Nord Stream 2: Worum geht es eigentlich?

, von  Hannah Luisa Faiß

Nord Stream 2: Worum geht es eigentlich?
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Bereits im Jahr 2015 war der Bau von Nord Stream 2 beschlossen worden, doch die Debatte darüber scheint sich in den letzten Monaten immer mehr zu erhitzen. Entgegen der lange vorgebrachten Bekundungen der deutschen Bundesrepublik, handelt es sich bei dem Ausbau der Ostseepipeline um weit mehr als um ein kommerzielles Projekt. Es geht um Fragen der europäischen Solidarität, der europäischen Versorgungssicherheit und den richtigen Umgang mit Russland.

Nord Stream 2 ist das Nachfolgeprojekt der bereits 2011 in Betrieb genommenen Ostseepipeline, die russisches Erdgas direkt nach Deutschland befördert. Die aktuelle Transitkapazität wird dadurch um weitere 55 Milliarden Kubikmeter im Jahr erhöht, die Kosten des Baus liegen zwischen etwa acht und zehn Milliarden Euro. Beteiligt sind fünf westeuropäische Firmen als Investorinnen – OMV (Österreich), Royal Dutch Shell (Großbritannien/Niederlande), Engie (Frankreich), Uniper und Wintershall (Deutschland) – und das russische Energieunternehmen Gazprom. Die fünf westeuropäischen Firmen stellen die Hälfte der Investitionen, die andere Hälfte trägt Gazprom, das auch alleiniger Gesellschafter ist. Die neuen Rohrleitungen verlaufen vom russischen Wyborg bis zum deutschen Lubmin bei Greifswald über 1.230 Kilometer durch die Ostsee.

Wieso die Pipeline? - Deutsche und Russische Interessen

Da Gazprom sich zu mehr als der Hälfte in den Händen des russischen Staates befindet, sind die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens nicht von den geostrategischen Interessen der russischen Regierung zu trennen. Bekanntermaßen ist es ein erklärtes Ziel Russlands den Gastransit über die Ukraine einzustellen, die es insbesondere seit der Krise 2014 nicht länger als sicheres Transitland betrachtet. Das russische Erdgas direkt nach Deutschland zu liefern, hat neben der Umgehung der Ukraine für Russland auch den Vorteil, dass weitere Transitgebühren an andere Transitländer entfallen und eine direkte, effiziente Verbindung zum europäischen Absatzmarkt geschaffen wird. Deutschland bietet sich aufgrund seiner zentralen Lage als guter Umschlagplatz an und ist zudem der größte Abnehmer von russischem Gas.

Aus deutscher Perspektive dient das Projekt in erster Linie der Energieversorgungssicherheit. Der Ausstieg aus der Kernenergie und der noch bevorstehende Ausstieg aus der Kohleenergie lassen eine Versorgungslücke erwarten, die durch höhere Gasimporte aus Russland kompensiert werden soll. Der alleinige Ausbau von erneuerbaren Energien reicht laut Expert*innen nicht zur Abdeckung des deutschen Energiebedarfs aus und europäische Länder wie die Niederlande und Norwegen werden die eigene Gasfördermenge reduzieren. Da Flüssiggas (LNG) vergleichsweise teuer ist, wird Nord Stream 2 in Deutschland als Voraussetzung gesehen, um den Endverbraucher*innen und der Industrie Preisstabilität zu garantieren.

Deutsche Versorgungssicherheit oder Europäische Energieunion?

In Deutschland hatte man in den letzten Jahrzehnten privatwirtschaftlichen Energiekonzernen die Frage der nationalen Versorgungssicherheit überlassen. Energieressourcen werden demnach als Wirtschaftsgut verstanden, so dass die politische Situation in den produzierenden und exportierenden Ländern weitestgehend irrelevant war, solange die Geschäfte rentabel blieben. Dementsprechend verwies die deutsche Bundesregierung immer wieder darauf, dass Nord Stream 2 ein rein kommerzielles Projekt sei, aus dem sie sich heraushielte. Erst im April 2018 räumte Bundeskanzlerin Angela Merkel ein, dass doch auch politische Faktoren eine Rolle spielten. Gemeint ist damit vor allem der noch immer ungeklärte Transitstatus der Ukraine. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass auch weiter eine bestimmte Menge an Gas durch die Ukraine geleitet wird. Im Jahr 2016 wurden immerhin noch 53% der russischen Gaslieferungen in die EU über die Ukraine geleitet, doch mit der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 drohen der Ukraine eine Reduzierung des Volumens auf ein Viertel des aktuellen Volumens und der Verlust von ca. 1,8 Milliarden Euro an Transitgebühren.

