Liebe Frauen Europas,
Ihr werdet gebraucht – und zwar mehr denn je. Dies ist der letzte offene Brief für Treffpunkt Europa im Jahr 2016, ein Jahr, das mich und viele andere verstört und aufgeschreckt hat. Es ist mir daher besonders wichtig, mit diesem Text ein Thema anzusprechen, das mir schon lange auf den Nägeln brennt.
Europa hat ein Testosteronproblem
Die Botschaft dieses Briefes ist einfach: Europa braucht mehr Frauen zur Lösung aktueller und komplexer Probleme. Denn Ihr, liebe Frauen Europas, haltet mit Euren Talente, Ideen und Qualifikationen den Schlüssel für Europas Zukunft in den Händen. Bisher haben wir es mit einem männlich dominierten Europa zu tun, sowohl in Politik, als auch in Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft. Ob in Aufsichtsräten oder Chefredaktionen, in Vereinsgremien, Theatergruppen oder Parlamentsausschüssen – Europa ist überwiegend männlich dominiert. Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass das männlich Europa und tatsächlich die Welt an die Grenzen ihrer Kreativität und Lösungsansätze kommen.
2016 war ein Jahr der Machos: Nigel Farage, Boris Johnson, Vladimir Putin, Recep Erdogan, Donald Trump und Co. haben sich förmlich einen Wettstreit der Alphatiere geliefert und sich mit abstrusem Gehabe nicht nur lächerlich gemacht, sondern der Welt nicht unerheblichen Schaden zugefügt. War 2016 also das Machojahr, und gleichzeitig ein Jahr, in dem so alles schiefgegangen ist, was nur schiefgehen konnte, so muss 2017 das Jahr der Frauen werden, in dem es wieder bergauf geht und wir echten und langfristigen Lösungen zehn Schritte näherkommen. Damit wäre uns allen – Frauen und Männer Europas und der Welt – ein Gefallen getan. 2017 muss Euer Jahr werden und damit unser aller Jahr!
Europa steckt in einer Sackgasse. Ich bin davon überzeugt, dass wir diese Sackgasse nur dann wieder verlassen können, wenn wir das volle Potential unserer europäischen Gesellschaft aktivieren und ausschöpfen. Ganz konkret heißt das: Mehr Vielfalt in den Führungsetagen und dort, wo Entscheidungen (welcher Art auch immer) getroffen werden. Das schließt natürlich auch alle anderen sozialen Gruppen mit ein (die LGBTI Community, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderungen und alle, die bisher unterrepräsentiert und damit von der Teilhabe an der Lösung der Probleme abgehalten werden), ich konzentriere mich aber heute besonders auf Euch Frauen, da ihr die größte Gruppe seid, die leider noch systematisch von gleichberechtigter Mitbestimmung und Gestaltung abgehalten wird. Diese Einbuße an Vielfalt und verschiedenen Perspektiven führt zu sozialen Spannungen, einseitigen Lösungswegen und wenig frischem Wind (der automatisch kommt, sobald man eine homogene Gruppe in eine heterogene verwandelt). Damit ist die Unterrepräsentation von Frauen in Europa kein Randproblem, im Gegenteil, es steht im Zentrum vieler weit größerer Probleme.
Die Kraft und Kreativität von Europas Frauen
Ich könnte diese Argumente auf einer ganzen Reihe von Statistiken und Untersuchen fussen, tatsächlich sind für mich persönliche Erfahrungen wichtiger: Vor knapp drei Jahren war ich Teil einer mehrwöchigen Europaforschungsreise, auf der wir junge Menschen in 14 europäischen Ländern interviewt haben. Eine Sache, die mir dort immer wieder aufgefallen ist (und die mir seitdem auch auf anderen Reisen wiederbegegnet), war, dass wir überdurchschnittlich häufig junge Frauen getroffen haben, die voller Ideen und Visionen für Europa steckten und schon Pläne und Lösungsvorschläge im Kopf hatten. Wir haben mehr Frauen als Männer getroffen, die politische aktiv waren und sich anderweitig gesellschaftlich eingebracht haben. Von Charkiw in der Ukraine bis Sevilla in Spanien, von Athen bis Stockholm: Europäische Frauen – das wurde klar – haben sowohl die Energie, die Ideen und die Ausdauer um die komplexen und schwierigen Probleme unseres Kontinents anzugehen. Das heißt nicht, dass Frauen alleine alle Probleme lösen könnten, aber es für mich ein Unding, dass Frauen noch nicht im gleichen Maße wie Männer an entscheidenen Stellen mitmischen und sich und ihre Ideen und Vorschläge einbringen können. Das lähmt Fortschritt, setzt ein negatives Beispiel und verhindert die persönliche und volle Entfaltung junger Mädchen und Frauen und ihrer Talente und Fähigkeiten.
