Anders als Monarchie oder Tyrannis sollte eine Demokratie eigentlich gewährleisten, dass auch schlechte Politiker nicht das Gemeinwesen insgesamt zerstören können. In den nächsten Tagen droht, dass die Europäische Demokratie zeigt, dass sie das nicht leisten kann. Nicht Tsipras oder Merkel sind das Problem, sondern ein Mangel an Europäischer Demokratie, der ihrer Unfähigkeit zum Kompromiss erlaubt, solchen Schaden anzurichten.
Griechenland zur Strafe aus dem Euro ins Elend zu stürzen wäre ein Rückschritt zur mittelalterlichen Prangerstrafe
Viele Populisten, aber auch die FAZ und viele in der CDU wollen „endlich“ den Grexit. Der Entzug des Euro soll Strafe sein für Unwilligkeit sein, den Regeln zu folgen. Das Elend Griechenlands würde so zum abschreckenden Beispiel für alle anderen Regelverletzer. Aber Griechenland zur Strafe aus dem Euro ins Elend zu stürzen wäre ein Rückschritt zur mittelalterlichen Prangerstrafe. Unser modernes Strafrecht soll Menschenrechte achten. Ebenso darf die politische Strafe für den ideologietrunkenen Tsipras nicht die Existenzvernichtung für die 40 Prozent der EU-Bürger in Griechenland bedeuten, die sogar krisenverschärfende Kürzungen hingenommen hätten, um sicher im Euro bleiben zu können. Ein Grexit kann deshalb politisch nicht in Frage kommen. Es braucht weiterhin eine faire Einigung.
Verhandlungen zwischen nationalen Regierungen haben sich für einen großen Kompromiss im europäischen Gesamtinteresse einmal mehr als kaum geeignet erwiesen. Das Referendum kann den Mangel an Europäischer Demokratie nicht heilen. Das Oxi löst keines der Probleme für Griechenland oder Europa. Was in unserem Essen ist, wie gleichberechtigt Männer und Frauen sind, mit wem wir Handel treiben: Für diese Fragen funktioniert die Europäische Demokratie schon ganz gut, das Europaparlament bündelt die Anliegen und Sorgen der Bürger und findet Kompromisse. Europäische Parteien wollen in Griechenland und Deutschland, im Süden und im Norden stimmen gewinnen und können die einen nicht gegen die anderen ausspielen. Deshalb muss das Politikversagen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik endlich der Start sein, Konsequenzen für die Entscheidungsmethode auch in diesem Bereich sein. In der Europäischen Demokratie gemeinsam entscheiden funktioniert besser als intergouvernementales Überwachen und Strafen.
Ohne soziale Mindeststandards trifft EU-Politik unschuldige EU-Bürger
Es stimmt, dass reiche Griechen oft keine Steuern zahlen, teils aber mit Hilfe von Schlupflöchern anderer EU-Länder. Falsch ist, dass griechische Renten vergleichsweise höher seien als in Deutschland. Unterschiedliche Standards untergraben die Bereitschaft zur Solidarität. Gäbe es harte Mindeststandards in der Besteuerung, es wäre leichter solidaritsch zu sein, wenn die Vergleichbarkeit größer wäre. Änlich würden soziale Mindeststandards die Treffgenauigkeit der Maßnahmen erhöhen und sie damit legitimer machen. Ohne europäische soziale Mindestgarantien konnten die EU-Institutionen schon seit Jahren kaum sicher sein, dass sie letztlich nicht die völlig falschen Treffen, weil z.B. im Zweifel die falschen rausgeschmissen werden, wenn im öffentlichen Sektor gekürzt wird. Wenn viele Zugang zu ärztlicher Versorgung durch SYRIZA-organisierte Freiwillige haben, trägt das zu 60 Prozent Nein-Stimmen bei. Vor allem aber: Dürfen EU-Institutionen, darf der Europäische Rat es hinnehmen, dass problematische Entscheidungen einer Regierung Millionen Bürger in eine Notlange bringen? Wenn Angela Merkel sagt, dass Europa ruhig abwarten könne, dann wohl weil die Finanzstabilität gewährleistet ist. Soziale Mindestansprüche auch der EU-Verträge sind derweil kaum gesichert. Welche Strukturreformen auch immer Voraussetzung eines nächsten Griechenlandpakets sein werden, soziale Mindeststandards auf den Weg zu bringen, wird das Handeln der EU legitimer und zielführender machen.
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