Europas Pressefreiheit – eine Bestandsaufnahme, die Sorgen bereitet

Julian Assange: ein Mann, der die Pressefreiheit über alles stellte

, von  David Vilentchik

Julian Assange: ein Mann, der die Pressefreiheit über alles stellte
Julian Assange bei der Norwegischen Konferenz für Investigativjournalismus 2010. Foto: Flickr / Espen Moe / CC BY 2.0

Die mögliche Auslieferung des Whistleblowers Julian Assange in die USA und das vielfach kritisierte Gesetz, mit dem Ungarn gegen „Fake News“ vorgehen möchte – nur zwei Beispiele, die die Debatte um die Pressefreiheit zuletzt auf die Agenda gesetzt haben. Der Philosoph Jean-Jacques Rousseau bezeichnete die Presse einst als vierte Säule eines Staates. Medien fungieren als zweite Opposition zur Regierung und versuchen größtmögliche Transparenz für die Öffentlichkeit herzustellen. Was ist aber, wenn sie bedroht wird? Was stark nach Panikmache klingen mag, könnte eine ernstzunehmende Frage sein, womit wir uns nicht nur am Internationalen Tag der Pressefreiheit auseinandersetzen müssen. In einem Zweiteiler stellt David Vilentchik drei Menschen vor, die Anlass zur Sorge um die Presse- und Meinungsfreiheit geben.

Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, ein Grundpfeiler der Demokratie. Mitunter stoßen Journalist*innen auf brisante Informationen, die das öffentliche Interesse erregen dürften. Julian Assange machte sich genau das zur Aufgabe. 2010 veröffentlichte er hoch vertrauliche Dokumente zu den US-Einsätzen im Irak und in Afghanistan, darunter Aufnahmen von Luftangriffen auf Zivilist*innen und damit von Kriegsverbrechen. Die Konsequenz war eine Hexenjagd. Hinzu kam: Zwei Frauen bezichtigten ihn der Vergewaltigung. Trotz seines Kooperationswillens auszusagen wurde ihm nicht versichert, nur als Zeuge geladen zu werden.

Von 2012 bis 2019 hielt er sich daraufhin in der ecuadorianischen Botschaft in London auf, um dem Gerichtsverfahren zu entgehen. Er verließ die Botschaft kein einziges Mal – bis der Tag kam, an dem das Asyl aufgehoben wurde. Mit der Aufhebung im April 2019 folgte die Inhaftierung. Seitdem sitzt er in London im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Die Ermittlungen in Schweden zur Vergewaltigung wurden bereits eingestellt. Nicht so der zentrale Vorwurf der Vereinigten Staaten: Sie beschuldigen den Whistleblower der „Publikation geheimer diplomatischer und militärischer Dokumente“, darunter eben auch solche, die die nationale Sicherheit gefährden könnte. Es gibt 18 Anklagepunkte, von denen 17 unter dem sogenannten Espionage Act fallen, ein Gesetz, das zur Zeit des Ersten Weltkrieges eingeführt wurde. Ihm drohen nun 175 Jahre Haft.

Für die einen Spionage, für anderen Transparenz – ein Präzedenzfall ohnegleichen

Nicht zuletzt für die Überlebenden der Angriffe, von denen erst durch ihn eine breite Öffentlichkeit erfuhr, ist es von großer Bedeutung zu wissen, was genau passierte. Auf der politikphilosophischen Ebene betrachtet zeigt die Causa Assange aber auch, dass Demokratien defizitär sind. Für Juliane Matthey, Pressereferentin von Reporter ohne Grenzen (ROG), könnte die Verhandlung zur Auslieferung Assanges „auf mehreren Ebenen ein gefährlicher Präzedenzfall“ werden. Denn dem Ersuchen könnte tatsächlich stattgegeben werden.

Was als rechtsstaatliches Verfahren gesehen werden kann, ist ROG zufolge ein Politikum. Wenn die Auslieferung vollzogen werden würde, wäre sie zugleich eine Abschreckung für viele investigative Journalist*innen, die vollkommene Transparenz ermöglichen möchten. Für Juliane Matthey ist es ohnehin nicht nachvollziehbar, Ermittlungen zu einer Straftat zu initiieren, die sich nicht in den USA ereignet hatte. Ihre Organisation, zahlreiche Politiker*innen, weitere NGOs und WikiLeaks-Anhängende wittern ein politisches Kalkül. Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Linke) fand klare Worte und bezeichnete den Fall als eine „politische Verfolgung“. Sie ist eine der 130 deutschen Politiker*innen und Kunstschaffenden, die einen Appell zur Freilassung Assanges veröffentlichten.

