Die Kleinen nach vorne, die Großen nach hinten. Was bei Fototerminen Anstand und Logik gebieten, wurde auf dem NATO-Gipfel diese Woche über den Haufen geworfen. Der ehemalige Medien und Immobilienunternehmer Donald Trump musste offensichtlich klar machen, dass er der wichtigste Mann auf dem Brüsseler Parkett ist und schob brüsk einen vermeintlich unwichtigen älteren Herrn mit weißem Haarschopf beiseite.
Es traf Duško Marković. Premierminister von Montenegro. Mit einer Einwohnerzahl von etwas über 600.000 ist Montenegro das kleinste Land auf dem Balkan. Trump-Wähler mögen dem „Donald“ zu seinem ausgeprägten Instinkt als Alpha-Tier gratulieren: selbstbewusst schubste er das schwächste Mitglied des Rudels. Eher zutreffend ist, dass der Präsident schlichtweg nicht wusste, um wen es sich handelt.
Donald Trumps Schwierigkeit sich unter europäischen Politikern zu orientieren ist bekannt. Jean-Claude Juncker berichtete kurz nach Trumps Amtsantritt, dass dieser ihn mit Donald Tusk verwechselt habe. Hätte sich Trump ein wenig informiert über die Gäste auf dem NATO-Gipfel, hätte er erfahren können, dass Montenegro unter Markovic am 5. Juni der NATO beitreten wird. Ausbleibende Willkommensgeste hin oder her. Er hätte außerdem erfahren können, dass Montenegro zwar der kleinste Staat im westlichen Balkan, aber mit einem Bruttoinlandsprodukt von rund 6700 US-Dollar pro Einwohner immerhin das reichste Land in der Region ist.
Aber seien wir ehrlich, wer kannte den Namen des montenegrinischen Staatsoberhauptes bevor dieser ins Rampenlicht geschubst wurde? Versuchen wir diese Wissenslücke zu schließen.
Duško Marković wurde am 6. Juli 1958 in Mojkovac geboren. Nach einem Jurastudium arbeitete er als Jurist für die Zeche „Brskovo“ in seinem Heimatort. Danach war er von 1989 bis 1991 als Kommunalpolitiker im Stadtparlament von Mojkovac tätig. Anschließend war er Generalsekretär der Regierung Montenegros unter Milo Dukanovic. 2005 wird er zum Chef des Sicherheitsdienstes ernannt.
Markovic gehört der sozialdemokratischen Partei DPS an. Die DPS hat ihre Wurzeln im Bund der Kommunisten Jugoslawiens. Seit den ersten freien Wahlen dominiert die DPS das politische System in Montenegro. In insgesamt fünf Amtszeiten als Premierminister und einer Amtszeit als Präsident lenkte Milo Dukanovic nur mit kurzen Unterbrechungen die Geschicke des kleinen Balkanstaates 25 Jahre lang bis 2016. Zuerst ein Verbündeter des Serbenführers Slobodan Milosevic wandte sich Dukanovic 1998 von diesem ab. Während des Kosovo-Krieges verhielt sich Montenegro neutral und öffnete seine Grenzen für die von Milosevic verfolgten albanischen Kosovaren.
Montenegro trennte sich erst 2006 durch ein Referendum von Serbien. Die Anbindung an die westliche Wertegemeinschaft bestimmte seit dem die Ausrichtung des Landes. Eine Position, die nicht unumstritten ist in Montenegro. Im Herbst 2008 erkannte Montenegro unter Dukanovic die Unabhängigkeit des Kosovo an. Ein Affront gegenüber Serbien, gegen den auch ethnische Serben in Montenegro protestierten. Auch die Migliedschaft in der NATO und EU wird von der größten Oppositionspartei, der serbischen „Demokratischen Front abgelehnt“. Die pro-russische Partei verlangt ein Referendum über die Mitgliedschaft im westlichen Verteidigungsbündnis.
Aus den Parlamentswahlen im Oktober 2016 ging die sozialdemokratische DPS erneut als stärkste Kraft hervor. Da sie jedoch die absolute Mehrheit verfehlte, ging sie eine Koalitionsregierung mit einer Vielzahl kleinerer Parteien ein. Am 28. November 2016 bildete die Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) mit der Bosniakischen Partei (BS), der Kroatischen Bürgerlichen Initiative (HGI), den Sozialdemokraten (SD), sowie dem Bündnis der Albanerparteien eine Regierung.
Den Wahlen vorausgegangen war ein vereitelter Anschlagsversuch durch serbische Nationalisten. Der Gruppe von zwanzig Männern werden Pläne die Regierung zu stürzen vorgeworfen. Die Drahtzieher des Attentatsversuchs werden in Russland vermutet. Die Opposition im Parlament erklärte, dass sie die Ergebnisse der Parlamentswahlen nicht anerkennen werden, bis die Hintergründe des Attentats aufgeklärt sind.
Markovic wird allen Anscheins nach den Kurs seines Vorgängers Dukanovic fortsetzen. Er will die Staatsausgaben und die Neuverschuldung senken und strebt ein jährliches Wirtschaftswachstum von 3,4 bis 4 Prozent an.
Die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und Montenegro sind im Vergleich zu anderen Staaten des Westbalkans weit fortgeschritten. Bereits seit 2010 ist das Land Beitrittskandidat. Derzeit sind 26 Verhandlungskapitel in den Beitrittsverhandlungen eröffnet, darunter die Kapitel 23 und 24 zu Justiz und Grundrechten. Auf Hinwirken der EU wurde eine Anti-Korruptionsbehörde und ein Sonderstaatsanwalt eingerichtet.
Während das Datum für den EU-Beitritt noch nicht feststeht, steht der Beitritt zur NATO direkt bevor. Im Dezember 2015 erfolgte die Einladung Montenegros dem Bündnis beizutreten. Bis Anfang Juni muss das Protokoll über die Mitgliedschaft von den 28. Mitgliedsländern der Allianz ratifiziert werden. Der US-Senat stimmte Ende März mit 97 zu 2 Stimmen für eine Aufnahme Montenegros in die NATO. Ob sich Donald Trump dieser Zusammenhänge bewusst war als er das diplomatische Protokoll aus dem Weg schob, können wir nur mutmaßen. Statt Fehltritte einzuräumen kann er auf das nachlassende Kurzzeitgedächtnis der Twitter-Nutzer hoffen.
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