Europäische Staatsanwaltschaft nimmt Arbeit auf

Laura Kövesi: Europas neue Korruptionsjägerin

, von  Leonhard Pfeiffer

Laura Kövesi: Europas neue Korruptionsjägerin
Am 1. Juni 2021 nahm Laura Kövesi als erste EU-Generalstaatsanwältin ihre Arbeit auf. Foto: flickr / U.S. Embassy Romania / CC BY 2.0

Wer wegen seiner Arbeit als Korruptionsjäger*in am Ende selbst von der eigenen Regierung angeklagt wird, macht entweder miserable Arbeit oder aber sehr gute. Letzteres geschah Laura Kövesi in ihrer Heimat Rumänien. Nun ist sie die erste EU-Generalstaatsanwältin. Der Weg dorthin war mehr als turbulent und auch die neue Behörde sieht sich mit großen Herausforderungen konfrontiert.

Die am 15. Mai 1973 geborene Laura Codruța Kövesi verschrieb sich schon früh der Verbrechensbekämpfung. Nach einem abgeschlossenen Jurastudium und einer Doktorarbeit über die Bekämpfung organisierter Kriminalität wurde sie Staatsanwältin. Es folgte ein sehr schneller Aufstieg durch die Ränge der rumänischen Staatsanwaltschaft, der sie 2006 mit nur 33 Jahren in das Amt der Generalstaatsanwältin an Rumäniens Obersten Gericht führte. Im Mai 2013 übernahm die ehrgeizige Rumänin die Leitung der nationalen Antikorruptionsbehörde DNA.

Der Kampf gegen Korruption in Rumänien

Diese hatte auch viel zu tun. Unter Kövesis Leitung verfolgte die Behörde 24 Bürgermeister*innen, fünf Abgeordnete, zwei ehemalige Minister*innen und einen ehemaligen Premierminister, sowie über 1000 weitere Personen aus Politik und Justiz. Und diese beeindruckenden Zahlen stammen allein aus dem Jahr 2014. Aus dem Jahresbericht der DNA für 2015 geht hervor, dass die Behörde in diesem Jahr Bestechungsgelder in Höhe von 431 Millionen Euro vor Gericht brachte. Diese Arbeit machte sich auch unter der rumänischen Bevölkerung bemerkbar. So vertrauten einer Studie zufolge 60% aller Rumän*innen der Antikorruptionsbehörde, nur 11% hingegen dem Parlament. Kövesi bestätigte diesen Stimmungswandel: „Ich denke die Arbeit der DNA hat die Mentalität der rumänischen Bürger verändert. Ihnen ist jetzt bewusst, dass sie keine Bestechungsgelder zahlen müssen, um ihre Rechte gewährt zu bekommen.“

Den größten Gegenwind bekam Kövesi aus der Politik, die mit immer neuen Änderungen der Gesetzeslage versuchte, die Handlungsmöglichkeiten der DNA einzuschränken. Auf die Spitze getrieben wurden diese Versuche nach einem Regierungswechsel 2016. Mit einer Justizreform versuchte die sozialdemokratisch-liberale Koalition die erreichten Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung zu bremsen. Die Reform beinhaltete unter anderem die Erhöhung des Grenzwertes, ab dem Korruption strafbar ist. Sie war ein Versuch des Parteichefs der sozialdemokratischen PSD, Liviu Dragnea, sich selbst und andere Parteimitglieder vor strafrechtlicher Verfolgung zu schützen – letztendlich allerdings erfolglos. Im Mai 2019 bestätigte Rumäniens oberstes Gericht Dragneas Haftstrafe von dreieinhalb Jahren wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch.

Widerstand gegen die Justizreform

Die Justizreform führte zu massivem Widerstand in der rumänischen Bevölkerung. Es gab Massenproteste, bei denen über 450 Menschen verletzt wurden. Aber auch die Mehrheit der rumänischen Richter*innen und Staatsanwält*innen – insbesondere die medial präsente Laura Kövesi – kritisierten die Pläne der Regierung. Daraufhin empfahl der Justizminister Kövesis Entlassung. Nach der anfänglichen Weigerung von Staatspräsident Iohannis strengte diese Regierung ein Verfahren gegen Kövesi vor dem rumänischen Verfassungsgericht an, das in ihrer Entlassung endete.

Auf europäischer Ebene wurde die Entlassung vielfach kritisiert. Am 5. Mai 2020 verurteilte sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Kövesis Entlassung. Der EGMR sah in ihrem Fall das Recht auf Meinungsfreiheit sowie auf Unabhängigkeit der Justiz verletzt. Diese Entscheidung des Gerichtshofs rehabilitiert die Staatsanwältin nun offiziell. Folgen für die Regierung hat das Urteil jedoch nicht, nach den Wahlen 2019 verloren die zentralen Akteure ihre Ämter. Kövesi hingegen bekam ein neues: sie konnte am 1. Juni 2021 als erste EU-Generalstaatsanwältin ihre Arbeit aufnehmen.

