Italien steht vor dem politischem Kurswechsel

, von  EurActiv.de | Herbert Vytiska

Italien steht vor dem politischem Kurswechsel
Wie geht es in Italien nach den Wahlen weiter? Foto: Stephanie Kraus / Flickr / Attribution 2.0 Generic (CC BY 2.0)

Am kommenden Sonntag wählt Italien bereits die 62. Regierung seit 1945. Diese Wahl könnte einen Kurswechsel von Mitte-links auf Mitte-rechts bringen.

Mit dem Ausscheiden der Briten aus der Europäischen Union will Italien zu den beiden EU Achsenmächten Deutschland und Frankreich aufrücken. Voraussetzung dafür ist zumindest eine stabile, pro-europäische Regierung.

Geht es nach den jüngsten Umfragen so dürfte einmal mehr das sozialdemokratische Lager ein Nachsehen haben und vor allem das Opfer der populistischen Strömungen, in diesem Fall der Cinque-Stelle-Bewegung, werden. Die besten Chancen für einen Wählerauftrag zum Führen einer Regierung werden einer Mitte-Rechts-Regierung eingeräumt, es dürften allerdings mühsame Regierungsverhandlungen ins Haus stehen.

Der derzeitige italienische Premier und sozialdemokratische Kandidat, Paolo Gentiloni, versucht daher in den letzten Tagen vor dem Wahltag noch zu mobilisieren und plädiert dafür, die „Werte der Demokratie“ hochzuhalten. Er warnt vor der chaotischen Cinque Stelle und der ausländerfeindlichen Lega Nord. Letztere ist Bündnispartner von Silvio Berlusconis Forza Italia, die am Sprung auf die Rückkehr an die Hebeln der Macht steht. Gentiloni warnt daher: „In keinem anderen europäischen Land, abgesehen von Österreich, hat es eine Fusion zwischen gemäßigten und extremen Rechten gegeben“.

Drei Gruppen sind im Spiel um die Macht

In Italien ist es Usus, dass eine Woche vor der Wahl keine neuen Umfragen mehr publiziert werden. Aus der Vielzahl der demoskopischen Erhebungen hat Peter Ulram, ein österreichischer Politikwissenschaftler und Meinungsforscher, der seinen Lebensschwerpunkt nach Italien verlegte, die wichtigsten Ergebnisse herausgefiltert. Dabei muss berücksichtigt werden, dass aufgrund der Zersplitterung der italienischen Parteienlandschaft die entscheidende politische Rolle so genannten Bündnissen mehrerer Parteien zufällt. Eine Woche vor der Wahl sieht es so aus:

Stärkste Einzel-Partei ist vorerst die radikal-populistische Cinque-Stelle-Bewegung mit 27 bis 29 Prozent. Das derzeitige Mitte-links-Regierungsbündnis mit der Partito Democratico (PD) im Zentrum liegt ebenfalls auf diesem Level. Spitzenreiter mit 37 bis 39 Prozent ist allerdings das Mitte-rechts-Bündnis, in dem Forza Italia und Lega Nord die dominierende Rolle spielen.

Am unteren Ende rangiert noch das Bündnis Liberi e Uguali aus drei Linksparteien mit sechs Prozent. Dazu kommen noch an 20 weitere Bündnisse, die in mindestens der Hälfte der Wahlkreise der Abgeordnetenkammer antreten. Fünf davon nur in den Auslandswahlkreisen.

Das Leiden sozialdemokratischer Parteien

Die Schwäche des Mitte-Links-Regierungslager, das übrigens unter anderem von der Südtiroler Volkspartei aufgrund der Autonomie freundlichen Politik unterstützt wird, hat mehrere Ursachen. Allen voran die Tatsache, dass das Wirtschaftswachstum mit 1,4 Prozent niedrig ist, weit unter dem EU-Durchschnitt liegt, vor allem die (Jugend)Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung sehr hoch sind. Davon besonders negativ betroffen (durch Verslumung und Unsicherheit) sind, so Ulram, die Angehörigen der oft selbst in prekären Situationen befindlichen unteren Schichten – früher eine wichtige Wählergruppe der Linksdemokraten. Sie fühlen sich von Staat und Partei im Stich gelassen und revanchieren sich mit ihrer Abwanderung zur politischen Rechten. Ein Phänomen, von dem viele sozialdemokratische Parteien in Europa betroffen sind.

Dazu kommt noch die Rivalität um die politische Führung der PD und damit deren politische Ausrichtung. Gentiloni, der nach dem Rücktritt von Matteo Renzi aufgrund des gescheiterten Verfassungsreferendums vor zwei Jahren Ministerpräsident wurde, hat Gefallen an diesem Amt gefunden, das er gerne weiter ausüben möchte. Allerdings will auch Renzi, einst Hoffnungsträger der europäischen Sozialdemokratie, wieder zurück an die Macht.

