Künstliche Intelligenz in der Rechtsprechung

Im Namen der Software ergeht folgendes Urteil

, von  Johanna Westermann , Lisa Grefer

Im Namen der Software ergeht folgendes Urteil
In der Rechtsprechung ist Künstliche Intelligenz bereits Alltag. flickr / Mike MacKenzie / CC BY 2.0

Max Weber sprach 1922 vom „Rechtsautomaten, in welchen man oben den Tatbestand nebst den Kosten einwirft, auf dass er unten das Urteil nebst den Gründen ausspeie“. Ähnlichen Zukunftsszenarien muss man sich auch aufgrund der voranschreitenden Implementierung künstlicher Intelligenz (KI) in der Justiz stellen. Welche Auswirkungen haben die Entwicklungen auf die Rechtsprechung?

Stell dir vor, eine künstliche Intelligenz entscheidet über dein ganz reales Schicksal. Darüber, ob du Schadensersatz zahlen musst, weil du beim Bolzen das Fenster der Nachbarin getroffen hast. Oder ob die Demo stattfinden darf, die du gerade gegen den Ausbau einer Autobahn planst. Und vielleicht sogar darüber, ob ein in einem Mordfall Angeklagter eine lebenslange Haftstrafe verbüßen muss.

Fest steht, dass die Digitalisierung des Rechts in Europa rasant voranschreitet und viele Chancen mit sich bringt. Selbst juristische Kernbereiche, wie Rechtsprechung und Rechtsfindung wandeln sich und profitieren von den Neuerungen. Heute ist noch nicht klar, wie weit diese Entwicklungen noch gehen werden – die Idee eines von Software gesteuerten Richters steht im Raum. Welche Chancen bringt dies für uns und unser Rechtssystem mit sich? Welche Gefahren lauern?

Eine einheitliche, wie präzise Definition des KI-Begriffes existiert bisher noch nicht. Allerdings spricht eine hochrangige Expert*innen-Gruppe der Europäischen Union im Allgemeinen von Systemen mit einem intelligenten Verhalten, die ihre Umgebung analysieren und mit einem gewissen Grad an Autonomie handeln, um bestimmte Ziele zu erreichen. Diese lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Auf der einen Seite steht die „schwache“ KI, die sich auf die Lösung konkreter Anwendungsprobleme auf Basis der Methoden aus der Mathematik und Informatik fokussiert. Davon lässt sich die, „starke“ KI, die die gleichen intellektuellen Fertigkeiten wie der Mensch hat oder ihn darin sogar übertreffen kann, unterscheiden.

Hier ist künstliche Intelligenz schon Alltag

Der Einsatz von Systemen letzterer Art wird in den kommenden Jahren nicht zu realisieren sein. Der Gebrauch „schwacher“ KI hingegen ist in Teilen bereits heute technisch möglich und wird im Alltag bereits umgesetzt. Dessen Anwendung lasst sich auch für die Justiz nutzbar machen. Hier drängen sich drei mögliche Aufgabenfelder ganz besonders auf:

  • Der erste große Punkt ist die Dokumentenanalyse. Sie hilft Richter*innen unter anderem bei der Suche nach einschlägigen Urteilen. Ein Beispiel dafür ist bereits seit 2001 die juristische Fachdatenbank Beck-Online. Sie enthält neben den Kommentaren und Formularbüchern aus dem C. H. Beck-Verlag und dem Hause Nomos auch die dem jeweiligen Rechtsgebiet zugrunde liegenden Gesetze. Hierzu wurden zuvor die Textsammlungen beider Verlage für die Online-Nutzung aufbereitet. Auch auf Gerichtsentscheidungen kann über die Datenbank zugegriffen werden.
  • Der zweite Bereich ist die Dokumentenerstellung, zum Beispiel von Schriftsätzen oder Verträgen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat Anfang September 2021 entschieden, dass derartige softwarebasierte Generatoren für Rechtsdokumente zulässig sind und nicht gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) verstoßen. Konkret ging es im Fall um smartlaw, ein digitales Angebot von Wolters Kluwer, einem niederländischen Informationsdienstleister. Es deckt eine Vielzahl standardisierter Fälle zur Vertrags- und Dokumentenerstellung ab.
  • Zuletzt steht die Entscheidungsvorhersage. So kann beispielsweise der Case Cruncher Alpha Vorentscheidungen dazu treffen, ob ein bestimmtes Kreditversicherungsprodukt rechtmäßig verkauft worden war. Diese Art von Systemen bezieht sich stets auf einen konkreten Sachverhalt und vergleicht diesen mit einschlägigen Urteilen. Das System muss also erst mit ausreichend Informationen gefüttert werden, bevor es angewendet werden kann.

Das sind die Vorteile der Anwendungen

Alle drei Anwendungsbeispiele haben eins gemeinsam: sie sparen enorm Zeit und nehmen menschlichen Jurist*innen Arbeit ab. Dies ist besonders im Hinblick auf den Spardruck in der Justiz und die bevorstehende Pensionierungswelle von großer Bedeutung. Rund 40 Prozent aller Jurist*innen scheiden bundesweit bis 2030 aus dem Dienst aus. KI könnte zumindest einen Teil der Arbeitskräfte auffangen.

