Wer braucht Wahrheit, wenn es schöne Lügen gibt?

, von  Arthur Molt

Wer braucht Wahrheit, wenn es schöne Lügen gibt?
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In den USA wird der Einfluss Russischer Desinformation und gezielter Hackerangriffe auf die Wahlen diskutiert. Falschmeldungen russischer Auslandsmedien verbreiten sich rasch über verschiedene Kanäle. Diese Taktik passt gut zur reißerischen Rhetorik von Rechtspopulisten. Droht bei den Wahlen in Frankreich und Deutschland 2017 eine Propagandaschlacht?

Für Aufsehen sorgte Ende Oktober der Angriff des russischen Auslandsgeheimdienstes auf das Emailkonto von John Podesta, Leiter des Wahlkampfteams von Hillary Clinton. Seitdem wird diskutiert, welchen Einfluss russische Störaktionen auf den Verlauf der US-Wahlen hatten.

Hackerangriffe auf demokratische Institutionen

Einflussnahme erfolgte grundsätzlich auf zwei verschiedenen Wegen. Zum einen durch Angriffe von Hackern, die sich Zugang zu Institutionen und sensiblen Daten verschaffen. Zum anderen durch gezielte, massenhafte Verbreitung von Falschmeldungen, sogenannte Desinformation. Beide Formen sind schon im Vorfeld der US-Wahlen im November aufgetreten.

Bereits im Juni und Juli 2016 stellte das FBI Zugriffe auf das Rechensystem der Wahlkomitees in Arizona und Illinois fest, so die Behörde in einem nachträglich veröffentlichen Dokument. Im Falle Illinois’ gelang es den Hackern auch im großen Stil Registrierungsdaten von Wählern zu entwenden. Eine der insgesamt acht verwendeten IP Adressen ist laut FBI aus einem russischen Hackerforum bekannt.

Desinformation, Verwirrung ist das Ziel

Adrian Chen’s Reportage für die New York Times dokumentiert die Arbeitsweise einer Agentur in St. Petersburg, die über gezieltes „trolling“ für Verunsicherung in den sozialen Medien sorgt. Nicht überprüfte Berichterstattung durch russische Auslandsmedien wie Sputnik News und Russia Today entfaltet erst durch die schnelle, sorglose Verbreitung in sozialen Netzwerken ihre Wirkung.

Während sich klassische Propaganda auf die Überzeugung von ideologischen Standpunkten konzentrierte, hat moderne Desinformation heute vor allem ein Ziel: Verwirrung stiften.

Nicht alle Desinformationen oder „fake news“ lassen sich jedoch nach Russland nachverfolgen. Deutlich wird dies am Beispiel des Skandals um angebliche bezahlte Teilnehmer an Anti-Trump-Protesten in Austin Texas. Der Geschäftsmann Eric Tucker hatte auf seinem Twitter-Account eine Handyaufnahme mit weißen Bussen geteilt. Ohne weitere Prüfung behauptete er, mit diesen wären Demonstranten herbeigeschafft worden, die von reichen Unterstützern Hillary Clintons bezahlt wurden. Wie die New York Times dokumentierte, wurde der Tweet schnell auf Websiten von Trump-Unterstützern geteilt und löste Hysterie in den sozialen Medien aus.

Propaganda als postmodernes Marketing

Der Historiker Timothy Snyder beobachtet die rapide Ausbreitung von russischer Desinformation im Zuge der Krim-Annexion und dem hybriden Krieg im ukrainischen Donbass. Er beschreibt den Mechanismus heutiger Propaganda als „postmodernes Marketing“. Die in der Postmoderne verbreitete Annahme, dass es keine überprüfbaren Fakten gibt und eine Vielzahl von Perspektiven Recht auf Gehör und Gültigkeit hat, lässt sich gut für Desinformation nutzen.

Oftmals geht es nicht um eine plumpe pro-russische Darstellung der Tagespolitik, sondern um die Verbreitung von Meldungen, die tatsächliche Ereignisse und Fakten neben nicht überprüfbare Behauptungen oder Falschmeldungen stellen. Beispielhaft ist die Silvesternacht in Köln, über die der Sender RT früher als ARD und ZDF berichtete. Unter seine „Recherche“ mischte der Sender auch ein Interview mit einem unbekannten Streifenpolizisten, den RT kurzerhand zum Polizeipräsidenten von Köln erklärte.

