SPD in der Coronakrise

Täglich grüßt das Murmeltier

, von  Felix Hohlfeld

SPD in der Coronakrise
Einen beliebten Politiker hat die SPD mit Olaf Scholz bereits. Aber ob es die SPD selbst zu alter Größe schafft wie einst unter Willy Brandt (hier im Gespräch mit US-Präsident Kennedy) ist angesichts der Umfragewerte völlig offen. Foto: Pixabay / skeeze / Pixabay-License

Krisenzeiten sind Regierungszeiten - außer für die SPD. Trotz vorweisbarer politischer Erfolge in der Corona-Pandemie verbuchen die Sozialdemokraten bei aktuellen Umfragen nur magere 16%. Ein national begrenztes, rein parteipolitisches Fiasko, richtig? - keineswegs. Denn bei genauer Betrachtung zeigt sich: Die Schwäche der SPD hat vor allem eine europapolitische Dimension - die auch Europäische Föderalist*innen nicht uninteressiert lassen sollte. Ein Kommentar.

"Täglich grüßt das Murmeltier” werden sich die Genoss*innen denken. Wie damals beim Mindestlohn und der Energiewende, so jetzt auch in der Corona-Krise: Die SPD punktet, ist inhaltlicher Motor einer oft trägen Großen Koalition und dennoch: Am Ende ist es die Union, die bei den Umfragen die Lorbeeren einstreicht. Stolze 40% werden den Christdemokrat*innen nach neuesten Meiungserhebungen bei der nächsten Bundestagswahl vorausgesagt. Ein beachtlicher Wert. Aber kein gänzlich Überraschender.

Den Christdemokrat*Innen ist es in der Corona-Krise nämlich gelungen, sich als Stabilitätsfaktor und Krisenmanager*innen, als Fels in der Brandung einer durch das Virus ins Wanken geratenen Gesellschaft zu profilieren. Hinzu kommt: Krisen sind immer Hoch-Zeiten der Exekutive. Ein Phänomen, das keineswegs nur in Deutschland zu beobachten ist, sondern musterhaft die politischen Landschaften ganz Europas durchzieht. In Frankreich En Marche, in Österreich die ÖVP und in den Niederlanden Mark Ruttes VVD - wenn jetzt Wahlen anstünden, würden die Regierungsparteien ganz vieler europäischer Staaten regelrechte Erdrutschsiege erringen. Umso verwunderlicher also, dass die SPD als Regierungspartei kein politisches Kapital aus der Krise schlagen kann und stattdessen weiter in ihrem chronischen Umfragetief von nur 16% schlummert.

Kein starkes Europa ohne starke progressive Parteien

An fehlenden politischen Erfolgen kann das kaum liegen. Sei es das Konjunkturpaket, die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes oder die verlängerten Lohnfortzahlungen - vor allem die sozialpolitischen Errungenschaften der Großen Koalition tragen fast ausnahmslos eine sozialdemokratische Handschrift; und auch was die Beliebtheitswerte der Politiker*innen anbelangt, haben die Sozen mit Olaf Scholz, der aktuell auf Platz zwei der Beliebtheitsskala rangiert, einen richtigen Shootingstar. Es entbehrt deshalb nicht einer gewissen Tragik, dass die Wähler*innen nun ausgerechnet die SPD derart abstrafen wollen. Tragisch und traurig ist das Umfragetief jedoch nicht nur für die Genoss*innen, sondern auch für viele Europäer*innen.

Denn: Ohne starke progressive Parteien auch kein starkes Europa. Die Vision eines Europäischen Föderalstaates lässt sich ohne eine eine starke SPD zum Beispiel kaum erreichen. Neben den Bündnisgrünen und der FDP sind die Sozialdemokrat*innen derzeit die einzigen, die sich in ihrer Programmatik klar zum Ziel einer europäischen Föderation bekennen. Könnten die Grünen die Umfrageflaute der SPD kompensieren, stünde dieses Problem freilich in einem anderen Licht, wäre aus föderalistischer Perspektive vielleicht sogar gar keines. Das anzunehmen und die Schwäche der SPD und die anderer pro-europäischer Parteien wie den Grünen getrennt voneinander- oder nur als Momentaufnahmen zu betrachten, wäre aber ebenso kurzsichtig wie naiv.