Tatsächlich zeigt sich genau dieses Problem auch in meinem direkten Umfeld: im pro-europäischen Aktivismus. Ich habe mich neulich mit einer Bekannten getroffen, um über Europa zu sprechen und was zu tun sei. Dabei fiel uns beiden einmal wieder auf, wie stark auch die pro-europäische Szene zumindest in den sichtbaren und oberen Positionen von Männer geprägt ist. Das gilt sowohl für verschiedene Organisationen als auch für die freien politischen Aktivisten – es gibt dort viele Frauen, die sich engagiert einbringen und tolle Arbeit leisten, am Ende stehen auf der Bühne der öffentlichen Aufmerksamkeit aber immer wieder ziemlich viele Männer. Das muss sich ändern!
Mischt Euch ein, erhebt die Stimme! Europa braucht Euch.
Meine Ermutigung am Ende dieses Briefes an Euch alle: Lasst Euch nicht von irgendjemanden sagen, Ihr könntet nicht ganz oben mitmischen. Lasst Euch nicht aufhalten, auf Eurem persönlichen Weg, egal wie ungewöhnlich er sein mag. Lasst Euch nicht sagen, Frauen könnten bestimmte Sachen nicht. Und lasst Euch nicht vormachen, dass fast-Gleichberechtigung das gleiche wie Gleichberechtigung sei. Im Gegenteil: Ihr verdient die gleichen Chancen, Möglichkeiten und Mitgestaltungsmöglichkeiten und alles, was das verhindern will, hat in einer fortschrittlichen Gesellschaft nichts zu suchen. Europa braucht Euch und Euren Input, Eure Ideen und Eure Stärke – heute mehr denn je.
Auch wenn der Weg noch lang sein mag, so werden wir das schaffen – Seite an Seite, gleichberechtigt und voller Respekt für Vielfalt.
Herzliche Grüße,
Vincent-Immanuel Herr
1. Am 26. Dezember 2016 um 18:46, von duodecim stellae Als Antwort Von Mann zu Frau
Bei mehr weiblichen Verantwotungsträgern wie Angela Merkel (die maßgeblich die EU-Politik der letzen Dekade bestimmt hat) und Theresa May sage ich nur: gute Nacht Europa. Nicht, dass ich damit sagen will, dass Frauen schlechtere Führungspersonen sind als Männer, aber eben auch keine besseren. Ich würde mir eine*n Kanzler*in wünschen der/die her geht und sagt ja, die sozialen Zustände in Griechenland sind untragbar und wir tragen mit dem Spardiktat eine Verantwortung dafür, wir müssen einen sozialen Ausgleich in Euroland wieder hersetllen. Dabei ist mir das Geschlecht und die sexuelle Orientierung der Führungsperson herzlich egal. Auf Kompetenz, Vision, Opferbereitschaft und Engagement kommt es an, nicht darauf was zwischen den Beinen hängt.
Das Problem ist leider, zu viele Frauen sind aus welchen Gründen auch immer zu bequem, letzlich unambitioniert und argumentieren: „Kann das nicht jemand anderes machen? Mir ist meine Worklife-Blance viel wichtiger und was wird dann aus meinen Hobbies?“. Anders gesagt, sie haben keinen Bock sich für eine Mission aufzuopfern, anderes beobachte ich bei vielen jungen engagierten Männern. Das Frauen von einflußreichen Posten von Männern aktiv abgehalten werden ist ideologische feministsische Propaganda. Zumindest läuft diese Vorstellung konträr zu meinen persönlichen Beobachtungen. Gerage in Politik, im öffentlichen Sektor, in den Naturwissenschaften, MINT sucht man verzweifelt Frauen und schmeißt ihnen die besten Jobs hinterher und rollt rote Teppiche für Frauen aus, während man die Jungen Männer de facto diskriminiert und zu unerwünschten Arbeitnehmern degradiert. Wie oft habe ich in Stellenanzeigen schwarz auf weiß gelesen: „Frauen werden bei gleicher Qualifikation bevorzugt“
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