Ungarns verhöhnte akademische Freiheit

, von  Laura Mercier, übersetzt von Tom Pascheka

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Ungarns verhöhnte akademische Freiheit
Die Central European University in Budapest Fotoquelle: Wikimedia / Gphgrd01 / CC BY-SA 3.0

Die ungarische Regierung setzt ihre Angriffe gegen die Central European University (CEU) in Budapest fort und tut scheinbar alles dafür, die Hochschule ins Exil zu zwingen. Sie lehnt es ab, eine Vereinbarung mit der Universität zu unterzeichnen, die ihr die Lehraufgabe im Land genehmigt. Dies ist die logische und doch skandalöse Konsequenz einer Reihe von Angriffen gegen die Universität und insbesondere deren Begründer George Soros, der zum Hauptgegner von Viktor Orbán erklärt worden ist.

Ein von der Regierung erzwungenes und inszeniertes Exil

Die Central European University stellt all das dar, das der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán bemängelt und kritisiert. Zusammenfassend kann man sagen, dass sie im Widerspruch zu seinen nationalistischen und ultra-konservativen Ideen steht. Die Universität, die 1991 nach dem Zusammenfall der Sowjetunion gegründet wurde, hat bis heute das Ziel, die Werte einer demokratischen und weltoffenen Gesellschaft zu fördern. Jedes Jahr empfängt sie gut 1.500 Studierende aus der ganzen Welt (ca. 40% Ungar*innen, 60% ausländische Studierende), denen sie Ausbildungen in Wirtschaft, Recht, Politik, Geschichte und Mathematik bietet. Durch sie ist der amerikanisch-ungarische Milliardär George Soros ins Visier der Regierung geraten. Soros, Gründer und Förderer der Universität, ist zur Zielscheibe zahlreicher Attacken geworden. Eine davon ist das Gesetz „Stop Soros“, das seine Stiftung Open Society zur Flucht nach Berlin gezwungen hat. Soros setzt sich für eine offenere und liberalere Gesellschaft ein, die ganz im Gegensatz zu Viktor Orbáns Konservatismus steht.

Im April 2017 ließ die ungarische Regierung ein Gesetz verabschieden, das jede ausländische Universität dazu verpflichtet, einen Campus in ihrem Herkunftsland zu haben. Bei der Central European University, deren Sitz zwar in New York ist, aber deren weltbekannter Campus in der ungarischen Hauptstadt liegt, war dies nicht der Fall. Das Ziel war klar: die Universität aus dem Land zu schaffen. In Folge dessen setzte die Regierung der CEU ein Ultimatum: Sollte die Regierung keine Ermächtigung für die Lehrbefugnis auf ungarischem Boden gestatten, würde die Universität dazu verpflichtet, ihre Tätigkeiten in ein anderes Land zu verlegen. Diese letzte Attacke setzt eine Reihe von Androhungen gegen die Universität fort. Das Zwangsexil wäre nur ein weiteres Beispiel der zahlreichen Verletzungen der individuellen Freiheit und der Rechte von Bürger*innen, die im heutigen Ungarn mehr und mehr verhöhnt und eingeschränkt werden. Die ungarische Regierung erschwert hier maßgeblich die akademische Freiheit und Autonomie.

In einem Brief an den ungarischen Außenminister Szijarto Peter vom 22. November 2018 erteilte Michael Ignatieff, Präsident und Rektor der Universität, der Regierung eine juristische Lektion. Er erinnerte sie daran, dass laut ungarischem Gesetz über die Hochschulausbildung nicht die Regierung die Kompetenz hat zu beurteilen, ob eine ausländische Institution tatsächlich ihre Bildungsaktivitäten in ihrem Herkunftsland durchführt, sondern ausschließlich die Bildungsbehörden des jeweiligen Landes. Es sei daher die Aufgabe des Bildungsministeriums in New York und nicht die der ungarischen Regierung, zu bewerten, ob die akademische Einrichtung in ihrem Hoheitsgebiet Bildungsaktivitäten anbietet. Er fährt fort: „Die Frage, ob die CEU gesetzeskonform gehandelt hat, müsste vor dem Hintergrund der Gesetzgebung leicht zu beantworten sein. Wenn Sie ihre eigene Gesetzgebung ignorieren wollen, liegt das in Ihrer Verantwortung.“ Der Rektor erinnerte auch daran, dass sich die Universität seit mehreren Monaten gesetzeskonform verhalte. Um in Ungarn bleiben zu können, hatte die Universität beispielsweise Bildungsaktivitäten am Bard College, einer Hochschuleinrichtung im US-Bundesstaat New York, aufgenommen. Dies war einer von unzähligen Versuchen, die ungarische Regierung daran zu erinnern, dass sie in Wirklichkeit keine Rechtfertigung dafür hat, der Universität das Lehrrecht in Budapest zu entziehen. Doch vergeblich…