Doch abgesehen vom finanziellen Aspekt geht es vor allem auch um Geostrategie. Mit Nord Stream 2 verliert die Ukraine auch ein Druckmittel gegenüber Russland. Insbesondere die osteuropäischen Staaten sehen darin ein großes Problem und verurteilen Nord Stream 2. Sie sehen es als höchst problematisch an, dass die EU einerseits Sanktionen gegen Russland verhängt, gleichzeitig aber durch Nord Stream 2 Milliarden in den russischen Staatshaushalt fließen werden. Die russische Aggression auf der Krim und die Unterstützung illiberaler und EU-skeptischer Bewegungen in Europa machen Russland nicht gerade zu einem vertrauenswürdigen Partner. Deshalb wird von vielen kritischen Stimmen bemängelt, dass sich Deutschland und auch Europa durch Nord Stream 2 noch abhängiger von russischem Gas machen. Dies scheint zudem in den Augen vieler Politiker*innen nicht mit den Grundsätzen der Energieunion, welche Routen- und Lieferantendiversifizierung fordern, vereinbar zu sein.

Zweifel an europäischer Solidarität

Letztlich geht es bei der Debatte auch um europäische Solidarität. Denn trotz der zu erwartenden Transitgebührenverluste vieler osteuropäischer Staaten und ihrer sicherheitspolitischen Bedenken hält Deutschland ohne Rücksichtnahme am Projekt fest. Insbesondere die osteuropäischen Staaten sehen in Nord Stream 2 auf ihre Kosten die Durchsetzung egoistischer, deutscher Eigeninteressen. Bereits die deutsche Energiewende wurde ohne Vorabkonsultationen mit Brüssel beschlossen, obwohl sie auch mit weitreichenden Implikationen für weitere EU-Mitgliedstaaten verbunden war. Und im Falle der EU-Migrationspolitik forderte Deutschland von den ost- und mitteleuropäischen Ländern Solidarität – nun erscheint es ihnen, als würde Deutschland nur dann von Solidarität sprechen, wenn es den eigenen Interessen nutzt.

Die Lage spitzt sich zunehmend zu. Im Februar wurde eine EU-Richtlinienänderung beschlossen, die beinahe das Aus für Nord Stream 2 bedeutet hätte. Dank der Unterstützung Frankreichs konnte Deutschland einen Kompromiss ausarbeiten. Es ging um die Frage, ob die Pipeline in den Geltungsbereich der EU-Gasrichtlinie fällt oder nicht – diese sieht nämlich vor, dass die Pipelinebetreiber und Gaslieferanten getrennt werden. Gazprom hat jedoch beide Rollen inne, was zum Problem werden könnte. Der ausgehandelte Kompromiss macht Deutschland zum Regulierer, sollte es zu Verhandlungen mit Russland kommen, in denen das EU-Recht angewandt werden muss. Daraufhin folgte im Juli eine Nichtigkeitsklage der Aktiengesellschaft hinter Nord Stream 2, die in der Richtlinie einen mutwilligen Versuch der Behinderung des Projekts sieht, was gegen die EU-Rechtsgrundsätze der Verhältnismäßigkeit und Gleichmäßigkeit verstoße. Auch aus den USA kommt kräftiger Gegenwind. US-Präsident Trump wettert gegen Nord Stream 2 und droht mit Sanktionen gegen europäische Unternehmen, die mit Russland zusammenarbeiten. Die USA verfolgen dabei klar eigene wirtschaftliche Interessen und möchten möglichst viel ihres LNG im europäischen Markt unterbringen.

Bei all den Auseinandersetzungen bleibt festzuhalten, dass der Eindruck entstanden ist, die europäische Energieunion sei noch nicht vollends ausgereift. Trotz vereinbarter Grundsätze und vieler Kritiker*innen innerhalb der EU wird Nord Stream 2 fertig gestellt und in Betrieb genommen werden. Das deutsche Beharren auf der reinen Kommerzialität des Projekts hat für viel Unmut bei anderen EU-Mitgliedern gesorgt und den Eindruck erweckt, die deutsch-russischen Sonderbeziehungen seien wichtiger als der europäische Solidaritätsgedanke und die Interessen der Europäischen Gemeinschaft. Gleichzeitig sehen andere in Nord Stream 2 eine der wenigen verbleibenden Verbindungen zu Russland, die es zu erhalten gilt. Trotz der Beteuerungen, dass Nord Stream 2 der Energieversorgungssicherheit aller Europäer*innen diene, hat Deutschland sich unbeliebt gemacht. Der einzig klare Gewinner, der aus dem Bau von Nord Stream 2 hervorgeht, scheint Russland zu sein.

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