Weißrussland hat gestern ein neues Parlament gewählt. Das Endergebnis ziegt, dass erstmals seit Jahrzehnten zwei Politiker der Opposition in das neue Minsker Parlament einziehen werden:
Result of the #Belarus|ian parliamentary election. First time elected oppositional candidates since 2000. #electby pic.twitter.com/LfjlUhEq1y
— Belarus Votes (@BelarusVotes) 12. September 2016
Mit den diesjährigen Parlamentswahlen wollte Präsident Lukaschenko der Welt und vor allem Europa beweisen, dass Menschenrechte geachtet werden und ein Rechtsstaat existiert. Doch schon im Vorfeld der Wahlen gab es eine Vielzahl von Beschwerden und offensichtlichen Manipulationen.
Das gerupfte Parlament
Dabei hat das Parlament in Weißrussland in den letzten 20 Jahren immer mehr an Bedeutung verloren und besteht derzeit größtenteils aus sogenannten unabhängigen Kandidaten, die aber von den Ministerien ausgewählt werden und treu den Entscheidungen des Präsidenten folgen. Große Debatten oder Kontroversen werden im Parlament nicht geführt.
Dies hängt mit einem Referendum zusammen, das 1996 von Lukaschenko persönlich initiiert wurde und letztlich die Rolle des Präsidenten auf Kosten der Volksvertretung stärkte. Nach und nach etablierte Lukaschenko ein folgsames Parlament und marginalisierte die oppositionellen Kräfte durch Repressionen, politische Verhaftungen und strukturelle Diskriminierungen.
Von den Oppositionsparteien, die zwar unterschiedliche Politikströmungen repräsentieren (u.a. liberal-konservativ, sozialdemokratisch, grün), aber doch alle einen pro-europäischen Kurs einschlagen, konnte bei der letzten Parlamentswahl 2012 keine einen Sitz gewinnen. Auch die regierungsnahen Parteien, die Kommunistische Partei, die Agrarpartei und die Republikanische Partei, konnten nur vereinzelte Wahlkreise für sich gewinnen. 105 der 110 Sitze fallen im aktuellen Parlament auf die erwähnten unabhängigen Kandidaten.
Keine freien und fairen Wahlen
Internationale Beobachter sowie weißrussische Menschenrechtsorganisationen kritisieren seit langem die Bedingungen bei den Wahlen. Gegen die Kandidatennominierung, die Stimmenauszählung und auch die Wahlbeobachtung gibt es zahlreiche offizielle Beschwerden. Nach den Präsidentschaftswahlen 2015 hat die OSZE insgesamt 30 Vorschläge für fairere und freiere Wahlen an die Zentrale Wahlkommission übergeben, nur wenige wurden tatsächlich umgesetzt. Die NGO ‚Human Rights Defender For Free Elections‘ aus Weißrussland hat im letzten Jahr über die Verletzungen der Wahlprinzipien bei der letzten Wahl berichtet. Die parteiische Zusammenstellung der lokalen Wahlkommissionen, bürokratische Hürden und Willkür bei der Nominierung und Registrierungen von Kandidaten und finanzielle Beschränkungen bei der Wahlkampagne treffen die oppositionellen Parteien schon vor der eigentlichen Wahl.
Aber auch während der Wahl ergeben sich Möglichkeiten zu Manipulationen, die von Wahlbeobachtern nicht ausreichend ausgeschlossen werden können. Vor allem nationale Beobachter müssen sich systematischen Einschränkungen stellen. Eine Besonderheit der Wahlen in Weißrussland ist vorzeitige Stimmenabgabe. Bereits seit Dienstag konnten Wahlberechtigte in den Wahllokalen abstimmen. Vor allem Militärangehörige, Staatsbedienstete und Studenten werden angehalten, bereits vor dem Wahlsonntag an die Urne zu treten. Dies soll eine hohe Wahlbeteiligung und die daraus resultierende Legitimität garantieren, eröffnet aber auch die Gefahr der Manipulation, da die Wahlboxen über Nacht nur unzureichend gesichert sind. Aber auch weitere Praktiken, wie mobile Wahlurnen, verdeckte Stimmenauszählungen und der Umgang mit offiziellen Beschwerden zeigen, dass die Wahlen in Weißrussland weder fair noch frei sind.
Europas schmaler Grat der Kooperation
Die Europäische Union hat bisher die Sanktionen gegen Lukaschenko zurückgenommen, nachdem er politische Gefangene frei gelassen hatte. Außerdem zeigte sich Lukaschenko zumindest auf internationaler Ebene kompromissbereit, in dem er mit dem Minsk-Abkommen zur Ukraine-Krise Verantwortung übernahm.
Doch innenpolitisch hat sich nur wenig geändert. Statt politische Oppositionelle einzusperren, werden nun hohe Bußgelder verhängt oder andere Repressionen eingesetzt. Zugeständnisse werden so über die Hintertür wieder zurückgenommen. Dies hindert die EU jedoch nicht davor, die langsame Annäherung mit Weißrussland fortzuführen.
Derweil werden Vorgänge eingeleitet, die Weißrusslands Position in der Weltgemeinschaft und seine finanzielle Situation verbessern sollen. Dazu gehören die Aktivierung der Östlichen Partnerschaft, Aktivitäten der Europäischen Investitionsbank sowie eine Rechtsstaatinitiative mit den Vereinten Nationen.
Mit Europas offenem Kurs verhindert die EU zumindest, dass die Tür zu Verhandlungen komplett zugestoßen wird. Andererseits muss die EU den Druck auf Lukaschenko weiter aufrechterhalten, um Veränderungen bewirken zu können. Auch die Unterstützung von oppositionellen Gruppen und der Zivilgesellschaft kann wichtige Impulse für einen Wandel in Weißrussland geben.
Voraussetzung für weitere Entgegenkommen sollte aber die Abhaltung von fairen und freien Wahlen sein. Diese Chance wurde dieses Mal wieder verpasst und wird sich wohl erst wieder 2020 zur nächsten Präsidentschaftswahl ergeben.
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