Liebe Männer Europas,
wir müssen reden! In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? In einer gleichberechtigten oder in einer rückständigen? Wollen wir in einem Europa der Chancen oder in einem Europa der Privilegien leben?
Natürlich fällt den meisten von uns die Beantwortung dieser Frage leicht. Natürlich wählen wir die Gesellschaft, in der Gerechtigkeit und Fairness herrscht. Nicht nur, weil es moralisch oder philosophisch richtig wäre, sondern einfach, weil wir selber auch nicht benachteiligt werden wollen. Wir erwarten eine faire Chance. Wir erwarten, dass man uns nach unserem Einsatz, unseren Ideen und unserer Leistung bewertet, nicht danach, wo wir herkommen, wie wir aussehen oder welchen Namen wir haben. Alles andere ist Diskriminierung und nicht fair.
Die weitverbreitetste Form von Diskriminierung in Europa (und weltweit) ist Sexismus, die Benachteiligung von Mädchen und Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Dabei kann man generell sagen, dass es Frauen in Europa besser geht und sie weniger Unterdrückung erfahren, als in vielen anderen Teilen der Welt. In den meisten Europäischen Ländern ist es nicht üblich, weibliche Föten aufgrund ihres Geschlechts schon vor der Geburt abzutreiben. Sogenannte Ehrenmorde, also das Töten eines weiblichen Familienmitglieds aufgrund einer angeblichen Beschädigung der Familienehre, sind zum Glück ebenso selten wie Massenvergewaltigungen. Die Grundrechte der Europäischen Union garantieren Frauen die gleichen Rechte wie Männer. Natürlich dürfen Frauen wählen gehen, Auto fahren, eine Firma leiten oder Präsidentin werden.
Heißt das, wir können uns entspannt zurücklehnen? Ganz sicher nicht! Denn nur, weil EU Länder im weltweiten Vergleich gut abschneiden, heißt das nicht, dass wir absolut gut abschneiden. Denn auch in Europa haben wir es mit jeder Menge Sexismus zu tun. Raewyn Connell analysierte hegemoniale Männlichkeit ebenso wie etwas, was sie als „patriarchalische Dividende“ bezeichnet hat. Männer können von Geburt an selbstverständlich von Privilegien ausgehen, die ihnen ihre Kulturen seit Jahrtausenden zuschreiben. Diese Dividende streichen Männer auch in Europa ein.
Tatsächlich zeigt der Gender Equality Index, dass Frauen in der EU im Durchschnitt erstaunlicherweise erst etwas mehr als die Hälfte (52,9 Prozent) der Gleichberechtigung erreicht haben – also des Gleichstandes mit ihren männlichen Zeitgenossen. Die Studie untersucht die Faktoren Wissen, Geld, Macht, Zeit, Gewalt, Gesundheit und Arbeit im Vergleich zu Männern. In der Schule oder der Uni würden wir für 53 Prozent der richtigen Antworten mit Glück noch eine fünf bekommen. In keinem einzigen Land der EU (oder der Welt) sind Frauen tatsächlich selbstverständlich genauso viel wert, unterstützt, ausgestattet wie Männer.
Was aber bedeuten diese Zahlen im eigenen Leben? Ihr könnt es leicht herausfinden. Nehmt diesen Brief zum Anlass, um in eurem Umfeld, in der Familie oder im Freundeskreis, Frauen nach ihren Erfahrungen mit Sexismus zu fragen. Dann hört zu. Ich habe das gemacht und von haarsträubende Erlebnissen und Erfahrungen gehört: Frauen, die auf der Straße angefasst oder von Männern in Ecken gedrängt wurden. Frauen, denen zustehende Beförderungen verweigert wurden. Frauen, die lächerlich gemacht oder unterschätzt werden. Frauen, die gestalkt, verfolgt oder missbraucht wurden. Frauen, die genauso gut arbeiten wie Männer, aber schlechter bezahlt werden. Frauen, die in wichtigen Positionen sind, und als „Süße“ oder „Schätzchen“ degradiert werden. Ich war und bin schockiert, dies von den Frauen in meinem engsten Familien- und Freundeskreis zu hören. Die wiederum sagen, dass es keine Frau gibt, die nicht ein Erlebnis dieser Art vorbringen kann. All das sind keine Einzelfälle. Sie zeigen, wie die in der EU nur halb erreichte Gleichberechtigung unmittelbar im persönlichen Leben von Frauen und Mädchen wirksam ist. Daher, nehmt euch Zeit, hört zu , kommt ins Gespräch. Es wird euren Blick erneuern.
Es ist doch ein spannende Umstand, dass Europa als einziger Kontinent der Welt nach einer Frau benannt ist. Ein Ansporn für uns alle, solange wir nicht tatsächliche Gleichberechtigung erreicht haben - in unserem Leben, in unseren Köpfen, in unseren Gesellschaften.
Stellt euch vor, was für ein Europa wir haben könnten, wenn wir einander nicht nach dem Geschlecht beurteilen und entsprechend unterschiedlich behandeln würden. Wenn die Anerkennung, die im persönlichen Alltag oft ganz normal ist – der Respekt und die Zuneigung zu unseren Schwestern, Müttern, Freundinnen, Grossmüttern, Patentanten, Cousinen – auch im größeren gesellschaftlichen Kontext gelten würde. Stellt euch vor, was wir zusammen erreichen könnten, wenn wir das volle Potential unseres Kontinents nutzen würden, und nicht nur das halbe.
