Sich lange hinziehende Wahlkämpfe gehören zur politischen Kultur der USA. Vermutlich sind sie sogar uramerikanisch, so uramerikanisch wie Apple Pie und manch andere kulinarische Spezerei, die dem Autor gerade nicht einfallen möchte. Beginnend mit den Vorwahlen und ihrer streng ritualisierten Abfolge von Primaries und Caucuses über die zeremonienartige Kandidatenkür bis hin zum eigentlichen Wahltag zieht sich der Prozess über ein knappes Jahr. Das Gros dieser Zeit wird von den Einheimischen zumeist mit einem gewissen Gleichmut hingenommen, doch kurz vor dem Wahltermin regt sich etwas in der öffentlichen Stimmung. Interesse wäre ein zu positiver Begriff dafür, es ist mehr eine Art Präsenz, eine Gewissheit, dass all die endlosen Diskussionen und Expertisen nun bald ihr unvermeidliches Ende finden werden. Die Gewissheit, dass der Wahltermin nun mit Siebenmeilenstiefeln näher rückt.
In dieser Hinsicht verwundert es kaum, dass selbst im eigentlich weltbürgerlich-wahlsatten New Yorker Alltag diese Woche die ersten Zeichen einer vorsichtigen Politisierung auszumachen waren: Sorgfältig platzierte aber großflächige „I’m-with-her“-Buttons an den Ledertaschen älterer Damen auf der Sixth Avenue, feinsinnige Wahlkampfverweise abends im jazzgetriebenen Apollo Theater in Harlem und selbst in Manhattans Metro-Linie 1, irgendwo zwischen 145th und 59th Street, hört man die Namen der beiden Kandidaten inzwischen immer häufiger. Den von Trump besonders häufig in schnellem Spanisch oder aber mit wenig Auslegungsspielraum lassenden Vokabeln wie „mean“, „disgusting“ oder „f*cking shame“ im Schlepptau. Das lässt aufhorchen. Nicht, dass die Sprache hierzulande sonst allzu kraftlos oder wenig derb wäre, doch die vernehmbare Schlagzahl hat spürbar zugelegt. Politische Vulgarität ist im Kommen. Und politische Polarisierung weiter im Aufwind.
Schockmoment in Debatte Nr. 3
Dazu dürfte auch beigetragen haben, dass dieser herrlich verquere aber zugleich auch schockierend schmutztriefende Wahlkampf nach der dritten und letzten Fernsehdebatte vom vergangenen Mittwoch die Gräben im Land noch einmal ein wenig weiter aufgerissen hat. Über weite Strecken wirkte dieser Schlagabtausch für sich genommen noch nicht einmal besonders bemerkenswert; eher wie eine Kombination seiner beiden Vorgänger beziehungsweise wie eine Miniaturabbildung des Wahlkampfes an sich. Auf der einen Seite vereinte er Clintons klar hervortretende Überlegenheit und dialogische Resilienz aus der ersten mit dem von Nickligkeiten, Unterbrechungen und kontrafaktischen Einschüben geprägten Hahnenkampf-Charakter der zweiten Debatte; auf der anderen Seite zeigte er zugleich aber auch symbolisch den Zustand auf, in dem sich nicht nur die Kandidaten selbst, sondern auch ihre Kampagnen derzeit befinden. So korrespondierte die unbeirrte Professionalität der Demokratin beeindruckend mit dem Rest ihres Wahlkampfs,der von hoher Felddominanz und aufwendiger Datengetriebenheit bei der Wählermobilisierung geprägt ist, während Trumps kalt aufwallende aber wenig zielgerichtet mäandernde Wut die organisatorische und fragile Trostlosigkeit im republikanischen Lager gleichfalls exzellent wiederspiegelte. So weit, so gut, so wenig überraschend. Doch dann gab es da eben doch noch diese eine Stelle, die das alles zum bloßen Hintergrundgetöse degradierte. Nein, nicht etwa Trumps Wort von der „nasty woman“ - sondern, man ahnt es, seine Weigerung, den Wahlausgang notwendigerweise anzuerkennen.
Er könne nichts versprechen, wolle erst einmal den Wahlabend abwarten und die Medien seien doch ohnehin allesamt von vorne bis hinten korrumpiert, ließ der Immobilien-Tycoon mit skeptischem Blick verlauten. Nun braucht man in diesen Worten noch nicht einmal einen semantischen Schocker zu suchen (dafür ist man von Trump schon zu vieles gewohnt) oder sich über die Abwesenheit jeder logischen Kohärenz zwischen den beiden vorgetragenen Gedankensträngen zu mokieren - die Aussage selbst ist an und für sich ein massives Problem, wurde sie vom bissigen FOX-Moderator Chris Wallace doch auch schön in das vermeintlich selbstverständliche Streben nach einer „peaceful transition of power“ eingerahmt. Anders ausgedrückt: Trumps Formulierung fügte sich mit Ansage in einen Kontext ein, der von Vornherein dazu gedacht war, eine ganze Reihe schaurig flackernder Bilder in den Köpfen der Zuschauer festzusetzen. Nichtanerkennung. Verfassungskrise. Randale. Blut auf den Straßen. Putsch? Dieses gefährliche Spiel mit dem Feuer des finalen Tabubruches übertönte alles was zuvor bereits gesagt wurde und auch danach gesagt werden sollte. Nicht mehr Trumps giftige Attacken auf die Stiftung der Clintons oder seine kontroversen Abtreibungsäußerungen erregten die Gemüter. „Instead, everyone’s talking about how dangerous he is for American democracy“, brachte es Andrew Prokrop in seiner Analyse auf VOX auf den Punkt. Für Trumps ohnehin miserable Debattenperformance war diese Äußerung ein beeindruckend präziser Eigen-Knockout.
