Eskalation im Westsahara-Konflikt

Wenn die Wüste brennt

, von  Gianina Lotto

Wenn die Wüste brennt
Das Gebiet der Westsahara war bis 1975 eine spanische Kolonie. Dann gab Spanien das Gebiet auf, zeitgleich wurde es jedoch nie richtig entkolonialisiert. Stattdessen erhebt Marokko seitdem Anspruch auf den Landstrich an der afrikanischen Westküste, was international nicht anerkannt wird. Foto: Unsplash / Andrzej Kryszpiniuk / Unsplash Lizenz

Was haben der Abbruch diplomatischer Kontakte zur deutschen Botschaft in Rabat, eine vergessene Kolonie und eine bewaffnete Befreiungsbewegung gemeinsam? Was wie das Setting aus einem Hollywood-Actionfilm klingt, spielt sich gerade rund um den Westsahara-Konflikt ab. Aber worum geht es bei diesem Konflikt, warum flammt er gerade jetzt wieder auf und was hat eigentlich Deutschland mit all dem zu tun? Eine Hintergrundanalyse.

Vor Kurzem hat die Regierung Marokkos die diplomatischen Kontakte zur deutschen Botschaft sowie zu deutschen Stiftungen und Organisationen in Rabat vorerst auf Eis gelegt. Für viele kam diese Nachricht des marokkanischen Außenministers überraschend. Deutschland pflegt traditionell gute Beziehungen zu Marokko. In diplomatischen Kreisen wird daher vermutet, dieses Vorgehen könnte eine Reaktion auf die neuesten Entwicklungen im Westsahara-Konflikt sein.

WORUM GEHT ES IM WESTSAHARA-KONFLIKT?

Das Gebiet der Westsahara war bis 1975 eine spanische Kolonie. Dann gab Spanien das Gebiet auf, zeitgleich wurde es jedoch nie richtig entkolonialisiert. Stattdessen erhebt Marokko seitdem Anspruch auf den Landstrich an der afrikanischen Westküste, was international nicht anerkannt wird. Die Menschen in der betroffenen Region wehren sich gegen diesen Anspruch Marokkos. Allen voran die Befreiungsbewegung Frente Polisario, die vor der marokkanischen Besetzung bereits gegen die spanische und mauretanische Besetzung gekämpft hatte. In Teilen der Westsahara hat eine Exilregierung die Macht. Man fordert einen eigenen Staat und wird darin etwa von Algerien unterstützt. Algerien hatte der Polisario bereits in den Befreiungskämpfen der 1970er Jahre gegen Marokko und Mauretanien geholfen Das liegt unter anderem daran, dass Algerien und Marokko regionale Konkurrenten sind, die frei werdende Machträume in der Region für sich zu nutzen versuchen. Marokko hingegen strebt einen Autonomiestatut für die Westsahara an.

WIE HAT SICH DIE SITUATION WEITERENTWICKELT?

Anfang der 1990er Jahre gelang es den Vereinten Nationen einen Waffenstillstand zwischen der Polisario und Marokko auszuhandeln. In diesem Abkommen sind unter anderem beidseitig anerkannte Grenzübergänge festgelegt. Darüber hinaus sollte es ein Referendum über die Unabhängigkeit der Westsahara geben. Die Einhaltung des Abkommens wird von der UN überwacht, ein 2.000 Kilometer langer Sandwall teilt seitdem die Westsahara. Der Prozess um das Referendum kam jedoch zum Erliegen, als die marokkanische Regierung und die Polisario keine Einigung hinsichtlich der Abstimmungsberechtigten erzielten.

Trotz der festgehaltenen Grenzen hat Marokko in der Vergangenheit neue Grenzübergänge errichtet. In genau dieser Region kommt es auch immer wieder zu Aufständen. Im November wurde eine Demonstration an einem von Marokko eingerichteten Grenzübergang, der rechtlich nicht zu dessen Zone gehört, von der marokkanischen Regierung geräumt. Die Polisario reagierte auf diesen Verstoß des Waffenstillstandsabkommens, indem sie Stellungen der marokkanischen Regierung an der Grenze der besetzten Gebiete angriff. Oder anders ausgedrückt: Seit dem Angriff Es herrscht Krieg.