Sammelbecken der Protestwähler

Von der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Unzufriedenheit innerhalb der italienischen Bevölkerung profitiert die 2009 vom Komiker Beppo Grillo gegründete Cinque Stelle. Der österreichische Politikwissenschaftler charakterisiert diese Bewegung: „Ihre Anhänger rekrutieren sich zu einem Gutteil aus staats- und parteienverdrossenen Protestwählern mit einem ausgeprägten Hang zu Verschwörungstheorien. Die Parteiführung weist teilweise sektenhafte Züge auf und tendiert zu einem aggressiv Weltbild, so nach dem Motto: ‚Wir sind die guten, wahren Vertreter des Volkes gegen die korrupten Bösen dort oben‘. Zum Feindbild zählt auch – wenngleich taktisch etwas zurückgenommen – die EU“. Cinque Stelle verzeichnet noch immer eine hohe Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung, wenngleich sie dort, wo sie bereits Verantwortung zu tragen hat, total versagt. So in Rom, wo die Bürgermeisterin Virginia Raggi, das Desaster in der Kommunalpolitik noch verschärft hat und auch in Korruptionsfälle verwickelt ist.

Berlusconi als Mitte-Rechts-Drahtzieher

Aufgrund des Mehrheitswahlrechtes hat das Mitte-Rechts-Bündnis die Chance, sollten 40 Prozent der Wählerstimmen erreicht und damit die Voraussetzungen für eine Mandatsmehrheit geschaffen werden, die Regierungsverantwortung übertragen zu halten. Da der 82jährige Silvio Berlusconi derzeit aufgrund seiner Verurteilung kein öffentliches Amt bekleiden darf, beschränkt er sich auf die Rolle des „Drahtziehers“ im Hintergrund. Seine Forza Italia liegt stimmenmäßig vor der Lega Nord und ist daher tonangebend. Geht es nach Berlusconi, dann dürfte der Präsident des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani, beste Chancen haben, nächster Ministerpräsident Italiens zu werden.

Und damit Brüssel keine Sorgen bereiten, vertritt doch Forza Italia, die Mitglied der EVP ist, eine proeuropäische und gemäßigt konservative Linie. Die Wahlversprechen lassen vorerst allerdings nicht erwarten, dass Rom die so wichtige Schuldenbremse zieht und damit ein stabilisierender Faktor im Süden Europa wird.

Ähnlich wie die FPÖ in Österreich hat sich auch die Lega Nord die Flüchtlingsproblematik auf die sprichwörtlichen Fahnen geheftet. Deren Führer, Matteo Salvani, trommelt den Slogan „Wir können nicht ganz Afrika in Italien aufnehmen. Jetzt oder nie, Italiener zuerst“ durchs ganze Land. Seine Rhetorik erinnert an die Wahlkampfsprüche freiheitlicher Politiker, so wenn er argumentiert, für die illegalen Migranten (ca. 600.000 an der Zahl) nur eines übrig zu haben, nämlich „ein Rückfahrticket, dorthin, von wo sie gekommen sind.“ Zimperlich sind auch seine anderen Postulate an eine neue Politik für Italien nicht: So verspricht er einen harten Law-and-Order- Kurs, aggressive Positionierung gegen die „linken Eliten“. Von einem sogenannten Italexit ist allerdings nicht die Rede, bloß die EU-Politik soll ausschließlich am nationalen Interesse ausgerichtet werden.

Die möglichen Regierungsszenarien

In welche Richtung das Pendel ausschlagen wird, hängt nicht zuletzt von der Entscheidung der noch gut 30 Prozent unentschlossenen Wähler ab. Dementsprechend stehen derzeit mehrere Varianten bezüglich der nach dem 4. März anlaufenden Regierungsverhandlungen zur Diskussion. Sollte Berlusconis Mitte-Rechts-Bündnis die 40 Prozent schaffen, dann wird es wohl ähnlich wie in Österreich darauf ankommen, die Rechtspopulisten im Zaum zu halten und ein pro-europäisches Programm zu schmieden. Sollte es keine Mandatsmehrheit geben, dann ist sehr wohl auch eine „GroKo“ denkbar. In diesem Falle müsste sich die Forza Italia von der Lega Nord trennen und eine Partnerschaft mit der links-liberalen Partito Democratico und deren Partnern eingehen.

Wenngleich unwahrscheinlich so wird schließlich auch noch damit spekuliert, dass ein übermäßiger Erfolg von Cinque Stelle zu einer weiteren Spaltung der Sozialdemokraten führt und diese gemeinsam mit den Linken eine Mehrheit bilden. Für Ulram eine Situation, „die zu schweren innenpolitischen und wirtschaftlichen Brüchen sowie zu einer massiven Konfrontation mit den anderen EU-Staaten führen würde.“

Dieser Artikel wurde zuerst bei unserem Medienpartner Euractiv veröffentlicht.

Schlagwörter
Ihr Kommentar
Vorgeschaltete Moderation

Achtung, Ihre Nachricht wird erst nach vorheriger Prüfung freigegeben.

Wer sind Sie?

Um Ihren Avatar hier anzeigen zu lassen, registrieren Sie sich erst hier gravatar.com (kostenlos und einfach). Vergessen Sie nicht, hier Ihre E-Mail-Adresse einzutragen.

Hinterlassen Sie Ihren Kommentar hier.

Dieses Feld akzeptiert SPIP-Abkürzungen {{gras}} {italique} -*liste [texte->url] <quote> <code> et le code HTML <q> <del> <ins>. Absätze anlegen mit Leerzeilen.

Kommentare verfolgen: RSS 2.0 | Atom