Neue Grenzen: ein Tabu?

, von  Marie Genries, übersetzt von Stéphanie-Fabienne Lacombe

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Neue Grenzen: ein Tabu?
An der ungarisch-serbischen Grenze hat die ungarische Polizei einen Stacheldrahtzaun hochgezogen, um die Flüchtlinge am Übergang zu hindern. Der freie Personenverkehr des Schengenraums ist gefährdet und die Balkanroute für die Flüchtlinge, die sich nun in Griechenland sammeln, dicht. © Bőr Benedek / Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.0-Lizenz

Grenzen kennzeichnen das Territorium eines Staates und bilden somit seinen Machtspielraum. Sie ermöglichen ihren Staatsangehörigen eine Identität. In Europa sind sie unantastbar und mit dem Schengenraum in der Praxis quasi abgeschafft. Aber die Flüchtlingsdebatte hat neue Ängste geschürt, die sich nun materialisieren.

Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer und wenig später der Eiserne Vorhang. Europa feierte die Öffnung mit Begeisterung. Am 23. Februar 2016 führte Belgien wieder Grenzkontrollen zu Frankreich ein, um die Flüchtlingsbewegung aus Calais zu kontrollieren. Heute erheben sich in Europa vielerorts wieder Mauern und Länder verschließen sich. Eine bedeutende politische Kehrtwende, die eines der Hauptprinzipien der EU in Frage stellt. Das Schengener Abkommen ermöglicht freien Personen- und Güterverkehr in der EU. Die Bürger profitieren von dieser Grenzöffnung auch im Alltag beim Reisen, Arbeiten und Studieren.

Neue Grenzbildungen

Der Schengenraum ist in seiner Form einmalig. Dennoch möchte anscheinend kein anderer Ort auf Erden ihm ähnlich sein. Der Geograph und Diplomat Michel Foucher bestätigt den Eindruck: „Nie ging es den Grenzen so gut wie in unserer globalisierten Welt“. Die Mehrheit der Staaten verschreibt sich den Grenzen, die ihre nationalstaatlichen Territorien schützen.

In den USA, Israel, Korea oder Zypern hindern seit langem Zäune die Menschen am Überqueren. Diese Tendenz ist nun auch innerhalb der EU aufzufinden. Angesichts der vielen Flüchtlinge führen Länder wie Österreich, Ungarn und selbst Deutschland teilweise wieder Grenzkontrollen ein. Die Angst vor Terrorismus, hoher Zahlen an Einwanderern und wirtschaftlicher Instabilität lassen sie aktiv werden. Die Migranten, für die Europa das Eldorado scheint, finden sich gefangen zwischen den Balkanstaaten wieder, die nach und nach ihre Grenzen schließen.

Diejenigen, die es durch die Maschen des Netzes schaffen, bleiben dann doch in Calais oder Grande-Synthe hängen und ertragen unmenschliche Konditionen in den nordfranzösischen Flüchtlingslagern, in der Hoffnung, durch den Ärmelkanal zu kommen. Die britische Polizei kooperiert mit der französischen und kontrolliert auch die Schiffe im Hafen vor illegalen Mitfahrern. Großbritannien illustriert diese Rückkehr zur Abschottung. Am 23. Juni stimmen die Briten in einem Referendum über den Austritt des Landes aus der EU ab. Trotz der letzten Abkommen, die mit Brüssel geschlossen wurden und der Bemühungen des Premierministers David Cameron, bleiben die Umfragewerte eng.

Von einer Zersplitterung der EU hätte kaum ein Staat etwas. Das Ende des Schengenraums würde die EU zwischen 470 und 1400 Milliarden Euro kosten, ergeben Schätzungen des Prognos Instituts. Michel Foucher ist sich sicher, dass die Grenzen sich wieder öffnen werden. Deutschland hat im letzten Jahr über eine Million Flüchtlinge aufgenommen. 200 000 Menschen überqueren täglich die französische Grenze. Zwischen Slowenien und Kroatien reagieren die Bürger: sie organisieren Volleyballturniere über den Zaun hinweg und stehlen den Stacheldraht. Auf der Südseite des Balkans hat die Türkei die Verhandlungen zum EU-Beitritt wiederaufgenommen. Im Austausch bekommt Ankara drei Milliarden Euro von der EU, um mehr Flüchtlinge aufzunehmen, auch wenn bereits zwei Millionen Menschen im Land angekommen sind.

Die EU ist geteilt zwischen der von den Institutionen gepredigten Öffnung und den Abkapselungstendenzen der Staaten, die dem europäischen Projekt widersprechen. Diese Dualität wird die Spannungen auf allen Etagen befördern. Eine Zerreißprobe für die EU, deren Ausgang ungewiss ist.

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