Interview mit Polizeipräsident Albers im WDR und seinem Double bei RT.

Das Nebeneinander von nachprüfbaren und erfundenen Inhalten erzeugt beim Publikum ein Gefühl von Unsicherheit. Ein schwindendes Vertrauen in die Medien als solche und die demokratischen Institutionen ist die Folge. Wer sich dieser Form der Berichterstattung aussetzt, legt bald eine große Beliebigkeit im Umgang mit Aussagen und Fakten an den Tag. Rechte Verschwörungstheorien sind nur die sichtbarsten Folgen dieses postmodernen Umgangs mit Fakten.

Rechtspopulismus bereitet den Boden für russische Propaganda

„Postmodernism is something we do, which Fox News does. They learned it from us and perfected it." In einem Vortrag an der Universität Chicago zeigte sich Professor Snyder überzeugt davon, dass sich die russische Propaganda einiges abgeschaut hat von reißerischen Medien wie Fox News in den USA. Ein Ausschnitt des Vortrags von 2014 findet sich hier.

Tatsächlich lassen sich einige Überschneidungen in der Kommunikation rechter amerikanischer Medien (Breitbart) und russischen Kanälen (RT) erkennen. Auch die Selbstvermarktung von Donald Trump und seine provokativen, nicht nachprüfbaren Aussagen sprechen dafür, dass er eine ähnlich skrupellose Form des politischen Marketings verwendet.

Wesentlich für den Erfolg politischen Marketings ist das sogenannte „Ankern“. Stichworte werden so lange wiederholt bis sie tief im Bewusstsein des Publikums verankert sind. Die Vehemenz mit der Donald Trump von „Crooked Hillary“ sprach erinnert tatsächlich an das Mantra der russischen Staatsmedien, die davon sprachen, dass die Ukrainer einen „Faschistischen Putsch“ in ihrem Land durchgeführt hätten.

Die Kommunikation von Populisten und Propagandisten scheint hier nach dem gleichen Grundsatz zu funktionieren: Aufmerksamkeit ist alles, Wahrheitsgehalt nachrangig. Rechtspopulistische Parteien und deren eigene Netzwerke zur Desinformation sorgen dafür, dass russische Propaganda auf fruchtbaren Boden fällt.

Desinformation im europäischen Wahljahr 2017

Welchen Einfluss wird russische Desinformation auf die Präsidentschaftswahlen in Frankreich und die Bundestagswahl in Deutschland haben? Nach den Erfahrungen der US-Wahl liegt die Vermutung von russischer Wahlhilfe für den Front National und die AfD nahe.

Die Verbindungen der russischen Regierung mit den europäischen Rechtspopulisten und Rechtsextremen sind bekannt. Neben ideologischen Überschneidungen und gemeinsamen Netzwerktreffen einzelner Abgeordneter ist auch finanzielle Unterstützung nachgewiesen. Im Jahr 2014 erhielt der französische Front National einen Kredit von 40 Millionen Euro, abgewickelt über die First Czech Russian Bank (FCRB).

Kanzlerin Angela Merkel sprach am Dienstag davon, dass die Regierung bereits jetzt mit russischen Cyberattacken zu tun habe und damit umzugehen zur „täglichen Aufgabe" geworden sei.

Auch der Chef des Bundesnachrichtendienst (BND), Bruno Kahl warnte unlängst vor russischen Störkampagnen. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung betonte er: „Die Täter haben ein Interesse, den demokratischen Prozess als solchen zu delegitimieren. Egal, wem das nachher hilft.“

Inzwischen scheint das Europäische Parlament seine Schlüsse aus den Ereignissen während der US-Wahl gezogen zu haben. Am vergangenen Mittwoch forderten die Parlamentarier in einer Resolution die Aufstockung der Mittel für das bisher neunköpfige Team von East StratCom. Die beim European External Action Service (EEAS) angesiedelte Einheit klärt über Desinformation und Propaganda auf.

Korrekturen: Der Artikel wurde am 2. Dezember 2016 um 5:00 veröffentlicht und um 12:20 korrigiert. Zweifel an der Qualität des Berichts der Organisation „PropOrNot“, den die Washington Post veröffentlicht hatte, waren der Grund. Letzte Korrektur am 3.12.16 um 15:11. Arthur Molt

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