Betrug in und gegen die EU

Als Leiterin der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) hat Kövesi einen deutlich engeren Aufgabenkreis. Die EUStA richtet ihre Ermittlungen gegen zwei Arten von Delikten. Einerseits wird gegen grenzübergreifende Wirtschaftsverbrechen, wie das sogenannte „Mehrwertsteuerkarussell“, ermittelt. Hier nutzen Unternehmen den mangelnden Austausch der Staaten untereinander aus und können so über Strohfirmen mehrmals Steuern zurückfordern, die sie jedoch nie gezahlt haben. Dieses komplizierte Vorgehen stellt nationale Strafverfolgungsbehörden vor massive Probleme, da die transnationalen Vorgänge selten nachweisbar sind. Gleichzeitig ist der Schaden enorm: rund 50 Milliarden Euro gehen den EU-Staaten jährlich verloren. Hier hat die EUStA die Chance, effektiver zu ermitteln als nationale Behörden.

Die zweite Art von verfolgten Delikten richten sich nicht gegen die Mitgliedsstaaten, sondern den Haushalt der EU selbst. Bis jetzt konnte das europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) zwar gegen Betrug mit EU Geldern ermitteln, diese Erkenntnisse jedoch nur an die nationalen Staatsanwaltschaften weiterleiten. Entschieden sich diese gegen ein Vorgehen, war die EU machtlos. In diesem Zusammenhang wurde OLAF deshalb oft als „zahnloser Tiger“ kritisiert. Mit der neu geschaffenen EUStA kann die Veruntreuung von Unionsmitteln direkt von EU-Staatsanwält*innen verfolgt werden. Das ist ein besonders relevantes Feld, da mit dem neuen Corona-Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ den Mitgliedstaaten in den nächsten Jahren außerordentlich hohe Kredite und Zuschüsse zur Verfügung gestellt werden. Wenn so viel Geld im Umlauf ist, erfordert dessen Verwendung auch eine effektive Kontrolle.

Startschwierigkeiten der verstärkten Zusammenarbeit

Aus Sicht der EU ist es daher besonders bitter, dass Länder, die in Vergangenheit mit der Zweckentfremdung europäischer Mittel besonders negativ aufgefallen sind, nicht Teil der europäischen Staatsanwaltschaft sind. So verweigern neben anderen ausgerechnet Ungarn und Polen die Zusammenarbeit. Sloweniens Premierminister Janez Jansa verhindert die Ernennung des slowenischen Kandidaten trotz jahrelanger Verhandlungen. Die Staatsanwaltschaft bedient sich nämlich der Form der „Verstärkten Zusammenarbeit“ als einziger Möglichkeit, eine Behörde zu errichten, ohne die Verträge der EU ändern zu müssen. Somit bleibt die Teilnahme jedoch freiwillig und die EuStA bei nur 23 von 27 möglichen Staaten.

Nun entsteht also in Luxemburg eine weitere Behörde. Dort befindet sich die zentrale Ebene der EUStA. Diese setzt sich aus dem Kollegium, also der Generalstaatsanwältin Kövesi, und den Vertreter*innen der Mitgliedsstaaten zusammen. Vertreten wird die Generalstaatsanwältin von dem deutschen Juristen Andrés Ritter, gegen den sich die Rumänin im Auswahlverfahren durchsetzen konnte. Trotz der räumlichen Nähe zu anderen EU-Institutionen ist die EUStA jedoch unabhängig und – anders als in Deutschland, wo die Staatsanwaltschaft Teil der Exekutive ist – nicht weisungsgebunden gegenüber Kommission, Rat oder Parlament. Der dezentralen Ebene gehören je zwei oder mehr delegierte Staatsanwält*innen (insgesamt etwa 140) an, die in den jeweiligen Ländern die Ermittlungen durchführen. Dort werden dann auch die Verbrechen vor den nationalen Gerichten zur Anklage gebracht.

Hoffnungen und Befürchtungen

Dies ist auch einer der Kritikpunkte an der neuen EU-Behörde. Sollten Richter*innen wie beispielsweise in Polen der Regierung willfährig sein, so laufen die Anklagen der EUStA ins Leere. Umso wichtiger ist es also für die EU, ein besonderes Auge auf die Unabhängigkeit der Justiz in ihren Mitgliedsstaaten zu haben. Auch befürchten Strafverteidiger*innen, dass bei der Ausgestaltung der Behörde und deren Befugnisse Beschuldigtenrechte zu wenig beachtet wurden.

Doch trotz der berechtigten Kritik wurde die EU-Staatsanwaltschaft überwiegend als Meilenstein gelobt, für den insbesondere das EU-Parlament lange gekämpft hat. So bezeichnet Katarina Barley die Behörde als Teil einer „europäischen Selbstverteidigung“ gegen die Erosion gemeinsamer Werte. Die Erwartungen könnten also nicht höher sein. So haben auch die Angehörigen der ermordeten Journalisten Daphne Caruana Galizia aus Malta und Jan Kuciak aus der Slowakei Kövesis Ernennung ausdrücklich unterstützt. Beide starben für ihre Beteiligung an der Aufdeckung von Korruptionsfällen.

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