. Ich würde aber nicht sagen, dass mich das sonderlich belastet oder, dass mir diese Flexibilität gegenüber meinem Freund*innen, die studieren, fehlt.

Und deine Kolleg*innen aus der Berufsschule, aus welchen Milieus kommen die so?

Also tatsächlich sind eigentlich alle Leute mit denen ich aus dem Bereich viel zu tun habe in akademisch geprägten Haushalten aufgewachsen und mein Bauchgefühl ist, dass in meiner Klasse auch so zwischen 80% und 90% Abitur haben.

Im technischen Bereich ist die Abiturientenquote auch höher als in anderen Ausbildungsberufen.

Ich glaube, dass die Hürde für Leute, die vielleicht eigentlich eine akademische Laufbahn eingeschlagen hätten, kleiner ist, da es einfach auch sehr viel Theorie gibt. Ich könnte mir vorstellen, dass es deswegen auch für Abiturient*innen einen Reiz hat, weil es theoretisch recht anspruchsvoll ist. Also ich fühle mich intellektuell voll ausgelastet. Wir arbeiten beispielsweise mit fiktiven Kundenaufträgen und da sind dann halt Sachen dabei wie 3D-Modellierung, technische Zeichnungen mit einem CAD-Programm, Stücklisten anfertigen und den CNC-Fräser Programmieren. Dass ich mich unterfordert fühle, kommt selten vor.



Fotos: Basti H.


Wie bewertest du die Akademisierung von vielen früheren oder immer noch bestehenden Ausbildungsberufen? Man kann ja zum Beispiel inzwischen auch Holztechnik studieren.

Ich denke das hat seine Berechtigung insofern, dass heutzutage der Schwerpunkt immer mehr auch auf maschineller Produktion liegt und man sich sehr genau mit dem Werkstoff auskennen muss. Da gibts einfach sehr viel theoretisches Wissen, das in den drei Jahren Ausbildung nicht alles abgedeckt werden kann. Auf der anderen Seite geht es trotzdem schon immer noch darum, dass man die Sachen mit seinen Händen bauen und im Zweifel mit anpacken kann. Deswegen kommt für viele Leute die Akademisierung erst zu einem späteren Zeitpunkt, sozusagen als theoretische Weiterbildung nach dem Meisterbrief.

Woran liegt es, deiner Meinung nach, dass so viele Schüler*innen ein Studium immer noch pauschal höher bewerten als eine Ausbildung?

In meinen Augen gibt es zwei Hauptfaktoren. Einmal, dass man einfach gerade, wenn man in akademisch geprägten Blasen aufwächst, einem die Uni als der Bildungsweg schlechthin vermittelt wird. Auf der anderen Seite wird in Gymnasien einfach überhaupt keine Werbung für Ausbildungen gemacht. Wie ein Studiengang aussieht, kann man sich irgendwie vorstellen: das sind ähnliche Themen und Methoden, die man der Schule anschneidet. Aber die Konfrontation mit dem Handwerk müsste im Schulhaus einfach viel stärker stattfinden, damit man sich auch vorstellen kann, was es bedeutet, eine praktische Ausbildung zu machen. Man müsste sich darum kümmern, dass die Schüler*innen sich richtig ausprobieren können.

Würdest du sagen, du bist einfach ein praktischer Mensch, jemand der seine Arbeit und deren Früchte gerne anfassen möchte?

Ja, ich würde sagen ich bin schon eher ein praktischer Mensch. Aber irgendwie sind eigentlich die allermeisten Leute praktisch veranlagt und werden durchaus erfüllt davon, etwas zu schaffen, was am Anfang des Tages noch nicht da war. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das für manche Leute nicht toll sein kann.

Ermöglicht dir deine Arbeit ein hohes Maß an Selbstverwirklichung und fordert persönliche Kreativität?

Ich würde sagen, das wird später auf jeden Fall durchkommen. Aktuell ist es wenig kreativ, weil viel ganz klar vorgegeben ist. Egal ob du jetzt noch Azubi oder schon Geselle bist, in der Regel kriegst du eine Zeichnung und da steht dann drauf, was gebaut werden soll. Am Ende ist das bestmögliche Ergebnis jenes, das am nächsten an der Zeichnung dran ist. Kreativität kommt dabei schon zum Tragen. Es gibt natürlich Aufgaben, bei denen man Problemen begegnet, für deren Lösung man kreativ vorgehen muss.



