Pazifismus zur Konfliktlösung? Interview mit Dr. Ute Finck-Krämer

, von  Gesine Weber, Sandra Schaftner, Tobias Gerhard Schminke

Pazifismus zur Konfliktlösung? Interview mit Dr. Ute Finck-Krämer
Dr. Ute Finck-Krämer, MdB, stellte sich den Fragen von treffpunkteuropa © treffpunkteuropa.de

Dr. Ute Finckh-Krämer ist Mitglied des Deutschen Bundestags und mitunter Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten. Während des Medienseminars gab sie treffpunkteuropa ein exklusives Interview zu den Themen Konfliktlösung, Flucht und Migration, und Europa.

Die Fragen stellten Sandra Schaftner, Tobias Gerhard Schminke und Gesine Weber. Das Interview wird in drei Teilen veröffentlicht.

Teil I: Konfliktlösung und Pazifismus

Sie sind im Auswärtigen Ausschuss, daher möchten wir uns in diesem Gespräch auf Außenpolitik und die EU konzentrieren. Sie sind bekannt als Pazifistin und haben sich dafür schon verschiedenfach eingesetzt. Inwiefern denken Sie, dass man heutzutage die zahlreichen Konflikte noch ohne militärische Eingriffe lösen kann?

Dr. Ute Finckh-Krämer, MdB: Wir wissen zunächst, dass der Versuch, Konflikte mit militärischen Eingriffen zu lösen, in manchen Fällen mehr Probleme geschaffen als gelöst hat. Das sehen wir in Afghanistan, wo die europäischen Staaten, die USA und andere eingegriffen haben zu einem Zeitpunkt, als da schon 15 Jahre Bürgerkrieg herrschte. Dadurch wurde es nicht besser. Ähnliches haben wir im Irak und in Libyen gesehen, die jetzt de facto zersplitterte Staaten sind. Insofern fühle ich mich angesichts dessen, was in den letzten fünf bis sechs Jahren passiert ist, in meinem Pazifismus eher bestätigt, weil aktiver Pazifismus heißt, dass man schaut: Was gibt es für andere Möglichkeiten als Militäreinsätze, um sich in Konflikten zu engagieren? Da haben wir im Augenblick auch positive Beispiele: Wir haben gesehen, dass der Konflikt um das iranische Atomprogramm zwar mühsam, aber auf diplomatischem Wege soweit gelöst wurde, und dass diese Lösung, wenn jetzt alle weiter konstruktiv daran mitarbeiten, für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre halten kann. Wir haben in der Ostukraine gesehen, dass man einen Konflikt mit diplomatischen Mitteln und mit unbewaffneten Beobachtern zumindest eindämmen kann, wie es die Friedensbewegung lange gefordert hat. Die OSZE hat da neu dazugelernt, neue Erfahrungen gesammelt und diese immer wieder ausgewertet. Nach meiner Einschätzung bestand im Sommer 2014 eine große Gefahr, dass sich die bewaffneten Konflikte auf die ganze Ukraine mit völlig unkalkulierbaren Folgen ausdehnen – die Ukraine ist ein Land mit einer ganzen Reihe von Kernkraftwerken. Das ist über Diplomatie und unbewaffnete Beobachter gelöst worden, nicht dadurch, dass man Kiew hochgerüstet hat oder Soldaten von außen geschickt hat.

Aber die Beispiele, die Sie jetzt genannt haben, wie Iran oder die Ukraine, sind Staaten, mit denen man ganz gut verhandeln kann. Aber wenn wir jetzt einmal den IS nehmen, sehen Sie da pazifistische Lösungen?

