Ein Brief an Europa

Rettet das Neuland!

, von  Hannah Nicklas

Rettet das Neuland!
Demonstrant*innen am Samstag in Hamburg Foto: Hannah Nicklas/ treffpunkteuropa.de zur Verfügung gestellt

Aus Protest gegen die EU-Urheberrechtsreform gingen am 23. März in zahlreichen deutschen und europäischen Städten tausende Menschen auf die Straße. Eine Reform, die auf Verbote setzt, kann nicht die Lösung sein, findet Hannah Nicklas.

Liebe Mitglieder des Europäischen Parlaments,

am Dienstag müssen Sie erneut über die EU-Urheberrechtsreform und die umstrittenen Uploadfilter abstimmen. Haben Sie sich Ihre Meinung schon gebildet? Gar nicht so einfach, oder?

Das Urheberrecht – da sind sich alle einig – muss auch im Internet gewahrt werden. Auch der Ansatz, Konzerne wie Google, Facebook und Youtube dabei stärker in die Verantwortung zu nehmen, ist absolut richtig. Aber sind Uploadfilter dafür wirklich der beste Weg?

In Hamburg erschienen am Samstag laut Polizei 6.000 Menschen zu der von der Piratenpartei organisierten Demonstration. Sie alle sehen in der Reform einen Angriff auf die Meinungsfreiheit und ein freies Internet. Was auf den ersten Blick auffällt: Die Gegner von Artikel 13 sind überwiegend junge Leute, irgendwo in den Zwanzigern und Dreißigern, auch viele Teenager sind dabei. Viele von ihnen nutzen bekannte Memes, um ihre Meinung auszudrücken. Für weniger internetaffine Generationen werden diese Memes wohl wenig Sinn ergeben. Gerade auch auf diese Ratlosigkeit in Bezug auf das Internet, besonders unter Politiker*innen, spielen die Demonstrant*innen mit ihren Plakaten an: „Rettet das Neuland“, steht dort, oder: „Tabs sind keine Gebissreiniger“. Es handelt sich hierbei um den Protest einer Generation, deren Realität sich zu einem großen Teil online abspielt, und die bei den Kommentaren von Axel Voss nur fassungslos den Kopf schütteln kann.

Was ist also das Problem mit dem umstrittenen Artikel 13? Der sieht vor, kommerzielle Internetplattformen wie Youtube oder Facebook für alle hochgeladenen Inhalte haftbar zu machen. Sie müssen also Lizenzverträge mit den Urheber*innen abschließen oder die Veröffentlichung verhindern – was nach der Meinung vieler Expert*innen zwangsläufig zu sogenannten Uploadfiltern führen würde. Vor allem die technische Umsetzung wirft dabei Fragen auf: „Wie soll man mit jedem Lizenzinhaber eine Lizenz abschließen können? Das ist schlichtweg nicht möglich“, sagt ein Demonstrant in Hamburg. „Die Uploadfilter können das technisch gar nicht umsetzen. Satire kann zum Beispiel nicht richtig gefiltert werden“, kritisiert ein anderer. Dazu kommt, dass in der Realität wohl nur die großen Plattformen finanziell und technisch überhaupt in der Lage sind, entsprechende Filter zu entwickeln. Kleinere Unternehmen könnten dementsprechend benachteiligt werden. Und ganz grundsätzlich: Wären es wirklich die Kreativschaffenden, die am Ende besser bezahlt würden? Oder doch eher die Rechteinhaber, große Verlagshäuser und Verwertungsgesellschaften?

Die Interessen von Urheber*innen und Internetaktivist*innen dürfen in dieser Debatte nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir brauchen ein Urheberrechtskonzept, das Künstler*innen fair entlohnt, aber nicht auf Verboten beruht. Ein Konzept, das die Freiheit des Internets begrüßt, anstatt sie zu beschränken. Zugegeben: der Aufruf „Rettet das Internet“ ist vielleicht etwas melodramatisch. Gerade in Deutschland, wo das Urheberrecht auch im Internet schon vergleichsweise stark durchgesetzt wird, wären die spürbaren Auswirkungen zunächst wohl gering. Trotzdem wäre die Urheberrechtreform in ihrer jetzigen Form das falsche Zeichen - für eine restriktive Politik und einen Entscheidungsfindungsprozess, bei dem große Konzerne und ihre Interessenvertretungen mehr Gehör finden als die Nutzer*innen.

Liebe EU-Parlamentarier*innen, Sie haben 2018 schon einmal gegen diese Reform gestimmt. Leider haben die Trilog-Verhandlungen seitdem keine weitreichenden Neuerungen ergeben. Lassen Sie es uns also noch einmal versuchen! Der erste Vorschlag der EU-Kommission zur Urheberrechtsreform stammt aus dem Jahr 2015. Wir haben uns schon so viel Zeit gelassen, lassen Sie es uns jetzt auch gut machen. Kulturflatrate, Digitalsteuer, Kulturwertmark – Ideen für ein internetfreundliches, positives Urheberrechtskonzept gibt es schon länger. Ziehen Sie sie in Erwägung. Dies ist unsere Chance, ein wirklich modernes, zukunftsorientiertes Urheberrechtskonzept auf europäischer Ebene zu entwickeln.

Im Wahlkampf für die Europawahlen hören wir ständig, dass das Europäische Parlament die Interessen der europäischen Bürger*innen ernst nimmt. Dass es sie im Zweifel auch gegen die anderen EU-Institutionen verteidigt. Beweisen Sie es! Stellen Sie sich auf unsere Seite. Denn die Gegner von Artikel 13 gehören gleichzeitig zu den stärksten Verfechtern Europas. Die Grenzenlosigkeit, die sie für das Internet fordern, erwarten sie auch in der Politik. „Wir sind heute ja auch für Europa da. Wir stehen auch für ein freies Europa“, sagt ein Demonstrant und schwingt eine große EU-Flagge. Knapp 70 Prozent der 18 bis 29-Jährigen sind gegen die Urheberrechtsreform. Bei den 30 bis 39-Jährigen sind es 53%. Beweisen Sie dieser so oft als politikverdrossen verurteilten Generation, dass sie ernst genommen wird. Beweisen Sie uns, dass Europa nach vorne schaut – online ebenso wie offline.

Hochachtungsvoll

Hannah Nicklas

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