Überflieger auf dem Boden der Tatsachen

100 Tage Amtszeit für Emmanuel Macron

, von  Gesine Weber

Überflieger auf dem Boden der Tatsachen
Die ersten Tage verliefen für Macron zwar erfolgreich, aber die großen Aufgaben warten nach der Sommerpause. Foto: vfutscher / Flickr / CC BY NC 2.0-Lizenz

Als Emmanuel Macron vor etwas mehr als 100 Tagen sein Amt antrat, galt er als neuer Hoffnungsträger für Frankreich und Europa. Trotz einiger umgesetzter Versprechen steht der französische Präsident vor gewaltigen Aufgaben - und vor einer spannenden politischen Rentrée im September.

Im August sind die französischen Institutionen wie ausgestorben, das politische Paris steht still - nicht umsonst bezeichnen die französischen Medien den August nicht etwa als „Sommerloch“, sondern als sommerlich „Waffenruhe“. Für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, seine Minister*innen und die Abgeordneten der Nationalversammlung eine Verschnaufpause - denn schon zu Beginn seiner Amtszeit hat sich abgezeichnet, dass Emmanuel Micron ein Präsident ist, der vorankommen und seine Versprechen rasch umsetzen will.

Direkt nach seinem Amtsantritt und noch vor den Wahlen zur Nationalversammlung im Juni hat Macron jene Themen in Angriff genommen, die bereits in seiner Wahlkampagne eine zentrale Rolle spielten, und einige Gesetze auf den Weg gebracht: Ein zentrales Versprechen von Macrons Kampagne waren kleinere Schulklassen, insbesondere in Vorschulen in den „prioritären“ Zonen, wo die soziale und wirtschaftliche Situation der Menschen meist schwierig ist. Dieses Ziel konnte zwar noch nicht flächendeckend, aber immerhin im Fall von 2.200 Vorschulklassen landesweit erreicht werden, wo nun nicht mehr als zwölf Schüler*innen eine Klasse besuchen und damit de facto die Zahl der bestehenden Klassen verdoppelt wurde. Als wichtiger Erfolg des Präsidenten wird darüber hinaus die Verabschiedung des Gesetzes über die „Moralisierung des politischen Lebens“ betrachtet: Insbesondere vor dem Hintergrund der Scheinbeschäftigung-Affäre seines konservativen Gegenkandidaten François Fillon vor den Präsidentschaftswahlen gilt dieses Gesetz, welches mitunter die Anstellung von Familienmitgliedern bei Abgeordneten der Nationalversammlung untersagt, als konsequente Politik Macrons. Ein wichtiger Schritt ist Macron darüber hinaus mit dem neuen Gesetz zur Terrorismusbekämpfung gelungen, welches im Juli vom Senat in erster Lesung gebilligt wurde und im Herbst verabschiedet werden soll: Anstatt mit immer neuen Verlängerungen des Ausnahmezustands, der im November seit zwei Jahren gilt und von den französischen Bürger*innen als sehr negativ betrachtet wird, soll die innere Sicherheit des Landes durch effektivere Maßnahmen garantiert werden. Sollte das Gesetz den Erwartungen gemäß verabschiedet werden, könnte es der Grundstein für eine tiefgreifende Veränderung sein.

Außenpolitik kann nicht über Unstimmigkeiten hinwegtäuschen

Auf dem internationalen Parkett machte der französische Präsident bisher eine gute Figur: Macron bewahrte gegenüber den Machos der Weltpolitik die notwendige Contenance und ließ dennoch keinen Zweifel daran, dass er die französischen Interessen angemessen und effektiv vertreten könne. Vor allem mit Blick auf seine Vorgänger im Amt - dem überdreht wirkenden Nicolas Sarkozy (LR) und dem nur schwach in Erscheinung tretenden François Hollande (PS) - füllt Macron das Amt des französischen Präsidenten auf internationaler Ebene nach Auffassung vieler Bürger*innen wieder dem Anspruch der Französischen Republik entsprechend aus.

