Am 22. Januar unterzeichnen Emmanuel Macron und Angela Merkel einen neuen Elysée-Vertrag, einen Vertrag zur deutsch-französischen Kooperation und Integration, um die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern zu stärken und weiterzuentwickeln. Im Anschluss an die Vertragsunterzeichnung werden der Bundestag und die Nationalversammlung in Berlin und Paris ein deutsch-französisches Parlamentsabkommen verabschieden, das vor allem die Schaffung einer deutsch-französischen Versammlung konkretisiert.
Sylvain Waserman, Abgeordnete der Region Bas-Rhin und Vizepräsident der Nationalversammlung, hat an der Erarbeitung des neuen Elysée-Vertrags und des Parlamentsabkommens mitgewirkt. Mit dem Taurillon sprach er über diese deutsch-französische Initiative und deren Ziele auf lokaler, grenzüberschreitender und europäischer Ebene.
Le Taurillon: Wie ist die Idee einer deutsch-französischen parlamentarischen Versammlung entstanden?
Silvain Waserman: Letztes Jahr am 22. Januar, zum 55. Jahrestag des Elysée-Vertrag, haben der Bundestag und die Nationalversammlung eine gemeinsame Resolution verabschiedet, um die Erneuerung der parlamentarischen Beziehungen anzugehen. Hinter uns liegt also ein Jahr Arbeit, einmal zwischen den Exekutiven zum Aachener Vertrag und zwischen den Parlamenten zum deutsch-französischen Parlamentsabkommen. Ich war am deutsch-französischen Parlamentsabkommen als einer der neun französischen von insgesamt 18 Abgeordneten beteiligt, die daran gearbeitet haben, aber auch zum Aachener Vertrag habe ich für den Premierminister einen Bericht zur grenzüberschreitenden Dimension des Vertrags erstellt.
Was werden die Aufgaben der Deutsch-Französischen Versammlung sein, und wie wird sie zusammenkommen?
Die Deutsch-Französische Versammlung wird aus 100 Abgeordneten bestehen, 50 französischen und 50 deutschen, und unter Vorsitz von Wolfgang Schäuble als Bundestagspräsident und Richard Ferrand als Präsident der Nationalversammlung tagen. Die Deutsch-Französische Versammlung hat drei Ziele: Zuallererst wird ihre Aufgabe sein sicherstellen, dass der Aachener Vertrag tatsächlich umgesetzt wird, es handelt sich also um eine gemeinsame Kontrolle der beiden Exekutiven durch die beiden Parlamente. Die zweite Aufgabe ist die Angleichung der nationalen Rechtssysteme, damit die Umsetzung von EU-Richtlinien auf harmonischere Art und Weise erfolgt. Heute ist es fast ein Unfall, falls die Richtlinien in Deutschland und Frankreich auf die gleiche Weise umgesetzt werden. Wir wollen aber, dass diese Übersetzung ins nationale Recht grundsätzlich in gleicher Weise erfolgen, und dass nur in Ausnahmefällen und nur bei besonderem Bedarf eine unterschiedliche Umsetzung erfolgt. Außerdem wird die Deutsch-Französische Versammlung bei Themen wie beispielsweise Umweltpolitik eine Harmonisierung zwischen den beiden Rechtssystemen vorschlagen, insbesondere hinsichtlich eines deutsch-französischen Wirtschaftsrechts, das die Keimzelle eines europäischen Wirtschaftsrechts sein könnte.
In dieser Hinsicht ist der neue Aachener Vertrag sehr auf das Ziel gerichtet, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zwischen Deutschland und Frankreich zu schaffen. Es geht also darum, mit einer deutsch-französischen Initiative zur Annäherung des Wirtschaftsrechts die wirtschaftliche Entwicklung zwischen den beiden Staaten zu fördern und auf lange Sicht auch Auswirkungen auf die europäische Ebene zu erzielen.
Ein drittes Ziel des Parlamentsabkommens ist thematische Ausschüsse einzusetzen, die gemeinsame Positionen für die europäische Ebene entwickeln.
