US-Wahl 2020: Fragen und Antworten

, von  John Grosser, Martin Müller

US-Wahl 2020: Fragen und Antworten
FiveThirtyEight, eine Gruppe von Statistiker*innen und Journalist*innen, welche Vorhersagemodelle für US-Wahlen entwerfen, gibt dem ehemaligen Vizepräsidenten eine Gewinnwahrscheinlichkeit von 90% (Stand: 31.10.). Foto: Flickr / European Parliament / CC BY-NC-ND 2.0

Heute wird der nächste Präsident der Vereinigten Staaten gewählt. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Wer wird die US-Wahl wahrscheinlich gewinnen? Wieso? Joe Biden geht mit einem deutlichen Vorsprung in den Umfragen in die US-Präsidentschaftswahl: FiveThirtyEight, eine Gruppe von Statistiker*innen und Journalist*innen, welche Vorhersagemodelle für US-Wahlen entwerfen, gibt dem ehemaligen Vizepräsidenten eine Gewinnwahrscheinlichkeit von 90% (Stand: 31.10.). Wie ist dieser Vorsprung zu erklären? Hier sind zwei Faktoren besonders ausschlaggebend: Bidens Erfolg mit wichtigen Wähler*innengruppen und die andauernden Auswirkungen des Coronavirus.

Im Vergleich zu Hillary Clintons Ergebnissen in der Präsidentschaftswahl 2016 hat Biden zwar unter nicht-weißen Wähler*innen geringfügig eingebüßt, schneidet aber bei weißen Wähler*innen besser ab. Hochrechnungen von FiveThirtyEight zeigen, dass Trumps Vorsprung unter Weißen, einer traditionell republikanischen Gruppe, seit der Wahl 2016 von 14 auf 7 Prozentpunkte gesunken ist. Auch Bidens Führung unter Senior*innen träg zu seiner Stärke bei: Diese Wähler*innen hatte Trump 2016 noch mit fast 10 Prozentpunkte gewonnen.

Hierzu trägt auch das Coronavirus bei, von dem ältere Menschen besonders schwer betroffen sind: 57% der Wähler*innen vertrauen hier eher Biden, nur 40% eher Trump. Trumps Verharmlosung der Fall- und Todeszahlen in den USA, seine Angriffe gegen medizinische Experten und seine Abneigung gegenüber notwendiger Hygienemaßnahmen schaden seinem Ansehen bei Wähler*innen in vielen Swing States, wie etwa Wisconsin, das zur Zeit besonders unter der Corona-Pandemie leidet.

Aber die Umfragen waren doch 2016 schon falsch, oder? Dass die Umfragevorhersagen im Jahr 2016 stark daneben lagen, ist eine Behauptung, die sich schnell ausräumen lässt. Tatsächlich waren die nationalen Umfragen sogar relativ akkurat: Es wurde ein Stimmvorsprung von etwa 3,5 Prozentpunkten für Clinton vorhergesagt; letztendlich gewann sie um 2,1 Prozentpunkte: Fast 3 Millionen Wähler*innenstimmen. Dass dennoch Donald Trump die Präsidentschaftswahl gewann, lag vor allem am Electoral College, dem besonderen Wahlsystem der USA, bei dem nicht die Gesamtstimmen, sondern die Ergebnissen in den einzelnen Bundesstaaten ausschlaggebend sind, sowie an Umfragefehlern in drei Staaten: Michigan, Wisconsin und Pennsylvania.

Die Wahl in diesem Jahr sieht jedoch grundlegend anders aus. Zunächst haben viele Umfrageunternehmen ihre Vorgehensweise nach 2016 angepasst: Inzwischen gewichten viele ihre Umfragedaten nach Bildung – ein wichtiger, vier Jahre zuvor noch vernachlässigter, Faktor. Gerade Wähler*innen ohne Universitätsbildung haben Trump 2016 zum Sieg verholfen.

Außerdem zeigen die Umfragen in diesem Jahr ein grundsätzlich anderes Rennen als noch 2016. Bidens Führung ist auf nationaler Ebene und in den ausschlaggebenden Bundesstaaten größer und stabiler als Clintons. Vor vier Jahren deuteten die Umfragen auf einen sehr knappen und volatilen Wahlkampf hin: Clinton baute nach einigen Trump-Skandalen eine nennenswertere Führung aus, verlor diese jedoch immer wieder.

