Vive la France! Nur wie?

, von  Gesine Weber

Vive la France! Nur wie?
Flieger bei der Militärparade auf den Champs Elysées in Paris (Foto: Gesine Weber, zur Verfügung gestellt für treffpunkteuropa.de)

Der 14. Juli ist der französische Nationalfeiertag – im Jahr 1789 begann an diesem Tag mit dem Sturm auf die Bastille die Französische Revolution, auf deren Werte die Franzosen heute noch bauen. Gerade ist in Frankreich die EM vorbeigegangen, in einem Jahr stehen Präsidentschaftswahlen an – und das Land schon heute vor vielen Fragen.

Die Paraden zum französischen Nationalfeiertag sind über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Jedes Jahr fährt die Grande Nation auf den Champs Elysées in Paris alles auf, was das französische Militär zu bieten hat. Von Fußtruppen aller Einheiten, auch der Fremdenlegion, sowie Panzern, bis hin zu U-Booten und Hubschraubern ist alles dabei; begleitet wird dieses Spektakel von Tausenden Menschen, die sich längs der Prachtstraße versammeln und das Großaufgebot fasziniert verfolgen. Werden diese Bilder im deutschen Fernsehen übertragen, macht sich unter manchen Zuschauern oft eine gewisse Wehmut breit. Während der Tag für die meisten nicht mehr als ein freier Tag ist, an dem ranghohe Politiker Reden an symbolträchtigen Orten halten, sieht man am 14. Juli im Nachbarland ein Meer von blau-weiß-roten Fahnen. Das weckt manchmal Träume des Patriotismus, Frankreich wirkt geschlossen, wie eine tatsächliche Nation. Aber: Dieser Schein trügt.

Ein Bekenntnis zu Nation? Eher nicht…

Verfolgte man dieses Jahr die Militärparade auf den Champs Elysées, wurde schnell klar: Frankreich feiert sich nur sehr verhalten selbst. Die Mär von der Einheit der Nation, von Freiheit und Gleichheit und Brüderlichkeit, ist spätestens seit den Anschlägen von November 2013 überholt. Die Unzufriedenheit mit der Politik ist groß, Francois Hollande ist ein extrem unbeliebter Präsident. Dies wurde heute umso deutlicher: Ganz zu Anfang der Militärparade fährt der Präsident vom Arc de Triomphe aus die Champs Elysée herunter. Sein Gefährt erinnert ein bisschen an einen Streitwagen, seine Inszenierung weckt Assoziationen mit den Cäsaren, wie man sie aus Filmen kennt. Sein Auftritt dagegen ist weniger spektakulär: Kaum wahrnehmbar fährt er die Prachtstraße herunter, viele der Zuschauer bemerken ihn nicht einmal. Niemand klatscht, jubelt dem Präsidenten zu. Hollande betritt die Tribüne, nimmt seinen Platz ein. Nun beginnt die eigentliche Parade.

Ganz ähnlich ist es mit Hollandes Politik: Als zweiter sozialistischer Präsident in der Geschichte der fünften Republik seit 1958 hatte er viele Hoffnungen geweckt, er sollte das Land aus der wirtschaftlichen Krise führen und Perspektiven für die Jugend schaffen. Fast all diese Hoffnungen hat Hollande enttäuscht. Seine Zustimmungswerte liegen heute bei nur 15%, würde er bei den Wahlen im Jahr 2017 antreten, wäre mit einer bitteren Niederlage gegen die Republikaner und die rechtspopulistische Marine Le Pen vom Front National zu rechnen. Hollande schafft es nicht, Reformen umzusetzten, steckt fest in der Stagnation, und wird vermutlich im nächsten Frühjahr genauso glanzlos abtreten wie heute nach der Parade.

Grundsätzlich muss man sich die Parade sehr viel ruhiger, rationaler vorstellen, als man es vielleicht erwartet. Die Marseillaise, die französische Nationalhymne, singt nahezu niemand mit, es werden keine Fahnen geschwenkt – Freude am Feiern der eigenen Nation sieht anders aus.

Bewegte Zeiten in Frankreich

Die Herausforderungen, vor denen Frankreich heute steht, sind gewaltig. Das Land steckt seit Jahren in der wirtschaftlichen Stagnation fest. Die Arbeitslosigkeit liegt bei gut zehn Prozent und ist insbesondere unter jungen Leuten hoch; selbst junge Akademiker haben teils erhebliche Probleme bei der Jobsuche, da Absolventen der Universitäten systematischen hinter denen der teuren Elitehochschulen zurück bleiben. Dazu kommt das neue Arbeitsgesetz, das unter anderem die 35-Stunden-Woche abschaffen und den Kündigungsschutz lockern soll. Seit Monaten wird gegen dieses Gesetz auf der Straße demonstriert und darüber im Parlament diskutiert, die Regierung hat bereits von einem Paragraphen Gebrauch gemacht, mit dem sie Regelungen auch ohne das Parlament durchsetzen kann. Die französische Politik wird als elitär und bürgerfern, oft als undemokratisch wahrgenommen – eine bittere Pille für ein Land, dass seine Wurzeln so gern in seiner „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“, den Werten der Revolution, findet.

Bereits im Herbst werden richtungsweisende Entscheidungen getroffen werden, da zu dieser Zeit die Vorwahlen der Republikaner stattfinden. Vom republikanischen Kandidaten hängt wohl maßgeblich ab, wie Frankreich sich in den nächsten Jahren entwickelt, denn an einen Sieg der Sozialisten glaubt niemand. Doch sollte der republikanische Kandidat keine wirkliche Alternative darstellen, ist ein fulminantes Ergebnis für den Front National, der immer wieder betont, Frankreich zu alter Stärke zurückzuführen, wahrscheinlich. Zurück zur Einheit der Nation könnte der Front National Frankreich sicher nicht führen ganz im Gegenteil. Seit Jahren folgen die Franzosen dem Konzept, dass die Nation, so der Philosoph Ernest Renan, „ein tägliches Plebiszit“ sei – gemäß des französischen Nationalverständnisses ist Franzose, wer es sein will und die Sprache spricht. Der rechtspopulistische Front National verschärft diesen Ton – für Marine Le Pen und ihre Anhänger sind Franzosen im besten Falle weiß, aber in keine Fall Muslime. Und dies ist fatal für ein Land, in dessen Hauptstadt fast jeder zweite Jugendliche unter 18 Jahren einen Migrationshintergrund hat.

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