Aber der Einsatz von KI in der Rechtsprechung birgt noch weitere Vorteile. Die Rechtsprechung ist ein unabhängiges und rationales Verfahren. KI könnte sicherstellen, dass die Einheit der Rechtsordnung und Gleichheit vor Gericht gewahrt werden. Insofern in Zukunft ausgeschlossen werden könnte, dass Programme nicht durch menschliche Programmierung Vorurteilen ausgesetzt sind, überzeugt KI durch seinen Mangel an Bias und Voreingenommenheit. Zudem kann KI mit den immer komplexer werdenden Verfahren und Sachverhalten besser umgehen, weil sie mehr Information verarbeiten kann als ein Mensch.

Zuletzt ist sie 24 Stunden am Tag erreichbar. So beispielsweise der Legal Chat Bot der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCooper, der einfache, kleinteilige Fragen zu thematisch wiederkehrenden Geschäften beantworten kann. Es gibt keine langen Wartezeiten wie bei Mails oder langen Telefonschleifen. Das System ist effizienter und Personal wird entlastet.

Wie wird die Rechtssprechung in Zukunft aussehen?
Pexels / Ekatarina Bolovtsova / Lizenz

Den Menschen braucht es dennoch

Ein erster grundlegender Unterschied zwischen KI und menschlichen Richter*innen ergibt sich bereits aus der systematischen Herangehensweise. Während das Handwerkszeug von Jurist*innen auf der Anwendung von Rechtsregeln, unter welche die jeweiligen Fallumstände subsumiert werden, basiert, arbeitet KI mit Korrelationen. Durch die Auswertung von Datensätzen über Fälle und Gerichtsentscheidungen können Algorithmen Muster erkennen und diese auf neue Fälle übertragen. Die aus den Mustern abgeleiteten Entscheidungsparameter sind jedoch für den Menschen nicht nachvollziehbar, weshalb KI mit einer „Blackbox“ verglichen werden kann. Gerade im Bereich des Strafrechts, wo den Angeklagten mitunter lange Haftstrafen drohen, sind Entscheidungen ohne die Möglichkeit der Nachvollziehbarkeit kaum vorstellbar.

Vor allem, wenn es auf Abwägungen und Verhältnismäßigkeitsentscheidungen ankommt, gerät eine statistisch vorgehende KI an ihre Grenzen. Menschliche Richter*innen beziehen auch atypische Umstände des Einzelfalls mit ein, fällen Werturteile und betreiben gegebenenfalls Rechtsfortbildung. Insoweit wird deutlich, dass nicht nur die Programmierung technisch sehr aufwendig ist, sondern auch der Lernprozess der intelligenten Systeme langwierig sein kann. Die Qualität der Entscheidungen ist maßgeblich von den vorhandenen Daten abhängig. Dabei besteht die Gefahr, dass bestehende Diskriminierungen übernommen werden.

Darüber hinaus drängt sich die Frage auf, wer verantwortlich ist, wenn der Maschine Fehler unterlaufen. Die Programmierer*innen? Die Maschine selbst? Oder eine etwaige Aufsichtsperson? Die Vorstellung, dass ein Algorithmus ein Urteil über uns Menschen fällt, dem wir uns fügen müssen, ist zumindest gewöhnungsbedürftig. Schließlich ist der Einsatz von KI in Gerichtsverfahren nicht zuletzt von der gesellschaftlichen Legitimation abhängig.

So könnte KI reguliert werden

Die Verwendung von KI in der Rechtsprechung wird weitreichende Auswirkungen auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit sowie Grundrechte im Allgemeinen haben. Im Deutschen Recht sind unter anderem die im Grundgesetz garantierten Rechtsprechungsgrundsätze wie der Anspruch auf rechtliches Gehör und die Unabhängigkeit des*der Richter*in betroffen. Nach geltendem Recht können nur natürliche Personen Richter*in sein und damit die Letztentscheidungsbefugnis innehaben. Nicht ausgeschlossen ist hingegen der Einsatz von KI als Unterstützung für die Richter*innen. Die EU will daher mithilfe einer Verordnung einen einheitlichen Rechtsrahmen zur Verwendung künstlicher Intelligenz schaffen.

Bereits in einem Beschluss vom 6.10.2021 legte das Europäische Parlament fest, dass rechtskräftige Entscheidungen in Strafsachen stets von einem Menschen getroffen werden sollen, der zur Verantwortung gezogen werden könnte. Um einen Ausgleich zwischen den Chancen von KI und möglichen Verletzungen von in der Europäischen Grundrechtcharta verankerten Rechten zu schaffen, soll zudem bereits Anfang dieses Jahres eine Verordnung zur Regulierung künstlicher Intelligenz verabschiedet werden.

Ein Blick in die Zukunft

KI in der Rechtsprechung ist also kein utopisches Zukunftsszenario, sondern wird bereits heute, beispielsweise zur Dokumentenanalyse, eingesetzt. Dabei nimmt KI eine helfende Rolle ein, die Letztentscheidungsbefugnis verbleibt hingegen bei den menschlichen Richter*innen. Es ist wahrscheinlich, dass KI in absehbarer Zeit weniger fehleranfällige Entscheidungen als ein Mensch treffen kann. Dennoch ist fraglich, inwieweit gesellschaftlich legitimiert sein wird, dass Maschinen über Menschen richten.

Schließlich ist eine unabhängige Judikative als eine der drei Gewalten essenzieller Bestandteil einer Demokratie. Gut vorstellbar ist, dass KI dort urteilen darf, wo es um geringe Streitwerte und weniger intensive Grundrechtseingriffe geht. Zum Beispiel würde KI darüber entscheiden, ob und wie viel Schadensersatz du für das kaputte Fenster der Nachbarin zahlen musst, das du mit deinem Ball getroffen hattest. In Mordfällen hingegen wird wohl weiterhin ein Mensch das Urteil fällen.

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