Beim Bundeskongress 2013 haben sich die Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) intensiv mit der Frage beschäftigt, wie man zukünftig auf sogenannte „asymmetrische Krisen“ in der EU reagieren könnte. Hintergrund ist die nach wie vor vorhandene Anfälligkeit der Eurozone für konjunkturelle Schocks, weil die wirtschaftliche Produktivität in einigen Ländern deutlich höher liegt als in anderen und seit der Einführung des Euros die Möglichkeit weggefallen ist, solche Unterschiede durch Währungsauf- oder -abwertungen auszugleichen.
Kerneuropa als Reaktion auf drohenden Brexit
Die Jungen Europäischen Föderalisten begrüßen daher ausdrücklich das Vorhaben, den ökonomischen Verwerfungen der letzten Jahre endlich mit einheitlichen europäischen Mitteln politisch zu begegnen. Anlass des jetzt vorgelegten Plans der Bundeskanzlerin dürfte aber sicher nicht die Erkenntnis sein, dass „mehr Europa“ im Interesse des europäischen Volkes ist. Vielmehr scheint es sich um eine Reaktion auf den drohenden Austritt der Briten aus der Europäischen Union und die Forderung des britischen Premierministers Cameron nach Änderungen an den Verträgen zu handeln.
Es bedarf nun entschlossener Schritte, um endlich die Krise hinter uns zu lassen. Dazu sollte eine europäische Arbeitslosenversicherung ebenso gehören wie die Möglichkeit der europäischen Organe, einer europäischen Krise auch mit eigenen europäischen Mitteln zu begegnen. Da auch hier mit Widerstand der Nicht-Euro-Länder zu rechnen ist, sollte ein separater Haushalt innerhalb des europäischen Budgets eingerichtet werden, der für jene Staaten bereit stünde, die sich daran beteiligen wollen. Die Finanzierung könnte über CO2 Zertifikate, eine europäische Finanztransaktionssteuer sowie eine europäische Unternehmenssteuer laufen und so die nationalen Haushalte entlasten, beziehungsweise den Weg weg von den bisherigen jährlichen Matrikularbeiträgen der Nationalstaaten bedeuten.
Von der Krisenreaktion zur Gestaltung
Inwieweit Merkel auf diese oder ähnliche Vorschläge zurückgreifen wird, bleibt abzuwarten. Entscheidend festzuhalten ist aber, dass wir nun offenbar endlich den Weg von der Krisenreaktion hin zur Krisengestaltung gehen, und dass die einzelnen Eurostaaten außerdem die Möglichkeit erhalten, die Regeln dafür demokratisch mitzubestimmen, um Krisen zukünftig präventiv zu vermeiden. Noch immer warten wir auf eine Bankenunion und eine damit einhergehende einheitliche Bankenaufsicht sowie gemeinsame Regeln für die Abwicklung insolventer Banken – auch ein gemeinsamer Einlagensicherungsfonds würde für mehr Wettbewerbsgerechtigkeit sorgen.
Sollte Merkels Vorstoß erfolgreich sein und einige der oben skizzierten Forderungen enthalten, könnte ein voranschreitendes „Kerneuropa“ tatsächlich einen Fortschritt bedeuten, der sich vielleicht mit den 1960er Jahren vergleichen ließe. Damals waren die nordischen Staaten und vor allem Großbritannien der Meinung, die Europäische Gemeinschaft (EG) nicht zu benötigen – eine wirtschaftliche Verflechtung in der EFTA schien lukrativer, weil weniger verbindlich. Der Erfolg der Europäischen Gemeinschaft nötigte die Briten am Ende, ihren Kurs aufzugeben und um die Mitgliedschaft in der EG geradezu zu betteln.
Kritisch zu begleiten ist Merkels Vorschlag aber hinsichtlich ihres offenbar geplanten Versuchs, den Europäischen Rat zu stärken und damit die Nationalstaaten in einem solchen Konstrukt zu stärken, während das Europäische Parlament im Status quo verbleiben zu sollen scheint. In Merkels Vorstoß ist die Einbindung des Europäischen Parlamentes vorgesehen, ihm würde die demokratische Kontrolle über die Befugnisse und Handlungen der Eurozonen-Länder zuteil werden. Notfalls - und da bin ich auch anderer Meinung als der JEF-Beschluss aus dem Jahr 2013 - über eine separate Gruppe von „Euro-Parlamentariern“ im Europäischen Parlament.
Sogwirkung der vertieften Integration
Ich persönlich bin der Überzeugung, dass ein wirtschaftlich gestärktes und politisch einheitlicheres Kerneuropa eine derartige Sogwirkung auf die übrigen Staaten haben wird, dass an einem anschließenden Nachvollziehen der Integrationsschritte etwa durch Großbritannien mittelfristig kein Weg vorbei geht. Die Blockadehaltung der Briten und das ständige „Krisengipfeln“ müssen aufhören – wenn dies vorläufig nur durch ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ möglich sein sollte, und wenn Polen in naher Zukunft dem Euro beitreten sollte, hat es meinen Segen.
1. Am 4. Juni 2015 um 12:59, von Niklas Kramer Als Antwort Merkels Kerneuropakonzept: Ja, aber…
Super Artikel. Auch wenn ich befürchte Polen sich noch sehr sehr lange Zeit lassen wird. Der neu gewählte Präsident hat das genau so versprochen, wie die aktuelle Regierungspartei. Die Frage der Spaltung bleibt also, auch wenn ich für ein Europa der zwei Geschwindigkeiten bin.
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