Aserbaidschan, ist ein kleines Land in Vorderasien mit etwa 10 Millionen Einwohner*innen. Der ehemalige Teil der Sowjetunion wurde nach der kommunistischen Ära zunächst von Gaydar Alijew und seit 2003 von seinem Sohn Ilham Alijew autoritär regiert. Seitdem ist die aserbaidschanische Politik von Korruption und Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet. Schlagzeilen machte das Land kürzlich ausgerechnet aufgrund einer deutschen CDU-Politikerin: Karin Strenz wird vom Europarat ein Interessenskonflikt vorgeworfen. Aserbaidschan gegenüber hat die sich dort ungewöhnlich unkritisch geäußert. Den Anschuldigungen zufolge hat die Bundestagsabgeordnete dafür Geld aus dem autoritären Staat erhalten. Vorerst steht Aserbaidschan jedoch vor innenpolitischen Herausforderungen: Präsident Alijew hat für den 9. Februar vorgezogene Parlamentswahlen ausgerufen, die von großen Teilen der Opposition boykottiert werden. Wir möchten oppositionelle Stimmen zu Wort kommen lassen. Ein erstes Interview mit dem aserbaidschanischen Menschenrechtsaktivisten Elchin Abdullayev erschien gestern in unserem Magazin.
Eine solche Stimme ist Anar Orujov. 2006 hat er gemeinsam mit seinem Bruder Aziz Orujov und seiner Frau Ulviyya Mammadova das „Caucasus Media Investigation Center“ gegründet, aus der zwei Jahre später der Internetsender „Kanal13“ hervorging. Der Internetsender setzt sich kritisch mit der aserbaidschanischen Regierung auseinander, berichtet über Menschenrechtsverletzungen und zeigt Probleme aus den verschiedenen Regionen des Landes. Er hat zuvor Journalismus und Public Administrations in Baku studiert und Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen gesammelt. Inzwischen wohnt er in Deutschland und studiert „Corporate Social Responsibility and NGO Management“ an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. In seinem WhatsApp-Status ist auf aserbaidschanisch vermerkt: „Bitte beachten Sie, dass ich in mehreren Berufen gleichzeitig arbeite und an der Universität studiere. Ich kann erst spät auf Nachrichten antworten!“ Das Interview zeigt: Sein WhatsApp-Status beschreibt den vielbeschäftigten Journalisten sehr gut. Beim letzten Tuten des Telefons hebt er ab und grüßt herzlich.
Sie studieren in Deutschland, berichten zugleich als Journalist über Aserbaidschan. Stellen Sie sich doch kurz vor!
Ich bin Journalist aus Aserbaidschan und kam 2014 mit meiner Frau nach Deutschland. Ich habe an der Staatlichen Universität in Baku Journalismus studiert und daraufhin den Master-Studiengang „Public Administration“ an der Kaukasus-Universität absolviert. Anschließend habe ich an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg den Master-Studiengang „Corporate Social Responsibility and NGO-Management“ begonnen. Zurzeit schreibe ich meine Masterarbeit und arbeite als Geschäftsführer für „Kanal13“.
Wie ist es dazu gekommen, dass Sie Aserbaidschan verlassen haben?
Ich habe Aserbaidschan 2014 verlassen, als die Regierung die Verfassung änderte und zunehmend Druck auf freie Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ausübte. Im Jahr 2013 beschloss Ilham Alijew, zum dritten Mal Präsident zu werden. Die wichtigsten politischen Parteien und viele NGOs waren dagegen, weil die Beschränkung für die Amtszeit des Präsidenten dadurch aufgehoben wurde. Anfang August 2014 wurde von der Regierung dann eine strafrechtliche Untersuchung gegen einige internationale und lokale NGOs eingeleitet. Während dieser Zeit war ich Leiter von „Kanal13“ und erhielt einen willkürlichen Anruf von der Verfolgungsbehörde, dass ich eingeladen wurde, über die Kriminalfälle auszusagen. Sie versuchten mich dazu zu bringen, vorgefertigte Erklärung zu unterschreiben, der zufolge internationale Organisationen sich nicht in interne Probleme Aserbaidschans einmischen sollten, da es keine Menschenrechtsverletzungen gäbe. Eine Woche später wurden zahlreiche NGO-Mitglieder verhaftet oder mit Ein- und Ausreiseverboten konfrontiert. Außerdem gab die Regierung offiziell bekannt, dass sie gegen einige NGOs, darunter auch meine NGO „Caucasus Media Investigation Center“ (CMIC), ein Strafverfahren eingeleitet hatte. Nachdem ich diese Information erhalten hatte, beschloss ich, nach Deutschland zu gehen.