Akademische Freiheiten infrage gestellt

Akademische Freiheiten werden in einer UNESCO-Empfehlung aus dem 1997 definiert als „die Ausbildungs- und Diskussionsfreiheit außerhalb jeglicher doktrinären Einschränkung; die Freiheit, Forschung zu betreiben und deren Ergebnisse zu verbreiten und zu veröffentlichen; das Recht auf freie Meinungsäußerung innerhalb der Einrichtung oder des Systems, in dem eine Person arbeitet; das Recht, keiner institutionellen Zensur ausgesetzt zu sein; und das Recht, frei an Aktivitäten professioneller Organisationen oder repräsentativer akademischer Einrichtungen teilzunehmen“. Es gibt also vier fundamentale Freiheiten: die Ausbildungsfreiheit, die Forschungsfreiheit, die interne Meinungsfreiheit und die externe Meinungsfreiheit. Diese Freiheiten müssen das Fundament eines jeden Bildungssystems bilden, in Ungarn stellt man sie jedoch infrage.

Diese Freiheiten und Rechte sind es, die zahlreiche Demonstranten (vergeblich?) zu verteidigen versuchen. Am 24. November 2018 demonstrierten zwischen 2.000 und 3.000 Menschen auf den Straßen von Budapest, um die Universität mit ihren Forderungen nach einer „freien Universität“ und einem „freien Land“ zu unterstützen. Die Central European University war konzipiert als Raum für Diskussionen und als Laboratorium für die Demokratie, wo kritischer Geist und Meinungsfreiheit herrschen müssen. Werte wie Multikulturalismus und Diversität sind fundamentale Prinzipien der Universität, und genau diese Prinzipien sind es, gegen die die ungarische Regierung vorgeht.

Vor dem Hintergrund der allgemeinen Politik der ungarischen Regierung, die von nationalistischer Abschottung und der Förderung einer antiliberalen Demokratie geprägt ist, sieht man deutlich, dass die demokratischen Werte der Europäischen Union derart angegriffen werden, dass deren Institutionen vor solchen Einschränkungen nicht die Augen verschließen dürfen. Trotzdem kann die Universität keine wirkliche Unterstützung von den europäischen Institutionen und ihren Präsident*innen erhalten. Verurteilungen der Androhungen und des Zwangsexils seitens europäischer Politiker*innen lassen auf sich warten. Während einer Plenarsitzung des Europäischen Parlamentes im November 2018 drängte Guy Verhofstadt, Vorsitzender der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE), die Europäische Union jedoch zum Handeln. Er appellierte an die Europäische Volkspartei, der der Ungarische Bürgerbund Fidesz, die Partei Viktor Orbáns, angehört, auf dieses neue autoritäre Abdriften zu reagieren anstatt es zu tolerieren.

Wien zeigt sich gastfreundlich

Falls die ungarische Regierung die Vereinbarung für die Weiterführung der Lehrtätigkeit der Central European University in Ungarn nicht unterschreibt, wird diese einen Teil des Lehrangebots nach Wien verlagern. Die österreichische Hauptstadt hat bereits angekündigt, dass sie bereit ist, die akademische Einrichtung aufzunehmen. Kanzler Sebastian Kurz hat Mitte November den Philanthropen George Soros getroffen, um mit ihm die letzten Vorbereitungen für den Umzug zu besprechen. Das ehemalige Otto-Wagner-Spital in Wien wird seine Räumlichkeiten für die Ausbildungstätigkeiten der Universität zur Verfügung stellen. (Anfang Dezember 2018 gab die CEU schließlich bekannt, sie werde aus Budapest abziehen und nach Wien übersiedeln; Anm. d. Übers.)

Die Unterstützung der Universität von Seiten Österreichs mag etwas überraschen, da bekannt ist, dass sich die beiden Regierungschefs Sebastian Kurz und Viktor Orbán hinsichtlich des europäischen Projekts in vielen Punkten (Flüchtlingsaufnahme, Autonomie und Souveränität der Mitgliedsstaaten) einig sind. So ist es wahrscheinlich, dass der Umzug der Universität für Spannungen in den Beziehungen zur ungarischen Regierung sorgen wird.

Wie die Central European University sich weiterentwickeln wird, wird sich zeigen. Sicher ist allerdings, dass kritisches Denken und das Hinterfragen der nationalistischen und populistischen Politik der Regierung nicht nach dem Geschmack des „Diktators“ Viktor Orbán sind, wie ihn sogar Jean-Claude Juncker schon einmal genannt hat.

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