„Stop and Search“: Boris Johnsons Vorschlag zur Verbrechensbekämpfung ebnet Weg für rassistische Ungerechtigkeiten

, von  Maddie Grounds, übersetzt von Theresa Bachmann

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„Stop and Search“: Boris Johnsons Vorschlag zur Verbrechensbekämpfung ebnet Weg für rassistische Ungerechtigkeiten
Bild: Flickr / Cody / CC BY 2.0

Es ist erst ein Monat vergangen, seit Boris Johnson den hoffnungslosen Brexit-Staffelstab übernommen hat. Und obwohl die Drohung, dass kein Deal zustande kommt, in gewisser Weise vereitelt wurde, sorgen das politische Chaos und die wirtschaftliche Unsicherheit weiterhin für eine Vielzahl unbeantworteter Fragen in Großbritannien und der EU.

Eine Sache, die seit dem Ergebnis des Referendums relativ sicher geblieben ist, ist jedoch, dass das Ende der Freizügigkeit für EU-Migrant*innen unmittelbar bevorsteht. Dies wird sich nicht nur nachteilig auf einen Großteil der britischen Industrie auswirken, die in hohem Maße von europäischen Talenten abhängt, sondern verstärkt auch die wachsende Feindseligkeit gegenüber Migrant*innen. Diese Feindseligkeit ist auf eine Kombination aus Regierungspolitik und öffentlicher Meinung zurückzuführen, die zu verschiedenen Fällen von Rassismus, Diskriminierung und Ungleichheit geführt hat, die seit dem Referendum zugenommen haben.

Davon sind nicht nur Migrant*innen betroffen. Britische Schwarze, Asiaten und Angehörige ethnischer Minderheiten (BAME) sehen sich weiterhin zu Unrecht institutionalisierter Skepsis ausgesetzt und fühlen sich in Großbritannien nicht „zugehörig“. Viele von ihnen werden von Sicherheitskräften und Mitgliedern der Öffentlichkeit profiliert und ins Visier genommen.

Anfang dieses Monats kündigte Johnson eine Reihe von Vorschlägen zur Verbrechensbekämpfung an, die in den nächsten Jahren in England und Wales in Kraft treten sollen. Sein Versprechen sieht vor, bis 2022 zusätzliche 20.000 Polizist*innen einzustellen, die Gesamtkapazität der Gefängnisse bis „Mitte 2020“ um 10.000 zu erhöhen und 100 Mio. GBP für mehr Gefängnissicherheit auszugeben.

Darüber hinaus strebt sein Plan eine Erweiterung von „Stop and Search“-Verfahren an, trotz ihrer spalterischen Wirkung und des nachweislich schlechten Rufs von Polizeibeamt*innen im Umgang mit rassistischem Profiling und rassistisch motivierter Gewalt im Vereinigten Königreich sowie über den Atlantik hinweg.

Die Verbindung zwischen „stop and search“ und Rasse

„Stop and Search“ bezieht sich auf die Polizeipraxis, eine Person anzuhalten und nach Waffen, Drogen oder anderen verbotenen Gegenständen zu suchen. Es ist nicht verwunderlich, dass bei der Entscheidung, jemanden aufgrund des schnellen visuellen Urteils eines*r einzelnen Beamten*in zu stoppen, die rassistischen Stereotypen und Vorurteile einiger Polizeibeamter auf ihre Entscheidungen projiziert werden, bestimmte Personen ins Visier zu nehmen. In der Tat war die Wahrscheinlichkeit für People of Colour 2017-2018 gestoppt und nach Drogen durchsucht zu werden 9,5-mal höher als bei ihren weißen Mitmenschen, wovon überwiegend junge dunkelhäutige Männer betroffen waren.

Diese starken Unterschiede sind jedoch nach einer Zeit aufgetreten, in der „Stop and Search“ aus genau diesem Grund erheblich zurückgegangen und zwischen 2009-10 und 2017-18 um 80% zurückgegangen waren, nachdem die damalige Innenministerin Theresa May erklärte, dies sei „unfair, besonders gegenüber jungen schwarzen Männern“. Ein Rückgang in „Stop and Searches“ - mit 303.845 war der Wert im März 2017 der niedrigste jemals registrierte - löste Fälle von rassistischem Profiling jedoch nicht. Viele argumentieren, dass die Einführung von Mays „feindlicher Umwelt“-Politik im Mai 2013 gezielte Feindseligkeit gegenüber ethnischen Minderheiten erst verstärkte.