Wie sieht Ihr Alltag als Journalist in Deutschland aus?
Mein Tag beginnt um sechs Uhr morgens und endet um zehn Uhr abends deutscher Zeit. Zuerst schaue ich nach, welche Neuigkeiten es aus Aserbaidschan gibt. Danach bespreche ich mit meinen Kolleg*innen, wer zum Ort der Geschehnisse fährt. Außerdem gehört es zu meiner Arbeit, mich täglich mit Aserbaidschaner*innen zu treffen, die sich aufgrund politischer oder anderer Gründe in Deutschland befinden. Ich versuche, sie zu motivieren, am politischen Leben der aserbaidschanischen Migrant*innen teilzunehmen, um einen politischen Wechsel in Aserbaidschan herbeizuführen. Ich liebe meine Arbeit, weshalb ich nie entspannen kann. Ich habe versucht, mit meiner Frau Urlaub in Spanien zu machen, aber am Ende hatte ich immer mein Handy in der Hand.
Kanal13: Minus mal Minus ergibt Plus
Sie haben den Internetsender „Kanal13“ gegründet. Wie ist er zu seinem Namen gekommen?
Manche Menschen verbinden mit der Zahl „13“ Pech. Wir benutzten diesen „unglücklichen“ Namen und die unglückliche Situation der freien Medien in Aserbaidschan und erstellten eine für uns logische Rechnung: Minus mal minus ist gleich plus. Pech und Pech sollte sich in Glück verwandeln.
Was macht Ihren Kanal so besonders?
Ich kann mit Stolz sagen, dass wir der beliebteste Nachrichtenkanal in Aserbaidschan sind. Wir arbeiten hauptsächlich auf YouTube und Facebook, wobei YouTube mit 476 000 Abonnent*innen unser beliebtester Kanal ist. Im letzten Monat konnten wir 20 000 Aufrufe von zwei Millionen Erstbesucher*innen verzeichnen.
Wie arbeitet Ihr Team? Was zeichnet die Zusammenarbeit aus?
Im Moment sind wir 15 Mitglieder im Team. Fünf arbeiten außerhalb Aserbaidschans, während die anderen zehn vor Ort sind. Falls etwas Unerwartetes passiert, haben wir Mitarbeiter*innen an verschiedenen Orten, die in der Lage sind, Inhalte zu produzieren und auf unseren YouTube-Kanal hochzuladen. Unsere Kommunikation basiert auf verschiedenen Messengerdiensten, in denen wir Inhalte produzieren. In Aserbaidschan haben unsere Mitarbeiter*innen aufgrund von Sicherheitsvorkehrungen keinen Zugang zu unserem YouTube-Profil. Deshalb werden alle unsere Inhalte von Mitarbeiter*innen, die in Europa sitzen, hochgeladen. Selbstverständlich können Menschen in Aserbaidschan unseren YouTube-Kanal sehen, da die Regierung keinen Zugriff auf die Blockierung von YouTube Inhalten hat. Somit können wir täglich berichten und Millionen von Aufrufen erhalten, obwohl unsere offizielle Website Kanal13.tv ab 2015 für fünf Jahre blockiert war. Nicht zuletzt besitzen wir für „Kanal13“ eine deutsche und aserbaidschanische WhatsApp Nummer. Täglich erreichen uns auf WhatsApp 150 bis 200 Nachrichten von Menschen, die von sozialen und politischen Problemen berichten.
„Es geht nicht darum, wer gewählt wird“
Was ist die größte Motivation Ihres Teams?
Es ist schwer zu glauben (lacht), aber wir wollen Aserbaidschan wirklich zu einem demokratischen Land machen. Vor 100 Jahren hatten wir eine demokratische Republik mit fünf verschiedenen politischen Parteien. Heute gibt es nur noch eine Partei und ihre Anhänger*innen im Parlament. Wir können die Kraft sozialer Netzwerke nutzen, um den öffentlichen Druck auf die Regierung zu erhöhen. 2017 wurde mein Bruder verhaftet: Er wurde beschuldigt, die rechtmäßige Ordnung der Polizei zu missachten. Da erkannten wir, wie wichtig unsere Arbeit war, um Druck auf die Regierung auszuüben: Anscheinend stellten wir eine echte Gefahr dar. Glücklicherweise kam er aufgrund des starken Drucks des Europarats und internationaler Organisationen nach elf Monaten, statt nach den sechs Jahren, zu denen er verurteilt worden war, frei. Die aserbaidschanische Regierung fürchtet uns tatsächlich. Deshalb haben wir nie aufgehört zu berichten.
