Umfragen: Europas Rechte im Sinkflug

Warum Le Pen und AfD plötzlich Wähler verlieren

, von  Tobias Gerhard Schminke

Umfragen: Europas Rechte im Sinkflug
Die Nominierung von Martin Schulz (S&D) hat der AfD in Deutschland geschadet © Parti Socialiste /Flickr/ CC 2.0-Lizenz

Lange sah es so aus, als sei der Aufstieg der rechtsgerichteten Parteien um Marine Le Pen und die AfD (Europa der Nation und Freiheit, ENF) unaufhaltsam. Doch seit Oktober 2016 ist der Wähleranteil der Rechten in Europa nicht mehr gewachsen. Seit Anfang des neuen Jahres sinken die Umfragen für die Parteien der ENF-Fraktion sogar.

Hintergrund für den Misserfolg der Rechten ist zum einen das für viele Wähler abschreckende Beispiel von Donald Trumps bisheriger Performance als US-Präsident und zum anderen das sinkende mediale Interesse am Thema Flucht und Migration. Zudem haben zwei sozialdemokratische Kandidaturen in Deutschland und Frankreich überraschend viele Wähler begeistern können: Benoit Hamon und Martin Schulz.

Marine Le Pen und Geert Wilders – Abstieg zur Unzeit

Sollte sich der Trend der vergangenen acht Wochen verstetigen, käme dies besonders für zwei Personen zur Unzeit: Marine Le Pen (Front National) will im April französische Präsidentin werden, Geert Wilders möchte mit seiner Partei für die Freiheit am 15. März stärkste Kraft bei den Wahlen in den Niederlanden werden. Doch ausgerechnet jetzt befinden sich die beiden Rechten – wie auch ihre Partnerparteien in Europa – im Sinkflug. Die mehr oder weniger offene Verbrüderung mit dem US-Präsidenten Donald Trump dürfte wohl eine nicht zu geringe Rolle gespielt haben. Viele Europäer, auch im rechten Spektrum, sind von den Leistungen des neuen Amtsinhabers in Washington nicht überzeugt. Auch die geringer werdende Aufmerksamkeit der Medien gegenüber der Migrationskrise entzieht den Rechten Aufmerksamkeit und damit Wählerstimmen. Zuletzt spielten zum Beispiel in Deutschland aber auch in den Niederlanden radikal islamophobe oder antisemitische Äußerungen dabei eine Rolle, gemäßigtere Wähler zu verschrecken. Insgesamt fällt der Wähleranteil der ENF-Fraktion europaweit um einen Prozentpunkt im Vergleich zu Anfang Februar auf nun 7,5 Prozent. Dass es sich dabei um kein rein nationales Phänomen handelt, zeigt der Vergleich der Mitgliedsparteien der ENF-Gruppe auf Länderebene: Die FPÖ in Österreich (minus eins auf 31 Prozent), die AfD in Deutschland (minus drei auf neun), der Front National in Frankreich (minus eins auf 26), die Partei für die Freiheit von Geert Wilders in den Niederlanden (minus zwei auf vierzehn) und die SNS in der Slowakei (minus eins auf zehn) müssen Verluste hinnehmen. Stabil bleibt allein die Lega Nord in Italien, die weiterhin 13 Prozent erreicht. Für den Vlaams Belang in Belgien wurden keine Zahlen im Monat Februar erhoben.

Stärkung der Sozialdemokratie

Die Rechten haben in der Vergangenheit zumeist ehemalige Wähler der Sozialdemokratie für sich begeistern können. Von den Verlusten von Le Pen und Co profitieren die Sozialdemokraten in Europa in diesem Monat nun auch am stärksten. Sie legen von 20,5 auf 23,5 Prozent Wähleranteil zu.

Besonders haben dazu zwei Personalentscheidungen beigetragen. Benoît Hamon und Martin Schulz stehen als Präsidentschafts- bzw. Kanzlerkandidaten in Frankreich und Deutschland zur Wahl und haben ihre Parteien in Umfragen auf Höhenflug geschickt. So gewannen in Frankreich der Kandidat der PS nach der Nominierung Hamons mittels einer Urwahl sechs Prozentpunkte auf heute 14 Prozent Wähleranteil hinzu. Die deutsche SPD steigerte sich unter Martin Schulz von 23 auf 31 Prozent. Auch in Finnland, Dänemark, Schweden und in Bulgarien gewinnen die Sozialdemokraten hinzu. Zurück zum Altbewährten ist wohl auch eine Reaktion auf Trumps Präsidentschaft. Besonders die Sozialdemokraten hatten unter dem Aufstieg der Rechten bis zu dessen Nominierung gelitten. Wie lange der Schulz-Hamon-Zug „ohne Bremsen“ bleibt, ist abzuwarten. Zuletzt hatten die Sozialdemokraten einen Negativrekord in den Umfragen nach dem anderen gebrochen – und das europaweit.

Die Christdemokraten (EPP-Fraktion) sind dagegen schwach wie nie. Nur noch 21 Prozent der Europäer würden die Partei von Jean-Claude Juncker und Angela Merkel wählen, wenn heute Europawahl wäre. Die liberalen Parteien um Guy Verhofstadt (ALDE-Fraktion) legen europaweit auf 8,5 Prozent (+0,5 Punkte im Vergleich zum Vormonat) zu. Auch die nationalistische EFDD-Fraktion um Nigel Farage legt einen Punkt auf 6,5 Prozent zu.