Darüber hinaus ist Bidens Vorsprung deutlich besser gegen Entwicklungen kurz vor der Wahl abgesichert. Nach der Ankündigung einer erneuten E-Mail-Ermittlung durch FBI-Direktor James Comey im Oktober 2016 verschlechterte sich Hillary Clintons Position in den letzten Tagen der Wahl. Clinton war für solche Entwicklungen besonders anfällig, da es bis zum Schluss noch viele unentschlossene Wähler*innen gab. Bei diesen Wähler*innen waren beide Kandidat*innen sehr unbeliebt, Trump gewann die Gruppe letztendlich. In diesem Jahr gibt es hingegen nur noch wenige unentschlossene Wähler*innen. Gleichzeitig ist Biden deutlich beliebter als Clinton es war.

Schließlich sind auch hier die Auswirkungen des Coronavirus relevant. Viele Wähler*innen haben bereits per Briefwahl gewählt, in einigen Bundesstaaten wurden schon jetzt so viele Stimmen abgegeben wie in der gesamten US-Wahl 2016. Damit bleiben deutlich weniger Wähler*innen übrig, die Trump vor der Wahl noch überzeugen könnte.

Wann wissen wir, wer gewonnen hat? Durch die Folgen der Corona-Pandemie, dem Anstieg der Briefwahl in diesem Jahr und dem besonderen Wahlsystem der USA, bei dem die Wahlergebnisse in den einzelnen Bundesstaaten ausschlaggebend sind, ist ein eindeutiges Gesamtergebnis in der Wahlnacht nicht garantiert. Verschiedene Bundesstaaten zählen die Briefwahlstimmen unterschiedlich schnell aus; schon jetzt laufen zahlreiche Gerichtsverfahren, durch welche die Auszählung dieser Stimmen verhindert oder erleichtert werden soll. Zur Unsicherheit trägt bei, dass die Briefwahlstimmen im Vergleich zu den Stimmen am Wahltag überwiegend für die Demokrat*innen ausfallen.

Trotzdem lassen sich möglicherweise schon in der Wahlnacht bestimmte Szenarien ausschließen. Auf Basis eines Wahlergebnisses in einem Bundestaat lassen sich Rückschlüsse auf Wahlergebnisse anderer Bundesstaaten ziehen: Als Trump im Jahr 2016 etwa in Wisconsin aufgrund von weißen Wähler*innen ohne Universitätsbildung besser als erwartet abschnitt, tat er das ebenso in demografisch ähnlichen Bundesstaaten wie Michigan oder Pennsylvania. Auf Grundlage dieser Korrelationen können mithilfe bekannter Wahlausgänge in bestimmten Bundestaaten Aussagen über die zu erwartenden Gewinnwahrscheinlichkeiten in anderen Bundestaaten getroffen werden. Anhand von zwei Gruppen von Bundesstaaten können so zwei verschiedene Szenarien für die Wahlnacht unterschieden werden.

Die erste Gruppe bilden klassisch Republikanische Staaten im sogenannten „Sunbelt“, dem „Sonnengürtel“ der USA, vor allem Florida, Arizona und North Carolina. Für diese Staaten wird eine vergleichsweise schnelle Auszählung der Briefwahlstimmen vor und in der Wahlnacht erwartet. Sollte in der Wahlnacht ein Biden-Sieg in Florida oder North Carolina bekannt werden, steigen seine Gewinnchancen insgesamt auf über 99%. Denn Trump würde kaum eine realistische Möglichkeit bleiben, die nötigen 270 Stimmen der Wahlleute zu erreichen.

Sollte Trump jedoch, so wie bereits 2016, alle drei dieser Staaten gewinnen, steigen seine Gewinnchancen laut FiveThirtyEight von 10% auf 56%. In diesem Fall läge alle Aufmerksamkeit auf den bis 2012 noch überwiegend Demokratischen Staaten des Mittleren Westens, in denen Trumps knappe und überraschende Siege ihm 2016 die Präsidentschaft verschafft haben: Michigan, Wisconsin und Pennsylvania. Laut Umfragen liegt Biden in diesen entscheidenden Staaten vorne, aber seine Führung ist weniger stabil als in den nationalen Umfragen. Gleichzeitig zählt diese Staatengruppe Briefwahlstimmen deutlich langsamer aus. Daher könnte sich die Wahlnacht in einem solchen Fall um mehrere Tage, eventuell sogar Wochen verlängern. Eine frühe Trump-Führung unter den am Wahltag abgegebenen Stimmen würde sich durch die voranschreitende Auszählung der Briefwahlstimmen langsam verkleinern. Währenddessen wären weitere Gerichtsverfahren zu erwarten, um den Status spät ankommender Briefwahlstimmen zu klären. Wenn Biden nicht früh in traditionell Republikanischen Staaten überzeugen kann, müssen sich die USA und die Welt auf den Fall einer langen, konfliktreichen Auszählungsperiode vorbereiten.