Julian Assange: kein unglücklicher Einzelfall

Ein Antrag auf Freilassung auf Kaution wurde am 25. März abgelehnt. Aufgrund von COVID-19 kann außerdem keine Prozessbeobachtung ermöglicht werden – für die Pressefreiheit fatal. Ähnlich brisant: Am 24. Februar verfolgte eine Beobachtermission von ROG die Verhandlung Assanges in Großbritannien. Trotzdem: „Großbritannien ist ein Rechtsstaat“, betonte Matthey. Allerdings befindet das Land sich auf dem 35. Platz des aktuellen Rankings für Pressefreiheit. Matthey sieht in der Causa Assange einen möglichen Faktor für die Platzierung. Normalerweise geschieht solch eine Mission in autoritären Staaten, so Matthey. Voriges Jahr hielt das Vereinigte Königreich den 33. Platz inne.

Die Umdefinition von investigativer Arbeit in Spionage ist kein neues Phänomen. Auch Edward Snowden ist von politischer Verfolgung seitens der Vereinigten Staaten bedroht. Edward Snowden arbeitete für den größten Auslandsgeheimdienst der USA, die NSA, bis er ihre Überwachung gegenüber anderen Staaten, unter anderem Deutschland, publik machte. Anschließend ist er aufgrund strafrechtlicher Konsequenzen nach Moskau geflohen und lebt seitdem dort. Die Liste der Fälle ist lang. Gemein haben sie, dass rechtsstaatliche Prinzipien mit dem Schutz der Pressefreiheit zu kollidieren scheinen. Für Matthey wiegt das öffentliche Interesse viel mehr, „damit eine Debatte überhaupt stattfinden kann“.

Wenn Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit miteinander kollidieren

Dennoch gibt es in der EU legale Instrumente, um die Pressefreiheit einzuschränken. Laut der EU-Menschenrechtskonvention gibt es Kriterien für eine Einschränkung der Pressefreiheit: Eine solche ist möglich, wenn die nationale oder öffentliche Sicherheit und Ordnung bedroht sind, eine Straftat verhindert oder die Ehre eines Dritten geschützt werden soll. Weiter gelten die Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Informationen und die Wahrung der Autorität und Unparteilichkeit der Rechtsprechung gesetzlich als legitime Gründe für seine Einschränkung. Assanges Veröffentlichung gefährdeten die öffentliche Ordnung, könnte daher argumentiert werden. Der Kampf gegen ihn wird also mit rechtsstaatlichen Instrumenten geführt. „Auch in funktionierenden Rechtsstaaten kann die Pressefreiheit eingeschränkt werden“, erklärt Matthey.

Ebenfalls können sich Whistleblower in den USA aufgrund des Espionage Act nicht auf den besonderen Schutz der Journalist*innen berufen. Allerdings ist es für den Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) Wolfgang Kaleck ein hochkomplexer Prozess. Denn es müsse geprüft werden, ob die Spionage-Vorwürfe eine politische Verfolgung darstellen und wie hoch die Gewichtung des Status eines oder einer Journalist*in ist. Die erwartete Strafe ist trotz alledem unverhältnismäßig, sagte Kaleck dem Legal Tribune Online.

Während Julian Assange nur nicht für seine persönliche Freiheit, sondern auch für die Pressefreiheit insgesamt kämpft, wurden bislang die US-Soldat*innen, die die von ihm veröffentlichten Kriegsverbrechen ausübten, nicht strafrechtlich verfolgt. Assange wurde vom UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer hingegen „psychologische Folter“ attestiert, da er nun in Isolationshaft sitzt und zuvor in der ecuadorianischen Botschaft meist abgeschottet lebte. Ab dem 18. Mai hätten die Verhandlungen fortgesetzt werden sollen, die wahrscheinlich weiter von Protesten begleitet worden wären. Doch wegen der Corona-Beschränkungen werden die Anhörungen auf November vertagt. Assange sitzt solange im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Ob dem Auslieferungsgesuch der USA stattgegeben wird, bleibt abzuwarten.

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