Es fehlt ein überzeugendes pro-europäisches Narrativ

Sie ist nämlich ein grundsätzliches Problem, das zeigt, wie sehr - insbesondere während Corona - ein überzeugendes pro-europäisches Narrativ gefehlt hat. Eine Erzählung, mit der man frühzeitig hätte gesamteuropäische Solidarität einfordern-, auf manifest werdende Schwachstellen im Institutionengefüge der EU aufmerksam machen - und die Krise als Chance für Europa begreifen können. Aber es ist auch eine Erzählung, die den Menschen ganz unabhängig von Corona vermittelt, dass Globalisierung und Denationalisierung auch Zusammenhalt und Solidarität bedeuten können und nicht nur Halt- und Orientierungslosigkeit.

Ein solches Narrativ und eine sich darauf stützende Politik verkörpern bislang jedoch weder die Grünen in ihrer Rolle als Oppositions-, noch die SPD in ihrer Rolle als Regierungspartei in glaubwürdiger Manier. Chance vertan also - gerade für die SPD. Denn wo sich innenpolitisch trotz vorweisbarer Erfolge aktuell keine Profilierungspotentiale für sie ergeben, wäre eine glaubhafte Außen- und Europapolitik doch eigentlich das ersehnte Alleinstellungsmerkmal. Humanitäre Reaktionen auf die Zustände im Geflüchtetenlager in Moria und europaweite Solidarität bei Exporten medizinischer Hilfsgüter. Paneuropäische Eindämmungsstrategien, gesamteuropäische Rückholaktionen Pandemiebetroffener. Coronabonds und Impulse beim Thema deutsche Ratspräsidentschaft. All das wären Möglichkeiten gewesen, sich dem omnipräsenten nationalstaatlichen Klein-Klein entgegenzustellen, ein Gegennarrativ zu entwickeln und sich ein glaubwürdiges europapolitisches Profil zu verschaffen. Hier ließ und lässt die SPD bislang jedoch einiges liegen. Und das fällt ihr aktuell auf die Füße.

Selbst Schuld also, die Sozialdemokrat*innen? Nicht ganz. Denn neben schlechter Vermarktung, parteiinternen Streitereien und dem nicht vorhandenen europäischen Narrativ, ist es vor allem eines, was der SPD gegenwärtig zum Verhängnis wird: Ihre Rolle als Juniorpartner. Dieser hat es in Koalitionen immer schwer, sich zu profilieren und von ihrem Koalitionspartner abzugrenzen. Zumal, wenn die Konturen zwischen den beiden Volksparteien links und rechts der Mitte immer weiter zu verblassen scheinen.

Die SPD sollte neue Mehrheiten anstreben

Was all das nun konkret für die SPD bedeutet? Zum einem sollte sie möglichst zeitnah neue Mehrheiten anstreben. Eine zur Norm erhobene Große Koalition führt auf Dauer unweigerlich zur Verzwergung der Volksparteien und Fragmentierung des Parteienspektrums. Zum anderen benötigen sie ein noch stärkeres, glaubwürdiges und vitaleres europapolitisches Profil - und eben eine Erzählung, die den Menschen nahelegt, dass Globalisierung nicht nur Entwurzelung, sondern auch Gerechtigkeit und Solidarität bedeuten kann.

Verinnerlicht die SPD diese Punkte, heißt es beim Blick auf die eigenen Umfragewerte dann zukünftig vielleicht nicht mehr “täglich grüßt das Murmeltier”. Tun sie das nicht, hält das sozialdemokratische Trauerspiel weiter an. Das wäre schade - nicht nur für die Sozialdemokrat*innen, sondern auch für viele Europäer*innen.

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