Ist bezüglich dieser drei Ziele auch eine Abstimmung mit der Arbeit des Europäischen Parlaments vorgesehen?
Ja, sie ist notwendig. Heute stellen wir eine fehlende Verbindung fest: Die französischen Abgeordneten treffen sehr selten, wenn nicht sogar nie, die französischen Abgeordneten im Europaparlament. Das ist ein Problem, vor allem dann, wenn es um komplexe Themen geht, die in der exklusiven Kompetenz der EU liegen, wie beispielsweise Außenhandel. Wir gehen davon aus, dass wir handeln müssen, um diese Lücke zu füllen und diese Verbindung wieder zu schaffen, die alles andere als natürlich ist. Sobald also eine gemeinsame Position der Deutsch-Französischen Versammlung bekräftigt wird, wird das die Gelegenheit sein, diese Position auch mit unseren Vertreter*innen im Europäischen Parlament zu besprechen.
Was werden die Verträge für die europäischen Bürger*innen ändern, und wie können sie die Arbeit der Deutsch-Französischen Versammlung verfolgen?
Die Auswirkungen auf die Bürger*Innen sind sehr direkt, besonders für jene, die in Grenzgebieten leben. Hier gibt es ein Thema anzugehen, das auch im Aachener Vertrag verankert ist: die Schwierigkeiten im alltäglichen Leben der Bewohner*innen der Grenzgebiete, die direkt auf die Unterschiede in den Rechtssystemen zurückzuführen sind, zum Beispiel die Anerkennung von Abschlüssen oder Handelshindernisse. Man kann hier diverse Beispiele anführen, den Floristen aus Kehl, der ins Informationssystem zu entsendeten Arbeitnehmer*innen in Frankreich aufgenommen werden muss, um einen Blumenstrauß auf der anderen Seite des Rheins in Straßburg ausliefern zu können, oder die französischen Erzieherinnen, die nicht mit deutschen Kindern allein sein dürfen, weil sie keinen deutschen Abschluss haben… Der Aachener Vertrag sieht die Einrichtung einer Task Force vor, die mit den Regelungskompetenzen der Präfekte, den Gesetzgebungskompetenzen der Abgeordneten und der Kompetenzen der lokalen Exekutiven diese Ärgernisse des täglichen Lebens angeht und eine bessere Lösung erzielt. Uns fehlt heute eine konkrete Lösung, wie es oft die Eurodistrikte beklagen, die diese Ärgernisse und die Begrenzungen spüren, aber in all jenen Feldern keine Lösung beisteuern können, die Gesetzgebung erfordern.
Der Aaachener Vertrag bringt hier eine große Erneuerung, indem er es ermöglicht, sich in gewissen Bereichen über das nationale Recht hinwegzusetzen und in den Grenzgebieten die beiden Rechtssysteme anzugleichen.
Dieser Ansatz bei den grenzüberschreitenden Beziehungen, auf der lokalen Ebene zwischen Deutschland und Frankreich, soll also zukünftig auch andere EU-Staaten inspirieren, die Grenzen teilen?