Sein diplomatisches Auftreten gegenüber anderen Staats- und Regierungschefs kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Lage innerhalb Frankreichs für ihn trotz seiner Erfolge nicht einfach ist. Die Zustimmung zum Präsidenten sank so stark wie zuletzt zu Beginn der Präsidentschaft von Jacques Chirac (2002-2007), was sich einerseits auf konkrete Maßnahmen von Macron, andererseits auf Unstimmigkeiten in den Institutionen zurückführen lässt. So musste Macron bereits wenige Wochen nach Amtsantritt einige prominente Minister*innen seines Kabinetts wie seine Verteidigungsministerin Sylvie Goulard wegen Korruptionsvorwürfen austauschen. Darüber hinaus erhalten vor allem die Abgeordneten der von Macron gegründeten Partei La République en Marche (LREM), die seit den Wahlen zur Nationalversammlung über die absolute Mehrheit verfügt viel Kritik, da einige von ihnen keine politische Erfahrung mitbringen und die parlamentarischen Verfahren sich sehr in die Länge ziehen. Schwerwiegender als die personellen Startschwierigkeiten des Präsidenten dürften die von ihm vorgenommenen Kürzungen öffentlicher Mittel sein, mit denen er den Staatshaushalt entlasten will: Ab Oktober soll das für Studierende und Niedrigverdiener*innen wichtige Wohngeld um fünf Euro monatlich gekürzt werden, ebenso ist eine Kürzung des Militärbudgets um 850 Millionen Euro geplant. In den Augen vieler Bürger*innen spart Macron in den Bereichen Bildung und Verteidigung an den falschen Stellen.

Macron erhält besonders viel Kritik für sein Vorgehen, mit dem er sein Vorhaben einer Vereinfachung des Arbeitsrechts durchsetzen will. Anstatt den voraussichtlich langwierigen Weg über das Gesetzgebungsverfahren im Parlament zu wählen, will der Präsident das Gesetz per Regierungsbeschluss verabschieden: In diesem Fall wird ein Gesetz im Detail von den beteiligten Ministerien ausgearbeitet, von der Regierung verabschiedet und vom Parlament ohne inhaltliche Änderungen gebilligt. Vor allem auf Grund seiner Versprechen der „Erneuerung des politischen Lebens“ und bürgernaher Politik enttäuscht Macron nicht nur seine Wähler*innen, sondern bringt Verbände und Gewerkschaften noch mehr gegen sich auf, als er es ohnehin mit den inhaltlichen Vorschlägen zum neuen Arbeitsrecht schon getan hatte. Nicht nur von der parlamentarischen Opposition, sondern auch von der Zivilgesellschaft darf Macron für dieses Gesetz mit massivem Protest rechnen - Streiks nicht ausgeschlossen.

Aufholbedarf in der Europapolitik

Die Kampagne von Emmanuel Macron wurde in Frankreich und im Ausland als dezidiert proeuropäisch kommuniziert, der neue französische Präsident als vermeintlicher Retter Europas geradezu glorifiziert. Es steht außer Frage, dass eine Vertiefung der europäischen Integration, beispielsweise durch die Schaffung einer gemeinsamen Regierung für die Eurozone, auf der politischen Agenda für Macrons Amtszeit steht; der Erfolg dieses Vorhabens ist aber keinesfalls sicher. Die Erwartungen, die Macron im Rahmen seiner Kampagne an sich selbst formuliert und in den ersten Wochen seiner Amtszeit stets wiederholt hat, sind sehr hoch - fraglich ist, inwiefern der französische Präsident ihnen gerecht werden kann. Viel wird hier von der Bundestagswahl abhängen, da Macron für seine europapolitischen Ambitionen auf das deutsch-französische Tandem baut. Zwar ist Angela Merkel (CDU) für Frankreich eine verlässliche Partnerin, aber mit dem dezidiert proeuropäisch auftretenden Martin Schulz (SPD) als Kanzler hätte es Macron leichter, da er vermutlich weniger Zugeständnisse machen müsste. Auch die Dauer der Koalitionsverhandlungen kann für Macron zur Geduldsprobe werden: Sollte er nicht noch bis Jahresende zumindest einen Fahrplan mit dem deutschen Partner vorweisen können, dürfte das seine Umfragewerte weiter in den Keller treiben.

Nach der sommerlichen „Waffenruhe“ erwartet den Präsidenten im September eine spannende Rentrée. Man darf gespannt sein, ob es Macron im Laufe der kommenden Monate und Jahre gelingt, seine ambitionierten Versprechen zumindest teilweise umzusetzen und gleichzeitig die Mehrheit der Bürger*innen für seine Politik zu gewinnen.

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