Das Gebiet der Westsahara liegt südlich Marokkos und hat Schätzungen zu Folge etwa 600.000 Einwohner*innen Foto: Wikimedia Commons / Eddo / CC BY-SA 3.0


WAS HABEN DEUTSCHLAND UND DIE EU DAMIT ZU TUN?

Die EU profitiert von der Nutzung der Ressourcen in der Westsahara durch Marokko. Dazu gehören unter anderem der Abbau von Rohstoffen, Strom aus Windparks, Vorteile für EU-Länder in Fischereiabkommen oder in den allgemeinen Handelsbeziehungen. Besonders Länder wie Frankreich oder Spanien entscheiden daher nicht selten zugunsten Marokkos, um ihre guten Beziehungen zu dem Land aufrecht zu halten, aber auch um die Überwachung der Grenzen zur EU sicherzustellen. Denn in der Vergangenheit hatte Marokko bei Uneinigkeiten die Landesgrenzen bereits geöffnet, was zur vermehrten Ankunft von Flüchtlingsbooten in der EU geführt hatte.

Auch für die USA spielt Marokko mit seiner direkten Lage am Mittelmeer eine wichtige strategische Rolle. Im Dezember gaben die USA bekannt, dass sie die Westsahara als marokkanisches Staatsgebiet anerkennen. Daraufhin berief Deutschland eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates ein. Die damit gezeigte vermeintliche Solidarität Deutschlands mit nicht-marokkanischen Kräften in der Westsahara könnte daher die marokkanische Regierung verärgert und zum derzeitigen Abbruch der diplomatischen Kontakte mit Deutschland geführt haben .

VERGESSEN IN DER WÜSTE

Zum aktuellen Zeitpunkt ist noch keine Lösung des Konflikts um die Region der Westsahara absehbar. Die internationale Gemeinschaft hält sich aus eigenen Interessen zurück. Doch bei all den diplomatischen und wirtschaftlichen Aspekten, die die internationalen politischen Entscheidungen im Westsahara-Konflikt beeinflussen, findet ein Punkt viel zu wenig Beachtung: Die betroffenen Menschen. Seit Jahrzehnten sind Sahraouis, das nomadische Volk der Westsahara, auf der Flucht, auseinandergerissene Familien können sich nicht sehen, es werden Lebensmittel von internationalen Hilfsorganisationen an die Zivilbevölkerung verteilt. Mehr als 160.000 Menschen leben unter schwierigsten Bedingungen in Geflüchtetenlagern in der Wüste. Gerade in den letzten Jahren kommt zudem immer weniger Hilfe an. Denn die Welt schaut gerne weg, wenn sie nicht unmittelbar selbst betroffen ist und vergisst dabei die Menschen in der Wüste.

Die Krise in der Westsahara könnte daher eine Chance für die EU sein, der Welt zu zeigen, dass sie ihre eigenen Werte über realpolitische Gesichtspunkte stellt und sich für die aktive Lösung des Konflikts und einen Ausweg für die Betroffenen einsetzt. Auch wenn das bedeutet, unangenehme Entscheidungen treffen zu müssen, die zur Verärgerung Marokkos führen könnten.

Dazu wäre es allerdings auch nötig, dass die EU in diesem Konflikt mit einer Stimme spricht. Das ist bislang nicht der Fall. Zwar werden die Friedensbemühungen der UNO unterstützt, allerdings ist man gespalten zwischen Unterstützern Marokkos und Unterstützern Algeriens und der Frente Polisario. Den Preis für das Ausharren der EU aufgrund strategischer Interessen zahlt jedoch die Zivilbevölkerung der Westsahara, die feststeckt in einem nicht enden wollenden Konflikt im Sand.

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