Ja, die Wette sieht so aus: Frankreich und Deutschland haben heute, wenn man sich den Zustand der EU anschaut, eine Pflicht mehr, eine zusätzliche Verantwortung, und müssen Erneuerung vorantreiben. Was ein deutsch-französisches Wirtschaftsrecht angeht, das ein europäisches inspirieren könnte, haben schon andere Staaten ihren Wunsch geäußert, dieser Initiative beizutreten, wie etwa die Benelux-Staaten, denen bewusst ist, dass die Teilnahme an diesem Projekt eher in ihrem Interesse liegt, als von dieser Harmonisierung ausgenommen zu sein. Wir stellen fest, dass die institutionellen Lösungen nicht mehr funktionieren: Wenn wir das Insolvenzrecht oder die Steuerbemessungsgrundlagen mit 27 oder 19 Staaten vereinheitlichen wollen, ist das äußerst kompliziert. Man kann sich kaum vorstellen, dass Irland irgendeiner europäischen Änderung zu den Steuerbemessungsgrenzen zustimmen würde. Also muss das deutsch-französische Tandem diese Initiativen zur rechtlichen Harmonisierung anstoßen. Fakt ist: Wir haben heute die Eurozone, die das Ziel von Harmonisierung hat, weil sie auf einer einheitlichen Währung und dem Willen zur Einheit gegründet ist, aber wir haben eine Realität der großen Unterschiede in der Eurozone. Diese deutsch-französische Initiative kann faktisch eine neues Ziel für die Überstimmungen schaffen, dass Deutschland und Frankreich hinausgeht, weil sich viele Staaten sagen können: Das ist sicherlich nicht aufgezwungen, das ist keine Verordnung, aber es ist eine sinnvolle Praxis in der Umsetzung, die die Volkswirtschaften und das rechtliche Umfeld der Unternehmen vorankommen lassen kann.
Wo wir schon bei der deutsch-französischen Initiative sind, was kann man eventueller Kritik von anderen Mitgliedsstaaten oder politischen Parteien entgegensetzen, die die Politik der Mitte des deutsch-französischen Tandems missbilligen könnten?
Alle Parteien mit Ausnahme der extremen unterstützen die Deutsch-Französische Versammlung. Wir haben auf Grundlage dieses Vorschlags ein Treffen der beiden Präsidien der Parlamente einberufen, das angenommen wurde. Mitte November haben die beiden Abgeordnetengruppen und die politischen Parteien gemeinsam, jedoch wiederum mit Ausnahme der extremen Parteien, das Projekt angenommen. Deswegen denke ich, dass es einen starken politischen Konsens gibt. Geschieht diese Initiative im Rahmen eines Europas der zwei Geschwindigkeiten? Aus meiner Sicht handelt es sich nicht um eine institutionelle Initiative für ein Europa der zwei Geschwindigkeiten, sondern vielmehr um eine Initiative, die eine Annährung bewirken soll. Ich glaube, dass es unverantwortlich ist zu sagen, dass schon alles so in Ordnung ist, dass wir so weitermachen können wie bisher, dass es nicht schlimm ist, dass wir uns voneinander entfernen, und dass es sowieso keine institutionelle Lösung gibt. Es ist die Verantwortung unseres Tandems, durch das Machen von Vorschlägen, die alle Länder der Eurozone einschließen, eine gestaltende Kraft zu sein, damit wir uns im Wirtschaftsbereich mehr aneinander annähern können.
Ich finde, dass heutzutage die institutionellen Lösungen, zum Beispiel die 27 unterschiedlichen Besteuerungssysteme, nicht wirksam sind. Wenn wir es schaffen, die Steuerbemessungsgrundlagen Deutschlands und Frankreichs zusammen zu bringen, dann ist es wahrscheinlich, dass viele andere Länder diesen Schritt ohne weiteren Druck mit uns gehen werden.
Wenn Sie wissen wollen, ob man dadurch riskiert, sich „Feinde“ zu machen, dann lautet die Antwort eindeutig ja. Wir können uns aber nicht den Luxus erlauben so zu tun, als wäre alles in Ordnung und als würden wir uns von alleine aufeinander zubewegen, während die Länder der Eurozone in Wahrheit auseinanderdriften. Ich bin davon überzeugt, dass eine gemeinsame Währung auseinanderdriftender Wirtschaften keinen Bestand hat. Wir müssen dafür sorgen, dass wir uns wieder aneinander annähern, und dabei müssen wir feststellen, dass institutionelle Lösungen wenig wirksam sind.
Man darf den Vertrag und die Versammlung daher nicht als eine Initiative ansehen, die mit Europa konkurriert. Da würden Sie sie falsch verstehen.
Welche Rolle kann dieser Vertrag denn dann in einer von Krisen gezeichneten Europäischen Union spielen?
