Sozialpolitik: weiter kein Fall für Europa?

, von  Florian Sanden, translated by Michael Vogtmann

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Sozialpolitik: weiter kein Fall für Europa?
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei seiner Rede zur Lage der Union 2015. © European External Action Service / Flickr / CC BY-SA 2.0-Lizenz

Die Kommission hat erneut eine Gelegenheit verstreichen lassen, klare Indikatoren einzuführen, um die sozialstaatliche Performance der Mitgliedsstaaten zu überwachen. So wird der soziale Aspekt der Wirtschafts- und Währungsunion weiterhin ein Dasein im Schatten der Makroökonomie fristen.

In seiner Rede zur Lage der Union 2015 kündigte Jean Claude Juncker die Einführung einer sozialen Säule der Europäischen Union auf gleichberechtigter Basis zur Wirtschafts- und Währungsunion an. Kürzlich, ein halbes Jahr nach seinem öffentlichen Appell, veröffentlichte die Europäische Kommission eine Mitteilung, die die Grundprinzipien dieser neuen sozialen Säule beschreibt.

Der so genannte „Sixpack“ war eine wirtschaftspolitische Regelung, die 2011 getroffen wurde, um die ökonomische Konvergenz in der EU zu verbessern. Sie enthielt klare, eindeutige und verbindliche Indikatoren, anhand derer es möglich war, die Staaten makroökonomisch zu überwachen. Diese Indikatoren waren zum Beispiel die im Verhältnis zum BIP gemessene Grenze für die Staatsschuldenquote von 60% (als Teil der Maastrichtkriterien), Verabredungen für eine fortwährende Überwachung und automatische Sanktionen im Falle von Nichteinhaltung. Im Gegensatz dazu stellt der erste Entwurf der sozialen Säule mehr eine wage Erklärung dar, wie zum Beispiel. „jeder sollte zeitnahen Zugang zu einer hochwertigen und präventiven Gesundheitsversorgung haben“. Wie eine „zeitnahe“ oder „hochwertige“ Gesundheitsversorgung allerdings definiert ist, hängt von den nationalen Regierungen der Mitgliedsstaaten ab. Auf europäischer Ebene wurden keinerlei Kontroll- oder Durchsetzungsmechanismen eingeplant.

Diese Unklarheit besteht, obwohl bereits Konzepte zur Einführung klarer und eindeutiger sozialer Indikatoren existieren. Zum Beispiel könnte der Gini-Koeffizient, der die soziale Gleichheit auf einer Skala zwischen 0 (perfekte soziale Gleichheit) bis 1 (absolute Ungleichheit) abbildet, genutzt werden um Grenzwerte zu definieren. Wenn der Koeffizient beispielsweise oberhalb von 0,3 läge, müssten Staaten sich auf eine verstärkte Überwachung einstellen, oder wenn alle Maßnahmen scheitern, könnten Sanktionen wie Geldbußen verhängt werden. Der Politologe Klaus Busch schlug vor, EU-Staaten in vier Gruppen einzuteilen, je nach dem Verhältnis ihrer Ausgaben für Soziales und ihres ökonomischen Entwicklungsniveaus. Für alle vier Gruppen könnten Werte und erlaubte Schwankungen bezüglich der sozialen Absicherung bestimmt werden. Mitgliedsstaaten würden sich verpflichten das Niveau ihrer Sozialsysteme innerhalb dieser Schwankungsbreiten aufrecht zu erhalten. Bisherige Initiativen, wie die Einführung eines Sozialpolitik-Anzeigers innerhalb des europäischen Semesters, erzielten bisher kaum Wirkung. Dies lag an ihrem unverbindlichen Charakter und ihrer eingeschränkten Fokussierung auf die Themen Armut und Arbeitslosigkeit.

Sozialpolitik im Rahmen einer breit aufgestellten Sozialfürsorge, für die gesamte Bevölkerung, ist auch außerhalb von Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs kein Luxusthema. Viele OECD Studien haben gezeigt, dass zu große soziale Ungleichgewichte die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Ökonomie einschränken. Außerdem befeuert eine wachsende soziale Ungleichheit eine Steigerung der Kriminalitätsrate und eine politische Unzufriedenheit, die letztendlich die Attraktivität von politischen Gruppierungen der extremen Linken und Rechten steigert. Durch die drohende oder tatsächliche Ablösung gemäßigter Politiker, durch Angehörige von Parteien wie dem Front National, der FPÖ, der AfD, der UKIP, den Schwedendemokraten oder der polnischen PiS, wird es schwieriger eine konstruktive Politik zu betreiben und die EU als Ganzes wird in Gefahr gebracht. Es ist fraglich, wie nationalistische Ansätze im Angesicht von Herausforderungen wie dem Klimawandel, Migration, regionaler Instabilität oder Entwicklungsdefiziten hilfreich sein sollen. Wenn allerdings gemäßigte politische Entscheidungsträger ihre Ämter behalten und die EU mit all ihren Freiheiten erhalten wollen, sollten sie die europäische Sozialpolitik auf Augenhöhe mit der Wirtschaftspolitik bringen.

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