Die ersten Buchmacher zahlen schon aus
Die nächsten Tage werden endgültig Aufschluss darüber bringen, ob und wenn ja wie stark sich dieser Knockout auch in den Umfragewerten und damit in der Dynamik des Wahlkampfes bemerkbar machen wird. Ob sich an der Gesamtlage viel ändert ist indes fraglich. Es ist ein seltsames Gefühl, mit einen Wahlkampf zu tun zu haben, der auf der einen Seite ein so gewaltiges Emotionalisierungs- und Empörungspotential in sich trägt, auf der anderen Seite aber wahlarithmetisch bereits dermaßen klar entschieden sein dürfte.
Clinton, so der allgemeine Konsens, liegt derzeit mit mindestens 4 bis 6 Punkten vorne. Was wie eine überschaubarer Vorsprung klingt wird ist bei Berücksichtigung der Umstände (Immer weniger Drittpartei-Wähler, klare Vorsprünge in den Schlüsselstaaten) im Grunde eine mehr als solide Hausnummer. Allerdings gibt es unter den Meinungsforschern eine verhältnismäßig große Spannweite bei den Umfragewerten: Der jüngste, methodisch allerdings etwas unorthodoxe USC-Dornsife-Poll konstatierte etwa ein Unentschieden (16.-22.10.; Clinton +0) zwischen beiden Kandidaten während auf der anderen Seite bei Hochkarätern wie Selzer & Co. (14.-17.10.; Clinton +9), Ipsos (16.-20.10.; Clinton +9) sowie in einer Gemeinschaftsumfrage von ABC News und Washington Post (20.-22.10.; Clinton +12) deutlichere Abweichungen nach oben beobachtet werden konnten. Das Princeton Election Consortium, ein von Akademikern der gleichnamigen Ostküsten-Eliteuniversität geführter Wahlblog gab die statistische Wahrscheinlichkeit eines Siegs der Demokratin zuletzt sogar mit 97-99% an - in dieser Deutlichkeit ein Novum in der jüngeren Wahlgeschichte. Und um all dem die Krone aufzusetzen verkündete der irische Buchmacher-Platzhengst PaddyPower diese Woche auch noch, dass angesichts von Trumps immer offensichtlicher werdender Chancenlosigkeit bereits alle auf den Sieg seiner Kontrahentin eingegangen Wetten vorzeitig mit Prämie ausgezahlt würden. Die Wahl, so ein Vertreter des Wettanbieters, sei nach menschlichem Ermessen gelaufen. Das mag übertrieben klingen und die Aktion dürfte auch in erster Linie einem gewissen Publicity-Effekt geschuldet sein aber dennoch gilt: Selbst ein haushoher Clinton-Triumph erscheint derzeit wahrscheinlicher als auch nur der glücklich-marginalste Trump-Sieg.
https://www.youtube.com/watch?v=8dc3mUtpU44
Für den Fall eines solchen kämen dann auch historische Dimensionen mit ins Spiel: Denn wenn die ehemalige First Lady wirklich ein zweistelliges Ergebnis einfahren würde, so wäre das einer Zäsur, einem Erdrutschsieg gleichzusetzen, den es seit den Tagen Ronald Reagans (1984 gegen Walter Mondale) nicht mehr gegeben hat. Zusätzlich hätte Clinton dann auch gute Chancen, selbst so exotisch-hochrepublikanische Staaten wie Georgia (zuletzt demokratisch 1992), Alaska (zuletzt demokratisch 1964) oder South Carolina (zuletzt demokratisch 1976) für sich zu gewinnen. Das ist nicht ganz unwichtig, denn auch ein etwaiger Wahlerfolg wäre nur die halbe Miete für die dann mächtigste Frau der Welt - ein möglichst eindeutiger Sieg brächte zusätzliche Legitimität und würde dem von Clinton sorgfältig konstruierten Narrativ der nationalen Einheit, des „Stronger Together“ gerade im Kampf gegen den rechtskonservativen Radikalpopulismus mit Sicherheit wertvolle symbolische Schützenhilfe leisten. Ob im Gegenzug auch Trumps Kampagne schon mit einer krachenden Niederlage rechnet ist fraglich. Erste Hinweise dafür gibt es allerdings, zumal selbst Kellyanne Conway, hart gesottene Wahlkampfmanagerin und Schlüsselfigur im Trump/Pence-2016-Organisationsapparat, kürzlich zum ersten Mal den Rückstand ihres Kandidaten öffentlich einräumte. Der scheint davon wiederum reichlich unbeeindruckt zu sein und gibt auf seinen Ralleys auch weiterhin den starken Mann und sicheren Sieger. Man wird am Ende den Gedanken nicht los, dass es dem allem Anschein nach in einer die Realität verkennenden Echokammer gefangenen Trump am Wahlabend ebenso ergehen könnte wie dem frevlerischen Babylonierkönig Belsazar in Heinrich Heines gleichnamigem Gedicht: „Der König stieren Blickes da saß / Mit schlotternden Knien und totenblass / Die Knechtenschar saß kalt durchgraut / Und saß gar still, gab keinen Laut / Die Magier kamen doch keiner verstand / Zu deuten die Flammenschrift an der Wand / Belsazar aber ward noch in selbiger Nacht...“ Okay, lassen wir das. Noch sind zwei Wochen Zeit und theoretisch kann sich ja noch einiges tun. Theoretisch.
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