Was bedeutet es für die EU, wenn Donald Trump gewinnt? Seit seiner Amtseinführung vertritt der amtierende US-Präsident auf internationaler Ebene eine Politik der Destabilisierung und fortschreitenden nationalstaatlichen Isolation. Unter Donald Trump zogen sich die Vereinigten Staaten in den vergangenen vier Jahren unter anderem vom Globalen Pakt zur Migration zurück, kündigten das Atomabkommen mit dem Iran sowie den INF-Vertrag auf, beschlossen den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommenund kehrten früher hochgehaltenen internationalen Organisationen den Rücken zu. Eine Wiederwahl des Präsidenten würde nun den Rückzug der Vereinigten Staaten vom internationalen Parkett mit dem Stempel demokratischer Legitimation besiegeln – und die Europäische Union damit vor massive Herausforderungen stellen.

Zum einen wäre da die Außenpolitik. Im Falle einer zweiten Amtszeit Donald Trumps würde dieser, vom demokratischen Zuspruch getragen, aller Voraussicht nach seinem Wahlkampfslogan „America first“ treu bleiben und den Wert internationaler Abkommen weiterhin am bloßen Nutzen für die USA bemessen. Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und demokratische Werte blieben hintenangestellt, wie beispielsweise bereits bei der Weigerung des Präsidenten, die diplomatische Beziehungen seines Landes zur Deeskalation des Krieges im Jemen zu nutzen, zu beobachten war. Die EU würde sich im Falle eines entsprechenden Wahlausgangs auf internationaler Bühne zunehmend und langfristig isoliert vorfinden. Insbesondere mit Blick auf die dringendsten Fragen internationaler Politik, wie unter anderem die Ausgestaltung der Beziehungen zu einem an weltpolitischem Einfluss gewinnenden China, würde eine eigenständige, kohärente europäische Außenpolitik schlagartig an Notwendigkeit gewinnen. Sollten die transatlantischen Brücken weiterhin bröckeln, wird sich die EU in naher Zukunft mit der Frage beschäftigen müssen, wie die Europäische Union ihre Werte in der internationalen Gemeinschaft vertreten möchte. Der Fall China zeigt bereits heute die Schwierigkeit dieser Aufgabe.

Auch umweltpolitisch ist bei einer Wiederwahl Trumps weiterhin keine Unterstützung von Seiten der Vereinigten Staaten zu erwarten. Nach Zählung der New York Times hat der US-Präsident während seiner Amtszeit 72 nationale Umweltgesetze vollständig rückgängig gemacht, 27 weitere Richtlinien stehen auf dem Prüfstand. Die Entwicklung zeigt, dass sich Trump mit dem Austritt seines Landes aus dem Pariser Klimaschutzabkommen nicht nur symbolisch von den globalen Anstrengungen zur Eindämmung Klimawandels zurückgezogen hat. Vielmehr hat er sich als aktiver Blockierer umweltschützender Maßnahmen positioniert. Aus Sicht der EU würde damit im Falle einer zweiten Amtszeit des Präsidenten eine koordinierte, transatlantische klimapolitische Strategie in weite Ferne rücken. Gewinnt Trump am kommenden Dienstag, müsste die Europäische Union weitere vier Jahre auf einen mächtigen Verbündeten im Kampf für die globale Reduktion von CO2-Emissionen verzichten – und somit einen herben umweltpolitischen Rückschlag hinnehmen.

Auf handelspolitischer Ebene befinden sich EU und USA aktuell in einem Zustand, der in der Theorie der internationalen Beziehungen als „frozen conflict“ beschrieben wird: Ein Schwebezustand zwischen Krieg und Frieden. So hat Donald Trump in seiner Amtszeit mit der Einführung von Strafzöllen auf Stahl- und Aluminiumimporte aus der EU einen Handelskonflikt vom Zaun gebrochen, in dessen Rahmen die EU mit entsprechenden Vergeltungsmaßnahmen antwortete. Gleichzeitig blieben wirtschaftlich brisantere Maßnahmen trotz Ankündigung durch den republikanischen Präsidenten bisher aus. In welche Richtung sich der Konflikt dementsprechend in einer potentiellen zweiten Amtszeit Trumps bewegen würde, ist aufgrund der Unberechenbarkeit des Präsidenten schwer abzusehen. Eine Eskalation des Streits scheint zum aktuellen Zeitpunkt ebenso wahrscheinlich wie eine Entspannung der Situation. Für wirtschaftliche Planbarkeit in geopolitisch unsicheren Zeiten wird der „frozen conflict“ bei einer Wiederwahl Trumps allerdings nicht sorgen.

