Türkische Politiker sind amüsant zu beobachten, nur nicht für türkische Bürger

, von  Alp Deniz, übersetzt von Stéphanie-Fabienne Lacombe

Türkische Politiker sind amüsant zu beobachten, nur nicht für türkische Bürger
Die Vielfalt sei die Stärke der Opposition in der Türkei meint der Autor. „Stiller Protest“ auf dem Taksim Platz, Istanbul 2013. Adaptation based on image by © baris karadeniz / CC BY-SA 2.0/ Flickr

Deniz Alp meint, dass der Glaube an die EU in der Türkei abnimmt. Europa sollte Einfluss nehmen, um das Rechtsstaatsprinzip, die Meinungsfreiheit und Medienfreiheit in der Türkei zu wahren. Er hofft, dass der Kontakt zu Europa die Türkei davon abhält sich weiter in Richtung Autoritarismus zu bewegen.

Am 24. November hat das Europäische Parlament eine Resolution verabschiedet, die die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei temporär auf Eis gelegt hat. Von den Geschehnissen rund um den Gezi-Park 2013 bis zum Ausnahmezustand nach dem missglückten Putsch hat die sich verändernde politische Landschaft der Türkei viele EU-Politiker alarmiert. Sie fürchten ein autoritäres Regime, Empfindlichkeit gegenüber Dissenz und mit Erdogans Befürwortung der Todesstrafe eine Ablehnung der Werte der EU.

Die Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) kam 2002 mit dem Versprechen an die Macht, sich für den Integrationsprozess mit der EU einzusetzen. Die Politiker wollten zudem den Einfluss des Militärs auf die politische und gesellschaftliche Sphäre verringern, der die türkische Demokratie seit über 60 Jahren geprägt hatte. Zuspruch kam aus vielen europäischen Ländern und die politische Idee einer Kompatibilität von Islam und Demokratie entstand.

Der Optimismus schien gerechtfertigt. Dennoch war, wenn man einen Blick auf die parteipolitische Geschichte der AKP und insbesondere ihren Vorsitzenden Recep Tayyip Erdoğan wirft, von Beginn an klar, dass die existierende Spaltung der türkischen Gesellschaft durch Entfremdung und Feindschaft zwischen kulturellen Gruppen sich noch vertiefen würde.

Wahrscheinlich waren weder die EU noch die Türkei aufgrund interner Gründe sowie kultureller Vorurteile bei den Beitrittsverhandlungen sonderlich enthusiastisch. Die Gespräche wurden von Erdoğan genutzt, um eine demokratische Fassade aufzubauen, die seine eigentlichen Interessen verbergen sollte. Das Militär verlor an Einfluss, die AKP gewann weitere Wahlen, festigte somit ihre Macht und Elemente der versteckten Agenda traten an die Oberfläche.

Lesen Sie hier den Artikel von Pascal Langer zu diesem Thema

Die politische und gesellschaftliche Opposition sind zunehmend von der Angst unbegrenzter Machtausübung geplagt. Denn sie haben begonnen, für die Verteidigung der Menschenrechte und die politische Emanzipation einen hohen Preis zu zahlen. Eine Opposition, der es nicht möglich ist, Gedanken und Kritik zu äußern, hat keine Stimme mehr. Die Aussicht auf jeden noch so kleinen Erfolg schwindet. Ein aufrichtiger und progressiver Dialog zwischen der EU und der türkischen Opposition könnte diese Tendenz umkehren.

Der Hauptaspekt, der die türkische Regierung und die EU verbindet, ist der kürzlich verabschiedete Deal mit der Türkei in der Flüchtlingsfrage aber nach dem Votum des Europäischen Parlaments ist die Rücktrittsmöglichkeit Erdoğans zum Problem geworden. Der Deal war ein klares Zeichen dafür, dass der EU vor allem an ihrem eigenen Schutz liegt während sie gegenüber den Rückschritten der Demokratie in der Türkei blind ist.

Mit seiner Drohung Flüchtlinge nach Europa zu lassen demonstriert Erdoğan Macht, was die Beliebtheit unter seinen Anhängern noch erhöht.

Manipulation der Wirklichkeit

Die Nachricht von der nicht-bindenden Entscheidung des EU-Parlaments wurde von Erdoğan verdreht als er sagte, die Türkei wolle der EU beitreten, doch die EU wolle sie nicht. Ein Gefühl von Exklusion wurde damit geschaffen. Der ehemalige Herausgeber der Cumhuriyet, Can Dundar, äußerte, die Entscheidung des EU-Parlaments sei keine Bestrafung für Erdoğan, sondern vielmehr für die türkischen Bürger, die an die europäischen Werte einer modernen Türkei glaubten. Die Konsequenzen der Entscheidung, insbesondere wenn sie von der Regierung derart manipuliert wird, werden eine stärkere Abkopplung der EU von der Türkei, sowie Isolation der Opposition fördern. Die Regierung hat ihre Kontrolle über die Medien und ihr eigenes Pressebüro ausgedehnt, um ihre Version der Nachrichten stärker zu verbreiten.