UFK: Dass der IS überhaupt so stark werden konnte, lag ja daran, dass man vorher auf militärische statt auf diplomatische Lösungen gesetzt hatte beziehungsweise im Fall von scheinbar stabilen, aber autoritären und menschenrechtsverletzenden Regimen auf militärisches Eingreifen von außen, wie im Fall Irak. Was man von Anfang an hätte machen können und müssen, wäre, die Geldströme, die zum IS gingen, abzuklemmen. Der IS hat eine Zeit lang massiv Geld von außen bekommen, und ich habe bis heute nicht verstanden, warum man nicht nach der Eroberung von Mossul sofort alle Möglichkeiten, von und nach Mossul Geld zu überweisen, gekappt hat. Alternativ hätte man von Anfang an nach innenpolitischen diplomatischen Lösungen suchen können, was etwa im Irak von Anfang an versäumt wurde. Man muss auch schauen: Wie hätte man die Grundkonflikte, die ausgenutzt wurden, verhindern können? Beim IS hätte man schon im Sommer 2014 Geldströme unterbrechen, den Austausch mit Ländern vorantreiben, aus denen „Foreign Fighters“ rekrutiert werden, Kontakte zu Stämmen schaffen sollen, die vom IS überrannt worden sind und dessen Methoden ablehnten. Wenn man versucht hätte, 2014 die interne Spaltung des IS auszunutzen, indem man im Irak unter internationaler Moderation für einen fairen Umgang mit den moderaten Sunniten gesorgt hätte, wäre wahrscheinlich die Macht des IS zu brechen gewesen, ohne Luftangriffe zu starten. Insofern bin ich nicht der Meinung des Außenministers, den ich sonst gerne unterstützen kann und will, dass es für den IS nur eine militärische Lösung gibt. Auch bei den Ressourcen hätten wir schneller reagieren müssen, nicht nur beim Öl, sondern auch bei Kulturgütern: Deutschland galt bis zur Verabschiedung des Kulturschutzgesetzes als einer der Hauptumschlagsplätze für illegal ausgegrabene Kulturgüter. Da werde ich dann ungeduldig, wenn man sagt, es könne nur Militär helfen, und dann gleichzeitig für Verständnis dafür bittet, dass ein Kulturschutzgesetz erst nach zwei Jahren verabschiedet wird, das man auch in einem Monat verabschieden kann.

2014 hätte es noch andere Wege gegeben, aber mal von der heutigen Situation aus gesehen: Sagen Sie immer noch, dass man das auf pazifistischem Wege lösen muss, oder muss das inzwischen mit Militär gelöst werden, weil es so weit gekommen ist?

Es gibt Analysen, die sagen, dass der IS auf dem absteigenden Ast ist. Die Finanzströme sind deutlich ausgetrocknet, und dass reiche Privatleute oder Stiftungen den IS finanzieren, ist inzwischen auch unterbunden worden, weil diplomatischer Druck auf Saudi-Arabien ausgeübt worden ist. Es gab überall auch Leute, die es geschafft haben, sich unter IS-Herrschaft gewisse Freiräume zu erhalten, weil der IS nicht hinter jedem Menschen mit einer Maschinenpistole stehen kann. Außerdem gab es Unmut, Beschwerden, zum Teil auch Proteste vonseiten der Bevölkerung. Man hätte darauf bauen können, dass der IS an den eigenen Schwierigkeiten zumindest in manchen Gebieten kaputt geht. Da hätte man dann eine Veränderungsdynamik unterstützen können. Eine sich einige internationale Gemeinschaft, die tatsächlich Vertrauen in zivile und gewaltfreie Ansätze hat, hätte das machen können. Aber die haben wir nicht. Es ist eher umgekehrt: Deutschland ist noch eines der Länder neben der Schweiz, Norwegen, vielleicht Schweden und Österreich, die am ehesten auf solche Ansätze setzen.

Ute Elisabeth Finckh-Krämer (* 16. Dezember 1956 in Wiesbaden) ist eine deutsche Politikerin (SPD) und Pazifistin. Sie ist seit März 2005 eine von zwei gleichberechtigten Vorsitzenden des Bundes für Soziale Verteidigung. Im September 2013 zog sie über die Berliner Landesliste in den Deutschen Bundestag ein.