Was bedeutet es für die EU, wenn Joe Biden gewinnt? Der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden verkörpert in vielerlei Hinsicht (wenngleich sicherlich nicht in jeder Hinsicht) einen „Anti-Trump“. Auf internationaler Ebene steht er exemplarisch für Zuverlässigkeit und Rationalität sowie für Multilateralismus und Diplomatie. Ein Wahlsieg des früheren Vizepräsidenten unter Barack Obama würde den Beziehungen zur Europäischen Union zweifellos wieder mehr Ruhe und Stabilität verleihen. Und dennoch wird auch Joe Biden nicht in der Lage sein, alle transatlantischen Brücken wieder zu aufzubauen, die Donald Trump abgerissen hat.

In Fragen der Außenpolitik strebt Biden als Präsidentschaftskandidat eine Rückkehr zum moralischen Führungsanspruch der USA in der Welt an. Mit Blick auf die globalen Herausforderungen, denen die internationale Gemeinschaft in den kommenden Jahren gegenübersteht, verspricht er multilaterale Kooperationen und internationale Zusammenarbeit und grenzt sich damit klar von der Außenpolitik seines republikanischen Kontrahenten ab. Dabei würde sich sein Auftreten zu allererst im Ton unterscheiden: weniger Gepolter, mehr Diplomatie. Aus Sicht der Europäischen Union würde ein Regierungswechsel in Washington vor allem eine zuverlässige Plattform für bilateralen Dialog wiederherstellen. Insbesondere in Bezug auf Fragen der globalen Migration, des transnationalen Terrorismus und der nuklearen Aufrüstung wäre eine solche Plattform in den kommenden vier Jahren als essentieller Baustein internationaler Zusammenarbeit unerlässlich. Ein Wahlsieg Bidens wäre somit ein Schritt zurück in Richtung der Beziehungen, die die EU mit der Obama-Administration geführt hat.

Umweltpolitisch ist der Präsidentschaftskandidat der Demokraten mit einer klaren Agenda in den Wahlkampf gegangen. Laut Programm des Herausforderers plant dieser […] eine Strategie zu entwickeln, mit der die Vereinigten Staaten bis zum Jahr 2050 vollständig klimaneutral werden könnten.. Auch eine Rückkehr zum Pariser Klimaschutzabkommen erscheint nach Meinung einiger Expert*innen wahrscheinlich. Die Europäische Union würde demnach mit einem US-Präsidenten Joe Biden eine wichtige Partnerschaft in der Klimapolitik zurückgewinnen und könnte ihre Verhandlungsposition auf internationaler Bühne, bspw. bei der jährlichen UN-Klimakonferenz, aufgrund des ökonomischen Einflusses beider Wirtschaftszonen stärken.

Bliebe noch der Handel. Grundsätzlich plädiert Biden für eine Beendigung des schwebenden transatlantischen Handelskonflikts und fordert stattdessen eine wirtschaftliche Annäherung beider Regionen. Bei einer Veranstaltung der US-Handelskammer versicherte sein wirtschaftspolitischer Berater Tony Blinken kürzlich, dass man „reichlich Spielraum“ für konziliantere Handelsbeziehungen mit der EU sehe. Die Union würde einen solchen Kurswechsel im Zuge eines entsprechenden Wahlausgangs begrüßen. So betonte der EU-Kommissionsvize und zukünftige Kommissar für Handelspolitik Valdis Dombrovskis, eine engere Kooperation sei dringend notwendig, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abzufedern. Nichtsdestotrotz ist im Falle eines Regierungswechsels eine Rückkehr zu den wirtschaftlichen Beziehungen der Obama-Zeit keineswegs sicher. Besonders Teile des linken Flügels der Demokratischen Partei sprechen sich, genauso wie Donald Trump, für eine protektionistischere Handelspolitik der USA aus. Die Suche nach einem Ausgleich dieser unterschiedlichen Interessen im Kongress würde bei einem Wahlsieg Bidens die Handelsbeziehungen zur EU maßgeblich bestimmen.

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