Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen ...

, von  Markus Thürmann

Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen ...
Die Orban-Regierung hat mit dem Bau eines Grenzzauns zwischen Ungarn und Serbein begonnen. Foto: © European Union 2012 EP/Pietro Naj-Oleari / Flickr / CC BY-NC-ND 2.0 Lizenz

... wohl aber einen Zaun – einen 151 Kilometer langen Zaun. Die ungarische Regierung unter dem Premier Viktor Orbán hat im Juni 2015 die Planungen für einen Grenzzaun entlang der Grenze zu Serbien in Auftrag gegeben. Seit dem 13. Juli 2015 werden erste Probeabschnitte errichtet. Der vier Meter hohe Zaun soll vor allem Flüchtlinge abhalten, die über die sogenannte „Westbalkan-Route“ über Ungarn in die EU einreisen wollen.

Westbalkan-Route und Asylsuchende: Daten und Fakten

Die Migrationsströme, die in die EU gehen, werden in sieben Hauptströmungen unterteilt. Die Westbalkan-Route bezeichnet dabei die Strecke über die Türkei, Griechenland, Mazedonien und Serbien nach Ungarn, wobei die Asylsuchenden entlang dieser Strecke vor allem aus Vorderasien, dem Kosovo und Albanien kommen. 2014 wurden in Ungarn etwa 42.000 Asylanträge gestellt; 2015 waren es bis einschließlich Mai bereits mehr als 50.000. Dies ist vor allem auf den Konflikt in Syrien und dem Irak sowie dem Konflikt in der Ukraine zurückzuführen.

Damit ist Ungarn das Land innerhalb der EU, welches für Anfang 2015 mit Abstand die meisten Asylanträge relativ zur Bevölkerungszahl aufweist (s. Diagramm 1). Durch den Anstieg in den letzten beiden Jahren liegt Ungarn in den absoluten Zahlen mittlerweile auf Platz 5 innerhalb der EU (s. Diagramm 2).

„Festung Europa“

Mit dem Bau einer Grenzanlage zur Flüchtlingsbekämpfung wäre Ungarn nicht das einzige oder gar das erste Land in Europa, das versucht, sich nach außen hin hermetisch abzuriegeln. Spaniens Exklaven auf dem afrikanischen Kontinent - Ceuta und Melilla - sind mit Zäunen, Bewegungsmeldern und Patrouillen gesichert. Griechenland hat sich 2012 zur Türkei hin mit einem Zaun über die Landgrenze abgeschottet. Darüber hinaus hat Bulgarien einen 30 Kilometer langen Zaun an der türkischen Grenze gebaut und modernisiert dort die Anlangen aus den Zeiten des Kalten Krieges.

„Erfolg“ der bisherigen Maßnahmen?

In Bulgarien stellten nach dem Bau des Zaunes mehr Menschen einen Antrag auf Asyl als zuvor, was auf die oben genannten Konflikte zurückzuführen ist. Die Anzahl der Asylsuchenden in Griechenland ging nach der Fertigstellung des Zauns zurück, allerdings lag der Rückgang innerhalb der statistischen Schwankungen. Zwar sind weniger Menschen über den Landweg nach Griechenland geflohen, aber diese Asylsuchenden sind stattdessen auf den Seeweg ausgewichen. Der Gesamtflüchtlingsstrom ist also gleich geblieben und hat sich nur vom Land- auf den Seeweg verschoben (s. Diagramm 3).

Ungarns mögliches Ziel

Die dem europäischen Asylrecht zu Grunde liegenden Vereinbarungen wurden 1990 in Dublin beschlossen und seitdem zwei Mal erneuert. Die Verordnung (EU) Nr. 604/2013, besser bekannt als Dublin-III-Verordnung, regelt unter anderem, in welchem Land Anträge auf Asyl gestellt werden können. Sollte ein Antragssteller „aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedsstaats illegal“ überschreiten, so ist ebendieser Mitgliedsstaat auch für die Bearbeitung des Asylantrages verantwortlich. Hieran offenbart sich ein Unterschied zwischen den bisher genannten Beispielen und Ungarn. Weder an den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla noch an der griechisch-bulgarische Grenze haben Asylsuchende die Möglichkeit, eine Alternative über den Landweg zu wählen. Das Kalkül der ungarischen Regierung könnte sein, dass durch den Zaun an der ungarisch-serbischen Grenze der Flüchtlingsstrom über die EU-Mitgliedsstaaten Rumänien oder Kroatien umgeleitet wird. Dies wäre spätestens dann möglich, wenn Bulgarien, Rumänien und Kroatien voraussichtlich dieses oder nächstes Jahr endgültig in den Schengen-Raum aufgenommen werden.

Ein Fazit

Was am Ende auf jeden Fall nach außen hin stehen bleiben wird, ist ein Zaun – ein Symbol der Trennung und der Abspaltung. Es ist Ironie der Geschichte, dass zum Ende des Kalten Krieges Ungarn als eines der ersten Länder die Grenzen geöffnet hat und jetzt die Grenzen wieder schließt. Diese neue Abschottung wird aber letztlich der EU angelastet werden und so muss sie sich wohl auch in Zukunft den Vorwürfen stellen, die „Festung Europa“ nicht verhindern zu wollen. Eine gemeinsame europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik könnte dies ändern. Doch die Absage einer festen Quotenregelung für Flüchtlinge Anfang 2015 zeigt, dass viele Länder – unter anderem Ungarn und Spanien – sich auf die Dublin-III-Regeln und das damit einhergehende System verlassen und daran festhalten wollen. Die Grenz- und Flüchtlingspolitik der ungarischen Regierung wird drei Verlierer haben. Dies sind zum einen die Nachbarländer, die sich auf diese Weise auf eine größere Menge an Flüchtlingen einstellen müssen. Zum anderen ist es die EU, die es in der Öffentlichkeit schwer haben wird, für Menschenrechte einzustehen, während sie sich nach außen hin gegen alles abschottet. Die größten Verlierer sind vor allem aber die Flüchtlinge selbst, die durch diese Maßnahmen weiteren Gefahren ausgesetzt sind und denen humanitäre Hilfe durch EU-Mitgliedsstaaten außerhalb der Außengrenze der EU versagt bleibt.

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