Sie müssen verstehen, dass es bei dieser Initiative um Themen geht, die ebenso wichtig sind wie die grenzüberschreitenden Fragen, aber dass dieses eben nicht das einzige ist. Es geht um die Rolle unserer beiden Länder und um ihre Verantwortung in einer Zeit, in der Europa gleichzeitig bedroht ist und Hoffnung schenkt. Europa wird von Populismus bedroht und wir können nicht einfach so die Hände in den Schoß legen. Wie ich auch heute schon beim der Ansprache an der IHK Karlsruhe gesagt habe, müssen Wirtschaftsakteur*innen ebenfalls Verantwortung übernehmen.
Wir können nicht einfach so dastehen und zuschauen, wie sich das Europa, das sich unsere Großeltern vorgestellt und das unsere Eltern aufgebaut haben, zerfällt. Es ist an uns, eine neue konkrete und pragmatische Dynamik anzuregen, um den Erwartungen der Bürger*innen gerecht zu werden.
Sie haben ebenfalls an einem Bericht über die Zukunft der Eurozone gearbeitet. Was hat das ergeben?
In diesem Bericht habe ich praktische und pragmatische Maßnahmen vorgestellt, darunter drei, die ich gerne mit Ihnen teilen möchte. Die erste Maßnahme ist die der deutsch-französischen Initiative der Konvergenz, die ich „parallele Konvergenz“ nenne, um zu zeigen, dass es sich hierbei um eine Konvergenz handelt, die jedes Land mit gemeinsamen Zielen vollzieht. Die zweite ist das europäische Wirtschaftsrecht, also die Manifestation dieser Konvergenz für das rechtliche Umfeld von Unternehmen. Bei der dritten Maßnahme geht es um das Budget der Eurozone.
In der Meseberger Erklärung haben Angela Merkel und Emmanuel Macron vereinbart, dass sie für ein Budget der Eurozone sind. In meinen Vorschlägen habe ich betont, dass das Budget der Eurozone von Steuern gespeist werden muss, die kein Land alleine erheben kann, wie die auf GAFA (Google, Apple, Facebook und Amazon). Wenn wir ein Budget hätten, das sich aus Ressourcen zusammensetzt, die kein Land alleine eintreiben kann, wäre das eine starke Botschaft an die Bürger*innen. Dies würde nicht nur eine Machtverschiebung darstellen, sondern auch den Beweis liefern, dass die EU und die Eurozone hier einen Einfluss auf die GAFA haben, wie ihn kein einzelner Staat haben kann.
Auf der anderen Seite müssen wir uns unter automatischen Stabilisatoren einen europäischen Beschäftigungsfonds vorstellen, der es im Krisenfall oder bei einem plötzlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit aufgrund einer Umstrukturierung der Wirtschaft der EU erlauben wird, direkt und von diesem Budget Lehrgänge zu finanzieren und sie gleichzeitig zu entschädigen. Diese Funktion der automatischen Stabilisatoren hätte die Chance, nachhaltig zu sein, wenn arbeitslose Bürger*innen, die von dieser Hilfe profitieren, wüssten, dass es sich um ein europäisches Hilfsangebot handelt und dass sie diese Lehrgänge dank eines europäischen Programms erhalten. Dann gibt es eine direkte Verbindung zwischen der Union und dem*der Leistungsempfänger*in. Dieser Fonds muss es uns außerdem erlauben, nicht nur in Entschädigungen, sondern auch in Kompetenzen zu investieren. Dadurch helfen wir den Bürger*innen, sich der Wirtschaft von morgen nicht nur mit einer Entschädigung, sondern mit einer Ausbildung zu präsentieren. Auf diese Weise können wir den Bürger*innen die Nützlichkeit der automatischen Stabilisatoren eines Budgets der Eurozone begreifbar machen.
Vielen Dank für Ihre Antworten und Ihre Erklärungen bezüglich der deutsch-französischen Initiative und Ihrer Vorschläge zur Zukunft der Eurozone.
Kommentare verfolgen: |