Die oppositionellen Medien wurden als Verräter verleumdet, wie zum Beispiel Cumhuriyet. Als die Zeitung enthüllte, das türkische Militär habe Waffen an Nicht-Regierungs-Akteure im syrischen Bürgerkrieg geliefert.

Die Bürger können die Wahrheit nur durch den Zugang zu verschiedenen Informationsquellen beurteilen. Dieses Recht wird jedoch von der Regierung beschnitten und das Potenzial oppositioneller Stimmen, die die Türkei einen demokratischeren Pfad einschlagen lassen könnten, wird verringert.

Erdoğan sieht die Gesellschaft als ein Objekt, das durch populistische Rethorik, überwachte Medien und eine abgeschwächte Opposition manipuliert werden kann. Der moralische Kompass der Opposition kann durch Unterstützung aus der EU erhalten werden, um angesichts von Erdoğans Allmachtsansprüchen nicht unterzugehen.

Macht durch Verschiedenheit

Die Türkei ist ein Land mit vielfältigen und tiefen sozio-kulturellen Spaltungen, die leider auch die Opposition betreffen. Dennoch könnte genau diese Verschiedenheit für die Opposition nützlich werden und gar ihre “Raison d’être” werden. Diversität sollte sie nicht schwächen, sondern im Kampf gegen Erdoğan stärken, da die Einheit einer Politik der Vielen monolithische Machtstrukturen umstürzen kann. Würde sich der Widerstand vereinigen, könnte eine echte demokratische Kultur blühen und die Gefahr, die die Demokratie in der Türkei heute bedroht, gebannt werden.

Kann die EU der türkischen Demokratie helfen?

Europa ist fragil und aufgrund der Flüchtlingsdebatte gespalten. Nationalisten und europa-skeptische rechte Parteien setzen die Einheit der Union auf eine harte Probe. Die Tendenz zu autoritärem Durchgreifen sowie anti-muslimischen Überzeugungen könnte mit der liberalen Ordnung der EU brechen. Wenn die Türkei sich weiter in die gleiche Richtung entwickelt, könnte dies sogar die zukünftige Integrität und geopolitische Sicherheit der EU schwächen. Durch Unterstützen der Opposition könnte die Ausbreitung des Autoritarismus in Europas geopolitisch wichtiger Nachbarschaft aufgehalten werden. Das Driften der Türkei in Richtung eines populistischen politischen Islam sowie das Hervortreten einer de facto „one-man rule“ brachten eine kritische Situation hervor, in der die liberale Ordnung auf wackeligen Beinen steht. Es ist vital für die EU, die universellen Prinzipien, die ihrer Gründung zu Grunde liegen zu verteidigen, nicht nur für sich selber, sondern auch für die Türkei.

Laut des Eurobarometers waren im August 2004 62% der Befragten der Meinung, eine EU-Mitgliedschaft wäre „eine gute Sache“, während 12% dagegen waren und 20% unentschieden. In einer Umfrage letzten Monat wurde beobachtet, dass „entgegen der Erwartungen anlässlich der weniger freundlichen Atmosphäre zwischen der Türkei und Europa 47,7% der Befragten gegen den Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der EU waren. 44,3% unterstützen den Abbruch der Gespräche während 7,7% keine Meinung hatten“. In diesen 12 Jahren hat das Image der EU gelitten und ihr Zuspruch ist gesunken. Dennoch ist die Zustimmung für einen Beitritt unter Türken substantiell hoch. Europa sollte die Leute, die momentan von der türkischen Regierung marginalisiert werden, anhören und unterstützen. Der Glaube an die EU droht in der Türkei bald keine Stimme mehr zu haben. Daher sollte Europa Einfluss nehmen, um das Rechtsstaatsprinzip, die Meinungsfreiheit und Medienfreiheit in der Türkei zu wahren. Dies kann unter Anderem durch Dialog gefördert werden, der Vorurteile abbaut. Die EU sollte entscheiden, ob sie die Türkei tatsächlich in der EU sehen möchte, da die Bereitwilligkeit der türkischen Bürger auch von der Haltung der EU abhängt. Mit einer dynamischen und politisch unabhängigen Opposition könnte ein Streifen Hoffnung am Horizont bleiben. Dieser sollte nicht für eigennützige Machtpolitik auf’s Spiel gesetzt werden.

Lesen Sie die Beiträge anderer Autoren zu diesem Thema:

Pascal Langer

Arthur Molt

Bülent Bilgi

Redakteur in der Rubrik Kontrovers: Arthur Molt

Portfolio

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