Seit 2003 regiert Ilham Alijew das Land mit harter Hand. Heute, am 9. Februar 2020, wird seine Partei erneut „gewählt“. Erhoffen Sie sich durch die bevorstehenden Wahlen Veränderungen?
Die Wahlen können keine direkte Veränderung bewirken, aber sie geben uns die Möglichkeit zu zeigen, was in Aserbaidschan geschieht. Die Kandidat*innen der Regierungspartei, sehen sich mit Kritik aus der lokalen Bevölkerung konfrontiert. Bürger*innen werfen ihren gewählten Abgeordneten vor, dass sie ihren verantwortlichen Regionen seit fast zehn Jahren keinen Besuch abgestattet haben und lokale Probleme nie im Parlament diskutiert wurden. In den letzten 30 Jahren konnte die Bevölkerung nicht entscheiden, wer sie vertritt: Wer gewählt wird ist nicht von Bedeutung, da Alijew mit allen Mitteln die Wiederwahl seiner Partei gesichert hat. Ich glaube, das Hauptziel der kommenden Wahl ist, die Meinung der Bevölkerung in Bezug auf politische Beteiligung zu ändern. Deshalb müssen wir alle Kommunikationskanäle nutzen, um jedem*r von Ihnen zu sagen, dass sie ihre eigene Stimme schützen und an den Wahlen teilnehmen müssen! Wir können Alijew zumindest zeigen, dass es nicht leicht ist, Manipulationen durchzusetzen.
Europarat ermittelt zu Korruption aus Aserbaidschan
Der CDU-Abgeordneten Karin Strenz sowie dem ehemaligen CSU-Bundestagsabgeordneten Eduard Lintner wird vorgeworfen, sich im Europarat gegen Geld positiv über Aserbaidschan geäußert zu haben. Wie denken Sie über derartige Bestechungsversuche?
Ich glaube, es ist sehr gefährlich, wenn die aserbaidschanische Regierung Mitglieder des deutschen Parlaments im Europarat bestechen kann. Karin Strenz hat nicht nur ihrem eigenen Image, sondern dem ihrer gesamten Partei geschadet. Es gibt aber auch immer wieder Personen, die sich gegen Korruption wehren: Im vergangenen Jahr haben aserbaidschanische Aktivist*innen beispielsweise einen Protest vor der CDU-Zentrale organisiert und die Mitglieder der Partei aufgefordert, keine korrupten Beziehungen mit der aserbaidschanischen Regierung einzugehen.
Wie sollte die EU ihrer Meinung nach, mit autoritären Staaten, wie Aserbaidschan umgehen?
Am besten wäre es, der aserbaidschanischen Regierung klarzumachen, dass sie die Konsequenzen tragen muss, wenn sie sich nicht an internationale Vereinbarungen hält. Wirksame Methoden könnten Visum- und Reiseverbote für einzelne Abgeordnete sein, die demokratische Werte missachten und an Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren. Ein zweiter Punkt: Die meisten Familienmitglieder der korruptesten Abgeordneten in der Regierung leben in Europa oder Großbritannien. Nach ihrer Amtszeit werden die Abgeordneten in Hotels, Restaurants und Unternehmen in ganz Europa investieren. Europäische Regierungen müssen sicherstellen, woher Personen, die hier investieren, ihr Geld haben. Falls Korruptionsverdacht besteht, sollte es ihnen nicht erlaubt sein, in europäischen Ländern zu investieren.
Halten Sie einen Beitritt Aserbaidschans zur EU in Zukunft für möglich?
Der Beitritt zur EU wird die einzige Möglichkeit sein. Derzeit befinden sich circa 100 Menschen aufgrund politischer Hintergründe im Gefängnis. Die Zahl der politischen Gefangenen zeigt, dass es einen Widerstand gegen dieses Regime gibt. Es wird nicht nur geschwiegen und gehorcht. Die demokratische Kultur in Aserbaidschan ist vorhanden. Wenn dieses Land als erstes islamisches Land das Wahlrecht für Frauen durchsetzen konnte, wird es auch möglich sein, die Situation in Bezug auf Menschenrechte, Meinungsfreiheit usw. zu verbessern. Ich glaube, dass es eine Perspektive gibt.
Kommentare verfolgen: |