Die Erfolgsgeschichte Orbáns

Ungarn im Notstand: Was ist da los? – Teil 2

, von  Stefanie Neufeld

Ungarn im Notstand: Was ist da los? – Teil 2
Ungarns Notstandgesetz stattet Orbán mit umfassenden Sondervollmachten aus. Foto: Flickr / European People’s Party / CC BY 2.0

Keine Wahlen, keine Referenden, dafür umfassende Sondervollmachten für Ministerpräsidenten Viktor Orbán: So sieht der Notstand aus, den Ungarn angesichts der Corona-Pandemie beschlossen hat. Unter den europäischen Nachbarländern sorgt das Gesetz für Aufregung. treffpunkteuropa.de-Autorin Stefanie Neufeld beleuchtet in einem Zweiteiler Orbáns politische Erfolgsgeschichte und ordnet die aktuelle Entwicklung ein. Der erste Teil beschrieb Orbáns Werdegang. Heute: das Notstandgesetz in Zeiten der Corona-Pandemie.

Als Reaktion auf die Corona-Pandemie wurde in Ungarn am 11. März 2020 der Notstand ausgerufen. Das ist für sich nicht ungewöhnlich: Viele weitere EU-Staaten verhängten ebenfalls den Notstand, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Am 30. März beschloss das ungarische Parlament anschließend das sogenannte „Corona-Gesetz“, welches jetzt für internationale Kritik sorgt. Es verleiht Orbán umfassende Sondervollmachten: Vor allem kann er nun per Dekret regieren, braucht also keine Zustimmung vom Parlament mehr, um bestimmte Gesetze im Rahmen des Notstandes auszusetzen. Auch dürfen während der Zeit des Notstandes keine Wahlen oder Referenden stattfinden. Darüber hinaus drohen beispielsweise bis zu fünf Jahre Haft für die Verbreitung von falschen Berichten über die Pandemie selbst oder das Handeln der Regierung in dieser Situation. Kritiker*innen sehen darin eine Gefahr, getarnt als Maßnahme zur Bekämpfung von Desinformation, da jene Kontrollbehörde, die Medien in Ungarn beaufsichtigt, dem Parlament untersteht und damit nicht unabhängig von der regierenden Partei agieren kann.

Kritiker*innen sind besorgt, dass Orbán die Pandemie nutzen könnte, um seine Macht weiter aus- und die ungarische Demokratie abzubauen. Der ungarische Botschafter Péter Györkös sagte im Interview mit der WELT jedoch, dass kein Grund zur Sorge bestehe. Das Gesetz gelte ihm zufolge nur, bis die Krise bewältigt sei und das Parlament den Notstand für beendet erkläre. Diese Entscheidung liege weiterhin bei den Volksvertreter*innen, nicht etwa bei Orbán. Auf die Frage, warum auch die Notstandsmaßnahmen noch immer gelten, die 2015 im Zuge der Flüchtlingssituation in Kraft getreten waren, antwortete er, dass es schließlich noch immer einen Ansturm auf die Grenze gebe. Die Maßnahmen sollen die Terrorgefahr verringern, indem die Armee an der Grenze eingesetzt wird und Geflüchtete in sogenannten Transitzonen an der serbisch-ungarischen Grenze festgehalten werden, bis ihre Asylverfahren abgeschlossen sind. Auf die Vorwürfe antwortete Orbán vor allem an die EU gerichtet: „Wenn Sie in der gegenwärtigen Krisensituation nicht in der Lage sind, uns zu helfen, dann nehmen Sie zumindest davon Abstand, unsere Schutzanstrengungen zu behindern.“

Debatte um Ausschluss aus der EVP

Im Zuge dieses Gesetzes wurden erneut Rufe laut, die Fidesz aus der Europäischen Volkspartei (EVP) auszuschließen. 13 der 80 Mitgliedsparteien forderten ihren Vorsitzenden Donald Tusk am 2. April 2020 in einem gemeinsamen Brief auf, ein erneutes Verfahren einzuleiten. Dem Brief zufolge stelle das Notstandsgesetz „einen Verstoß gegen die Gründungsprinzipien liberaler Demokratie und europäische Werte“ dar. Orbán pries allerdings schon 2014 in einer Rede die „illiberale Demokratie“ an und argumentierte, dass global gerade jene Staaten erfolgreich seien, die „nicht westlich, nicht liberal […] und eventuell nicht einmal demokratisch“ seien.

Bisher sind bereits drei Versuche, die Fidesz aus der EVP auszuschließen, gescheitert - nach Informationen aus Parteikreisen auch weil die CDU diesen Wunsch nicht mittrug. Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder, in ihren Funktionen als Vorsitzende von CDU und CSU, haben sich den Forderungen eines Ausschlusses der Fidesz auch diesmal nicht angeschlossen. Orbán äußerte währenddessen, er habe keine Zeit für ein solches Verfahren.

EU gibt sich passiv, aber handlungsbereit

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mahnte zunächst ohne die konkrete Benennung Ungarns, dass alle Staaten verhältnismäßige Maßnahmen treffen sollten, um die Corona-Pandemie unter Kontrolle zu bekommen. Sie sei „nicht an Parteipolitik gebunden“, sagt sie dem ZDF. Von ihrer Seite ist daher nicht mit einer Stellungnahme zum Ausschlussverfahren zu rechnen. Sie sagte aber auch: "Wir haben mit Ungarn […] eine kritische Erfahrung […] gemacht.“ Die EU werde handeln, so von der Leyen, sollte dies nötig werden.

Staatsminister für Europa und SPD-Politiker Michael Roth sprach sich währenddessen konkret für finanzielle Sanktionen gegen Ungarn aus. „Es ist unserer Bevölkerung nicht zu erklären, dass Staaten einen großen Teil ihrer öffentlichen Investitionen mit EU-Geld finanzieren und dann die Prinzipien der EU verletzen“, sagte er im Gespräch mit der WELT. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn forderte zudem eine „politische Quarantäne“ für Ungarn, da eine diktatorische Regierung innerhalb der EU nicht hinzunehmen sei. „Im Namen der kommenden Generationen dürfen wir eine immer deutlichere „Orbánisierung“, also eine immer deutlichere Abkehr von den elementarsten Regeln der Demokratie, nicht hinnehmen,“ betonte Asselborn.

Die politische Situation Ungarns und die Corona-Pandemie stellen für sich allein betrachtet bereits enorm angespannte Situationen dar. Dass beide nun aufeinandertreffen, könnte die Meinungen in Europa spalten, aber auch in einer klareren Position seitens der EU gegenüber Orbáns Politik münden.

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