Foto: Louis F.


Was gibt es denn an Aufstiegschancen in deinem Beruf?

Grundsätzlich gibt es auf jeden Fall auch schon als Geselle Aufstiegschancen. Wenn du in einem Betrieb anfängst, dann musst du erstmal damit rechnen, dass du wahrscheinlich auch eher irgendwie einfachere Arbeiten zugeteilt bekommst. Am Anfang wirst du noch nicht so ganz so viel Verantwortung tragen und mit einem geringeren Gehalt einsteigen als jetzt Leute bekommen, die schon lange in den Betrieben arbeiten. Man kann sich da allerdings schon eine Rolle erarbeiten. Was weitere Qualifikationen angeht wäre tatsächlich der klassische Weg, einen Meisterbrief zu machen. Das heißt, ein Jahr die Meisterschule zu besuchen. Das muss man leider selbst finanzieren und das kostet auch noch einen ganz schönen Taler. Man sollte mit einem niedrigen fünfstelligen Betrag rechnen, aber es gibt auch relativ viele Zuschüsse, von der EU in etwa.

Wie ist das Geschlechterverhältnis bei dir in der Berufsschule und im Betrieb? Ist das ein „Männerberuf“, in dem du arbeitest?

Komplett, das Verhältnis ist wirklich leider bei uns immer noch sehr männerlastig. Es gibt schon einige weiblich gelesene Personen in meinem Jahrgang, aber meine Klasse ist zum Beispiel extrem männerdominiert. Ich weiß, dass Bewerbungen weiblich gelesener Personen in vielen, gerade jüngeren Betrieben relativ nachgefragt sind. Es ist momentan leider noch ein Männerberuf, nicht nur in meiner Ausbildung, sondern auch einfach was das Verhältnis in allen Tischlereien in Deutschland angeht.

Jetzt noch mal aufs Ganze: würdest du dich immer noch als (Selbst-)Suchenden bezeichnen oder lebst du schon den Traum?

Beruflich bin ich auf jeden Fall kein Suchender mehr, aber ich lebe noch nicht meinen Traum. Ich würde auf jeden Fall gerne Geselle werden, was demnächst mit hoher Wahrscheinlichkeit passieren wird, und dann möchte ich gerne unterschiedliche Bereiche kennenlernen: mal in Möbelbau, Fensterbau und Innenausbau reinschnuppern, alles mal gesehen haben. Dann für mich rausfinden worauf ich eigentlich innerhalb dieses relativ großen Tischler-Kosmos eigentlich am meisten Lust hab und das dann hoffentlich für lange Zeit machen. Ob das dann in der in der Selbstständigkeit stattfinden wird oder in irgendeiner Form von Angestelltenverhältnis, kann ich dir noch nicht genau sagen. Ich hätte auf jeden Fall Lust mit Freund*innen, die ich aus dem Bereich habe, zusammen Projekte zu machen. Es gibt auch immer mehr Tischlereien, die sich so ein bisschen in Richtung von einem Kollektiv entwickeln, wo man einen gemeinsamen Space mit Maschinen hat und aber nicht alles zusammen macht, sondern irgendwie jeder an seinen eigenen Projekten dran ist. Das ist für mich irgendwie schon so ein bisschen eine Traumvorstellung: zu machen worauf man Bock hat an einem Ort hat, wo andere Leute mit der gleichen Leidenschaft sind.

Was würdest du denn als Letztes noch unseren Leserinnen versuche nach der richtigen Ausbildung mitgeben wollen also hast du da irgendwie Tipp?

Macht zeitig genug Praktika! Also auch mal während der Schulzeit oder des Studiums, keine Ahnung wie. Aber auf jeden Fall mal ins Handwerk reingucken und schauen, ob das was für einen ist. Ich glaube, dass viele Leute da etwas liegen lassen, weil sie es gar nicht in Erwägung ziehen. Es gibt viele Leute in meiner Klasse und in meinem Umfeld die vorher schon fertig studiert haben, die als Bankberater oder Sozialarbeiter gearbeitet haben und dann erst ganz spät gemerkt haben, was sie machen wollen. Deswegen leg ich immer allen Leuten ans Herz, mal handwerklich was zu machen. Wenn die Richtung einem gefällt, dann kann das wirklich sehr erfüllend sein.

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