Thomas Heimstädt war 2009 bis 2010 als stv. Vorsitzender im Vorstand der JEF und rief hier den digitalen treffpunkteuropa.de ins Leben. Heute ist Thomas Geschäftsführer der polidia GmbH und beschäftigt sich mit Online-Bürger*innendialogen. Wir haben mit ihm über die Entstehung des Magazins, seine Vision von bürgerlicher Partizipation und Kooperation in der EU gesprochen.
treffpunkteuropa.de: Woher kam die Idee für treffpunkteuropa.de?
Thomas Heimstädt: Als ich in den Bundesvorstand der JEF eingerückt bin, sollte ich dort vor allem Kommunikationsarbeit machen. Es gab schon damals ein Printmagazin und dazu kam ein neues digitales Projekt, das von der französischen JEF initiiert wurde. Die Italiener*innen waren auch schon dabei, Deutschland fehlte aber noch. Daraus ist treffpunkteuropa.de und die Zusammenarbeit mit den Partnermagazinen entstanden.
Wie viele Redakteur*innen wart ihr damals?
Das Team war prinzipiell ich selbst. Die Schwester der vorherigen Chefredakteurin hat damals den Satz und das Layout für die Printversion gemacht. Davon gab es vier Ausgaben im Jahr, die jedem JEF-Mitglied per Post geschickt wurden. Wir haben in den Telefonkonferenzen des JEF-Bundesvorstands überlegt, welche Themen wir setzen wollten, je nachdem was in der Politik oder im Verband los war. Digital gab es kein Redaktionsteam. Die Zeitung und die Webseite sind dann irgendwann parallel zueinander gelaufen. Inzwischen gibt es ja nur noch die Online-Ausgabe: Ein gedrucktes Mitgliedermagazin wäre für die JEF heute absurd.
Erinnerst du dich an schwierige Situationen damals?
Inhalte zu produzieren war nicht immer einfach. Online birgt da den großen Vorteil, dass man nicht auf ein Projekt hinarbeitet, das drei Monate später veröffentlich wird. Die Inhalte waren manchmal schon veraltet, wenn sie bei den Leuten ankamen. Aber es braucht einfach so eine Quelle, die junge, europäische Themen aus der JEF herausarbeitet: Da bietet sich online an. Deshalb freue ich mich, dass treffpunkeuropa.de weiterhin so lebendig ist.
Thomas Heimstädt (oben links). Foto: JEF Deutschland (2008)
Was hast du nach deiner Zeit als Chefredakteur von treffpunkteuropa.de gemacht?
Ich war damals am Ende meines Studiums und habe dann ein Traineeprogramm in der Kommunikation bei IBM gemacht. Abends habe ich mich dann um treffpunkteuropa.de gekümmert. Danach habe ich den Job gewechselt und bin nach Berlin gezogen. Hier habe ich im IT-Bereich an der Schnittstelle zwischen Verwaltung, Politik und Kommunikation angefangen. Dann war leider keine Zeit mehr für treffpunkteuropa.de und die ehrenamtliche Arbeit in der JEF da. Jetzt bin ich in Berlin und arbeite vor allem an Online-Dialogen, thematisch ganz breit aufgestellt und leider viel zu wenig im EU-Kontext. Es geht in den meisten Projekten um einen Dialog zwischen Zivilgesellschaft, Verwaltung und Bürger*innen. Das hat meistens einen regionalen Fokus. Man könnte jetzt zum Beispiel Berlin nehmen: Da hat unser Unternehmen unter Beteiligung der Berlinerinnen und Berliner ein Klimaschutzprogramm entwickelt. Wir haben aber auch schon Projekte im Bereich „Radverkehr der Zukunft“ für das Bundesverkehrsministerium oder Projekte zu den Ansprüchen von Patient*innen und Angehörigen in der Krebstherapie realisiert. Von ganz klein bis ganz groß.
Von dem, was du für deinen Job machst, was kann man davon auf Europa übertragen? Was fehlt Europa im Bereich Partizipation?
Es gibt eigentlich viele grenzübergreifende Angebote. Hier fehlt allerdings oft der thematische Fokus. Wenn die Kommission ihre Konsultationen zu hochrelevanten Themen macht, dann ist das meistens wenig innovativ und echt uncool für die Leute. Natürlich gibt es auch große Hindernisse, wie zum Beispiel Sprachbarrieren, was treffpunkteuropa.de schon ganz anders gelöst hat als viele andere. Für solch grenzüberschreitenden Online-Dialoge gibt es aber leider viel zu wenige Beispiele. Politisch sollte man in Europa den Bürger*innen mehr zuhören - und nicht nur der organisierten Zivilgesellschaft. Ein Dialog mit mehreren tausend Leuten über geschützte Online-Plattformen würde sich auf jeden Fall lohnen. Man müsste insbesondere die lokale Ebene mit der europäischen besser verknüpfen: Vielen Leuten fällt es relativ schwer zu abstrahieren. Jede*r hat etwas zu seiner Nachbarschaft zu sagen, aber Gelder, die in die Nachbarschaft hineinwirken, kommen oft von der EU. Europa sollte hier mehr zur Alltagserfahrung werden.
Was ist deine Vision - vor allem als Geschäftsführer von polidia?
Wir wollen Städte besser, inklusiver und dialogischer machen. Dass jede*r gehört wird, zu Angelegenheiten, die alle betreffen, das ist unser Anspruch. Im föderalen Gefüge ist das oft nicht so einfach. In kleinen Kommunen gibt es oft ehrenamtliche Gemeinderäte und hier müssen wir immer wieder überzeugen, dass ein Bürgerdialog ihnen natürlich nicht gleich das Mandat nimmt sondern Entscheidungen in der Kommune idealerweise besser machen. Es passiert momentan auch ganz viel im Bereich von Zufallsbürger*innenkonstrukten. Es geht darum, wie man Repräsentativität in Diskurse bekommt, damit nicht nur professionell organisierte Stimmen Gehör finden. Unser Kerngeschäft ist es, Instrumente zu bauen, die einfach zu verwenden sind. Ganz wichtig ist, dass diese barrierefrei sind und alle Leute mitnehmen. Junge Leute erreicht man oft sehr schwer, weil sie nicht mal mehr eine E-Mail-Adresse haben, um sich irgendwo zu registrieren. Aber man muss auch für beispielsweise für Menschen mit Sehbehinderungen und ältere Menschen zugänglich sein. Das ist nicht einfach.
Was siehst du als größte Herausforderungen von Europa?
Man sieht tagesaktuell, dass Europa in der Migrationspolitik immer noch keinen Lösungsansatz gefunden hat. Die Situation in Griechenland und der Türkei zeigt, dass die europäische Kooperation nicht funktioniert. Wenn es ums eigene Geld geht, gibt es immer noch viel zu wenig Solidarität und die Lösungen fehlen. Auch an der Corona-Pandemie sieht man, wie schnell sich Staaten abschotten und in ihr eigenes Nest zurückziehen. Das Kooperative ist für mich eine Daueraufgabe in Europa. Viele Leute denken in Krisensituationen eben nicht mehr an Europa, sondern orientieren sich regional. Da steht sich Föderalismus oft selbst im Weg. Bestimmte Themen kann man eben nicht auf lokaler Ebene lösen, dazu brauchen wir Europa.
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