Macrons Bewegung En Marche große Unbekannte

Grüne und Linksparteien (GUE/NGL-Fraktion) verlieren jeweils einen halben Prozentpunkt und erreichen 4,0 bzw. 7,5 Prozent. Ein gleiches Schicksal ereilt die konservative ECR-Fraktion, die nun noch 9,0 Prozent erreicht. 6,0 Prozent der Wahlberechtigten würden Parteien wählen, die sich keiner der klassischen Fraktionen zuordnen lassen würden und sich demnach mit Martin Sonneborn in der Fraktionslosen-Fraktion (NI) im Europaparlament wiederfänden. Darunter wären aktuell auch 27 Abgeordnete der linksliberalen Bewegung in Frankreich um Emmanuel Macron En Marche. 49 Abgeordnete insgesamt würden bei einer Wahl heute der NI-Fraktion insgesamt angehören. Dabei ist völlig unklar, ob En Marche bei der Europawahl als Partei antritt und welcher Fraktion sich das Bürgerbündnis anschließt. Zuletzt hatte Macron auf die Unterstützung von Liberalen und Grünen bauen können. 6,5 Prozent würden auf andere Parteien entfallen, die den Einzug ins Europaparlament verpassen.

Die Sitzverteilung im Europäischen Parlament ist nicht direkt proportional zum Stimmenanteil. Aktuell würden die Sozialdemokraten mit 185 Sitzen die stärkste Kraft im Parlament. Dies würde bedeuten, dass der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten Kommissionspräsident würde. Dieser wird erst vor den Wahlen 2019 nominiert werden. Frans Timmermans und Gianni Pitella gelten dabei bei Insidern als Favoriten. Aktuell umfasst die S&D-Fraktion 189 Sitze. Die EPP würde mit 174 Sitzen zweitstärkste Kraft. Aktuell umfasst die Fraktion 217 Sitze. Die Liberalen (ALDE) würden aktuell zwar weniger Stimmen, dafür aber mit 85 (+17) Abgeordneten mehr Sitze im EU-Parlament erhalten als die Konservativen (ECR), die 81 (+7) Plenumsplätze besetzen würden. Die Linksfraktion könnte ihre Position als fünftstärkste Kraft knapp verteidigen (54 Sitze, +2). Knapp dahinter käme Marine Le Pens 51 Mann starke (+11) Rechtsfraktion. Für die EFDD-Fraktion würden wie schon 2014 52 Politiker ins Espace Léopold einziehen. Die Grünenfraktion würden von 51 auf nur noch 31 Parlamentarier schrumpfen.

Fraktionszuordnung: Parteien, die bereits im Europäischen Parlament vertreten sind, werden jeweils ihrer derzeitigen Fraktion zugerechnet. Nationale Parteien, die derzeit nicht im Europäischen Parlament vertreten sind, aber einer europäischen Partei angehören werden der Fraktion der entsprechenden europäischen Partei zugeordnet. Parteien, die nicht im Parlament vertreten sind und bei denen die Zuordnung zu einer bestimmten Fraktion unklar ist, werden als „andere“ eingeordnet. Für die Bildung einer Fraktion sind mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens sieben Mitgliedstaaten notwendig.

Datengrundlage: Soweit verfügbar, wurde bei der Sitzberechnung für jedes Land jeweils die jüngste Umfrage oder die jüngste Sitzverteilungsprognose zu den Wahlabsichten für das Europäische Parlament herangezogen. In Ländern, wo es keine spezifischen Europawahlumfragen gibt oder wo die letzte solche Umfrage mehr als drei Wochen zurückliegt, wurde stattdessen die jüngste verfügbare Umfrage für die Wahl zum nationalen Parlament verwendet. Liegen in Mitgliedsstaaten keine seit der letzten Parlamentswahl vor, wird das Wahlergebnis der jeweiligen Wahl herangezogen. Die Sitzverteilung wird entsprechend des jeweiligen Europawahlrechts ermittelt. In Frankreich wird die aktuellste Umfrage zu den Präsidentschaftswahlen herangezogen, wenn keine andere Umfrage zu Parlaments- oder Europawahlen innerhalb der letzten drei Wochen veröffentlicht wurde.

Europa wächst mehr und mehr zusammen. Politische Phänomene wie Arbeitslosigkeit oder die Reaktion der Bürger auf ein Atomunglück wie das von Fukushima treten vermehrt in mehreren EU-Ländern zeitgleich auf. Dies wirkt sich auch auf das Wahlverhalten aus - es entsteht ein gesamteuropäisches Wahlverhalten. Deshalb macht es Sinn ein politisches Stimmungsbarometer für die EU28 zu entwerfen. Die Resultate basieren auf den Ergebnissen nationaler repräsentativer Umfragen aller EU28-Staaten. Stichtag ist jeweils der 30. Tag eines Monats. Statistisch weist dies natürlich deshalb Mängel auf, weil nicht immer Umfragen zur Europawahl, sondern nur zu nationalen Wahlen erhältlich sind. Hintergründe zu den verwendeten Umfragen erfahren Sie auf Anfrage unter tobias.schminke chez treffpunkteuropa.de.

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