Aus diesen Grund schreibe ich euch heute von Mann zu Mann. Als Männer im 21. Jahrhundert haben wir eine kollektive Verantwortung, nicht wegzuschauen, sondern aktiver Teil eines besseren Europas zu werden. Echte Männer degradieren Frauen nicht. Echte Männer belästigen Frauen nicht. Echte Männer schauen nicht weg. Daher: Werdet Mitstreiter für die Gleichberechtigung. Und das nicht für Frauen oder weil wir es besser könnten (das wäre ja die Bevormundung, die wir gerade nicht wollen), sondern zusammen mit Frauen, Seite an Seite, für eine bessere Zukunft in Europa.
Liebe Grüße aus Berlin,
Vincent-Immanuel Herr
1. Am 1. November 2016 um 20:48, von Matze Als Antwort Von Mann zu Mann
„Die weitverbreitetste Form von Diskriminierung in Europa (und weltweit) ist Sexismus, die Benachteiligung von Mädchen und Frauen aufgrund ihres Geschlechts.“
Ah ja, Sexismus ist die Diskriminierung von Frauen. Was ist dann das?
http://www.rp-online.de/nrw/landespolitik/verfassungsklage-gegen-rot-gruen-fdp-nrw-diskriminiert-maenner-aid-1.6034489
Ich weiß schon: positive Diskriminierung. Männer freut euch doch mal.
Oder nennen Sie doch mal ein Recht das Männer haben und Frauen nicht.
2. Am 4. November 2016 um 16:01, von doudecim stellae Als Antwort Von Mann zu Mann
Der moderne Feminismus ist extrem inkonsistent in seiner eigenen Argumentation geworden. Auf der einen Seite sieht man im Gender, also dem gesellschaftlich konstruierten Geschlecht etwas, dass man möglichst verwischen und auflösen möchte. Ich begrüße dies ausdrücklich, weil wir in erster Linie nicht ein Geschlecht sind, sondern Menschen. Viele sexuelle Minderheiten profitieren von dieser Infragestellung der klassischen 2-Geschlechter-Norm und wir sollten alle fähig sein, die Andersartigkeit von Menschen zu respektieren oder sogar zu schätzen. Gleichzeitig versuchen aber neuerdings manche Vertreter des Feminismus zu definieren, oder neu zu definieren was Männlichkeit ist. Dabei wird Männlichkeit über die Bedürfnisse der Frau definiert. Das ist mit Verlaub aberwitzig. Keine westliche Frau würde über einen Mann ihre Weiblichkeit definieren lassen. Auf der anderen Seite trichtert man ständig jungen Männern ein, wie „böse“ archaische Männlichkeit ist und sie sollen ihre Empathie und Sanftheit kultivieren, dann kam die Kölner Silversternacht und auf einmal wurde überall gefragt: Sind die deutschen Männer verweichlicht, weil sie die Frauen nicht beschützt haben?
Ich denke es ist viel eher Zeit sich als Mann weniger Gedanken um Frauen zu machen. Frauen haben sich im letzten Jahrhundert von den Männern emanzipiert. Jetzt ist es Zeit, dass wir Männer uns von Frauen und Anforderungen und Pflichten egal ob aus rechter oder linker Ecke, patriarchaler oder matriarchaler was auch immer, emanzipieren. Macht worauf ihr Bock habt, solange ihr niemanden absichtlich verletzt! Die Frauen machen das schon lange. Frauen haben ihre Lobby, Frauen haben ihre Karrieren, ihre Hobbies, ihre Selbstverwirklichung. Wir Männer müssen auch lernen mehr auf uns selbst zu achten. Sowohl Männer als auch Frauen haben geschlechtsbezogene Nachteile und leiden unter Diskriminierung. Besser als dieser ewige kräftezehrende dämliche Geschlechterkampf, wäre wenn man sich dieser Tatsache stellt. Leider verweigern sich viele Anhänger des Feminismus dieser differenzierten Debatte und man verschließt sich auf das extremste dieser Realität.
Wir Männer mit Selbstwertgefühl, egal ob Hetero, Bi oder Homo, klein oder groß, dick, muskulös oder dünn haben ein echtes Problem und stecken in einer Krise. Aggressiven Teilen des Feminismus geht es auf der anderen Seite, entgegen anders lautender Beteuerungen schon lange nicht mehr um Gleichheit, sondern um knallharte weibliche Vorherrschaft. Das sind keine männlichen Verschwörungstheorien sondern wird mittlerweile offen von Feministen ausgesprochen, ich empfehle das Buch: The End of Men: And the Rise of Women http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/falscher-feminismus-in-hanna-rosin-the-end-of-men-a-863392.html oder hier: http://www.theatlantic.com/magazine/archive/2010/07/the-end-of-men/308135/
3. Am 8. November 2016 um 09:59, von FocusTurnier Als Antwort Von Mann zu Mann
A propos „wir müssen reden“: Eine Replik auf diesen Artikel finden Sie hier:
4. Am 8. November 2016 um 12:16, von FocusTurnier Als Antwort Von Mann zu Mann
A propos „wir müssen reden“. Hier eine Replik:
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