In einem Bericht wurde eine Analyse vorgelegt, aus der hervorgeht, wie ungleich People of Colour behandelt werden, wenn sie angehalten werden. Während die Festnahmen von Weißen aufgrund von Drogen zwischen 2010-2011 und 2016-17 um 52% zurückgingen, fielen sie für Dunkelhäutige überhaupt nicht. Dr. Rebekah Delsol, Mitverfasserin des Berichts, erklärte: „Sicherheitskräfte, die nicht fair und effektiv anhalten und suchen können, sollten diese Befugnisse entzogen bekommen, bis sie nachweisen können, dass ihnen zugetraut werden kann, diese Befugnisse angemessen zu nutzen.“

Erweiterung von “Stop and Search“-Befugnissen

Es scheint jedoch, dass der Ministerpräsident nicht so besorgt über die bekannten Probleme dieser Art von Politik ist. Stattdessen plant Boris Johnson, den Polizeikräften mehr Macht zu verleihen, indem er ihnen erlaubt, in bestimmten Bereichen mehr „Stop and Searches“ ohne Erlaubnis eines*r höheren Beamten*in durchzuführen.

Derzeit erlaubt Section 60 des Criminal Justice and Public Order Act 1994 den Beamt*innen die Durchsuchung von Personen in einem bestimmten Bereich, wenn sie Schaden befürchten, auch wenn kein hinreichender Verdacht auf Waffenbesitz besteht. Im vergangenen Jahr wurde Section 60 beim Notting Hill-Karneval in London eingesetzt, einem Festival, das das karibische Erbe feiert und ein wichtiges Ereignis für die schwarze britische Gemeinschaft der Stadt darstellt.

Sobald Johnsons Vorschläge in die Praxis umgesetzt sind, können die Beamt*innen jede Person durchsuchen, von der sie glauben, dass sie „vielleicht“ Schaden anrichten könnte. Die Anzahl der Fälle von rassistisch motiviertem Profiling und Diskriminierung sowie harscher Behandlung wird zweifellos zunehmen, wenn einzelne Beamt*innen ungeprüfte Entscheidungen treffen können, sodass die Grenzen, aufgrund derer jemand ins Visier genommen werden kann, unschärfer werden. Ob das „Stop and Search“-Verfahren tatsächlich funktioniert oder nicht, ist ebenfalls hoch umstritten. Die Schatten-Innenministerin von Labour, Diane Abbott, argumentiert, dass es das Ausmaß der Kriminalität nicht senkt und dass selbst die Analyse des Innenministeriums ergeben habe, dass es „keine erkennbaren Auswirkungen auf die Reduzierung von Kriminalität“ hatte.

Das größere Bild

„Stop and Search“ ist nur eines der vielen rassistischen institutionellen Verfahren, die sich weiterhin zu Unrecht gegen BAME-Personen in Großbritannien richten. Laut dem diesjährigen UN-Bericht, der Beispiele für Rassismus und Rassenungleichheit in nahezu allen britischen Sektoren und Bereichen des öffentlichen Lebens findet, fühlen sich britische und andere eingewanderte ethnische Minderheiten in der britischen Gesellschaft isoliert und verlassen sich nicht auf die Institutionen, die sie schützen sollen. Häusliche Gewalt ist beispielsweise für BAME und weibliche Migrantinnen nach wie vor ein äußerst gefährliches Problem, da sie statistisch gesehen im Jahr 2018 1,5-mal länger untätig bleiben, wenn sie in einer missbräuchlichen Beziehung leben.

Von den Frauenrechtsaktivistinnen Southall Black Sisters und Liberty vorgelegte Beweise enthüllten einen schockierenden Grund für dieses Verhalten: Polizeikräfte in ganz England und Wales hatten im selben Jahr Migrantinnen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden waren, Einwanderungsbehörden gemeldet, unter Missachtung der Sicherheit und Leben von Frauen über ihren Einwanderungsstatus hinaus.

Brexit und Sparmaßnahmen sind zwei Hauptursachen für den Anstieg der Rassenungleichheit, wobei Kürzungen bei den Staatsausgaben BAME-Haushalte am stärksten treffen. 2016 führte die Regierung ein „Race Disparity Audit“ durch, bei dem festgestellt wurde, dass BAME-Haushalte ein doppelt so hohes Risiko haben, in anhaltender Armut zu leben, als weiße Haushalte.

Darüber hinaus sind die Gebühren für Einwanderungsanträge in Großbritannien aufgrund der „feindlichen Umwelt“-Politik stark gestiegen: Die Beantragung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis kostet ein Individuum 2.389 Pfund, die Beantragung der britischen Staatsbürgerschaft noch einmal 1.330 Pfund, zusätzlich zur Zahlung der Einkommenssteuer, der Visumsanträge abhängiger Verwandter, Verlängerungsgebühren und zusätzlicher NHS-Krankenkassenzuschläge. Bei Gewinnen von 800%, die das Innenministerium durch Bewerbungen erzielt, wird die Botschaft der Unerwünschtheit offensichtlich.

Angesichts offen rassistischer Verfahren und institutionalisierter Diskriminierung, die landesweit zu Aufspaltungen führt, ist „Stop and Search“ ein ungerechter Schritt weg von der Gleichbehandlung der BAME-Gemeinschaften in Großbritannien. Johnsons Vorschläge zur Reduzierung von Straftaten basieren auf Taktiken der Entfremdung und der Ausgrenzung, die BAME-Brit*innen und Migrant*innen einem nicht vertrauenswürdigen, nicht unterstützenden und nicht willkommen heißenden System ausliefert.

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