Im Syrienkonflikt stehen wir auch Partnern oder Mitspielern gegenüber, die militärische Lösungen sehr stark vorantreiben oder zumindest unterstützen, beispielsweise Russland. Sie sagten: „…warten bis der IS am eigenen System kaputt geht“. Das würde auch bedeuten, dass, wenn wir nicht eingreifen, oder wenn nicht eingegriffen wird, Russland weiterhin mit dem syrischen Regime auf Aleppo einbombt, die Stadt vernichtet, und Europa und auch die USA dabei zuschauen. Tragen wir, Deutschland und Europa, nicht eine Mitschuld, wenn wir nicht eingreifen?

Ich glaube, Deutschland und Europa tragen eine Mitschuld daran, dass der Konflikt überhaupt so eskaliert ist. Dass Russland Assad von Anfang an unterstützt hat durch Waffenlieferungen, Vetos im UN-Sicherheitsrat, lag ja daran, dass durch den kurze Zeit gewaltfreien und dann zunehmend gewalttätigen oder gewaltbereit werdenden Aufstand in Syrien Russlands einziger Militärstützpunkt im Mittelmeerraum gefährdet war. Wenn wir uns anschauen, mit wem sich die USA in der Vergangenheit bereit waren zu verbünden, wenn ihre Militärstützpunkte gefährdet waren, dann waren das auch nicht immer lupenreine Demokraten. Das heißt, wenn man ganz am Anfang diplomatisch, und zwar nicht vonseiten Deutschlands, sondern vonseiten der NATO oder der USA Russland signalisiert hätte, dass man sich bei denen, die für ein demokratischeres Syrien kämpfen, dafür einsetzt, dass es eine Bestandsgarantie für den russischen Stützpunkt bzw. die russischen Landerechte in Tartus gibt, dann hätte man Russland für einen vergleichsweise friedlichen Übergang zu einer anderen Regierung in Syrien gewinnen können. Davon bin ich fest überzeugt. Man hat sich bei Syrien de facto von Exilsyrern, die zu dem Zeitpunkt als der arabische Frühling begonnen hat gar nicht mehr im Land lebten, , mit vorschreiben lassen, welche roten Linien man setzt. Eine rote Linie war, bevor man irgendetwas ernsthaft verhandelt, muss Assad weg. Inzwischen musste man diese rote Linie aufgeben, nach hunderttausenden von Toten.

Derzeit dürfte auch die Rolle Russlands dazu beitragen, dass Verhandlungen über eine friedliche Lösung in Syrien nicht möglich sind. Wie beurteilen Sie denn die Möglichkeiten der EU, weitere Sanktionen gegenüber Russland zu verhängen. Ist das ein effizientes Druckmittel?

Nein, das ist überhaupt kein effizientes Druckmittel. Denn wir haben im Augenblick neben Russland als international starker Macht auch den Iran, Saudi-Arabien und die Türkei, die alle mit unterschiedlichen und sich widersprechenden Zielen auf diesen Konflikt von außen Einfluss haben. Jetzt hinzugehen und zu sagen, gegen einen dieser externen Konfliktbeteiligten verhängen wir Sanktionen und gegen die anderen nicht, macht Verhandlungen de facto unmöglich. In Bezug auf den Syrienkonflikt bin ich derzeit nur in Bezug auf den IS mit Steinmeier und unserer offiziellen Außenpolitik uneins. Der Konflikt zwischen der internen Opposition und Assad hatte nichts mit dem IS zu tun. Der IS hatte den Konflikt genutzt, war vom Irak nach Syrien herübergekommen und ist dann erst ein syrischer Akteur geworden. Der Grundkonflikt in Syrien hätte diplomatisch behandelt werden müssen. Die EU hat einen Fehler gemacht, nämlich die Gruppe von überwiegend Exilsyrern, die sich 2012 als demokratische Regierung konstituiert haben, als legitime Vertretung Syriens anzuerkennen. Ein weiterer Fehler war, dass die syrischen Frauengruppen aus den Verhandlungen ausgeschlossen wurden. Die Frauen organisieren normalerweise das Überleben der Zivilbevölkerung in Konflikten und gehören daher an den Verhandlungstisch. Dasselbe Problem haben wir in Libyen.

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