Als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag, den 10. März im Anschluss an eine Videokonferenz mit den 27 Staats- und Regierungschef*innen der Union vor die Presse tritt, ist die Corona-Pandemie bereits vollumfänglich in Europa angekommen. In den nächsten Tagen werden viele Schulen, Universitäten und Kindertagesstätten schließen, Österreich und Frankreich werden den Betrieb von Geschäften und Restaurants weitgehend einstellen. In den europäischen Ländern kommt das öffentliche Leben zu großen Teilen zum Erliegen, mit Italiens „Zona Rossa“ geht ein ganzes Land in Quarantäne.
Neben den erheblichen Herausforderungen, die das Virus in diesen Tagen für Gesundheitssysteme, für Politik und für unsere Gesellschaft mit sich bringt, scheint Covid-19 außerdem die europäische Wirtschaft in die nächste Rezession zu drängen. Dessen Dimension und Komplexität sind noch nicht abzusehen, doch die Anzeichen für einen Abschwung sind zahlreich und vielfältig.
Von der Pandemie zur Wirtschaftskrise
Mit weltweit über 375.000 Infizierten (Stand: 24. März) und der Aussicht auf weiter steil ansteigende Fallzahlen verzeichneten die Aktienmärkte in allen Teilen der Welt drastische Einbrüche, der Ölpreis sank in den vergangenen Wochen von einem Rekordtief zum nächsten. In Reaktion auf sich eintrübende Wachstumsprognosen und die sich ausbreitende Nervosität an den Finanzmärkten senkten wichtige Zentralbanken ihren Leitzins. Viele Expert*innen, darunter die des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW), halten einen langanhaltenden Abschwung in der aktuellen Situation für möglich. Die ökonomischen Turbulenzen bilden nicht nur die Verluste einiger Investoren auf dem Papier ab, sondern bedrohen auch reale Arbeitsplätze und Altersvorsorgen.
Das alles erinnert an die Jahre 2008/09, als sich die Weltwirtschaft mit der Finanzkrise ihrer letzten Rezession gegenübergestellt sah. Und doch trügt dieser Schein: Beide Krisen unterscheiden sich wesentlich voneinander. Während die vergangene Rezession von einem internen, strukturellen Problem der Finanzwirtschaft verursacht wurde, handelt es sich bei der aktuellen um einen externen Gesundheitsnotstand, der in die Wirtschaft hinübergetragen wird. Dabei wirkt sich das Virus auf drei verschiedenen Ebenen auf die Wirtschaft aus. Um den Abschwung zu dämpfen, muss den Folgen von Covid-19 auf jeder dieser Ebenen mit politischen Maßnahmen begegnet werden.
Erstens schwächt die Pandemie das Angebot: Arbeitnehmer*innen werden krank, Kontaktpersonen begeben sich in Quarantäne und Eltern müssen infolge von Schulschließungen zur Fürsorge ihrer Kinder zuhause bleiben. Im Zusammenspiel mit zunehmend globalisierten und nun zusammenbrechenden Produktionsketten führt das dazu, dass die wirtschaftliche Leistung vieler europäischer Unternehmen abnimmt. Zweitens sinkt zeitgleich die Nachfrage. Durch den Stillstand des öffentlichen Lebens sowie bevorstehenden Gehaltseinbußen vieler Beschäftigter scheinen sich Haushalte zögerlicher bei der Anschaffung neuer Produkte zu verhalten: Der Konsum sinkt. Hinzu kommt drittens eine grundsätzliche Unsicherheit über den Umfang und die Dauer der derzeitigen Krise, welche die ökonomische Situation noch verschärft. Was ist also zu tun?
Handlungsspielräume und Maßnahmen
Im Allgemeinen kann eine in Krisenzeiten schwächelnde Ökonomie auf Unterstützung von zwei verschiedenen wirtschaftspolitischen Seiten hoffen. Zum einen ist da die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Diese kann mit dem Leitzins die Kosten für das Leihen von Geld senken, um so private Investitionen zu erleichtern und die Wirtschaft zu stärken. Da der Leitzins allerdings bereits vor Zeiten des Coronavirus bei 0 % lag und kaum noch weiter abgesenkt werden kann, bleibt der EZB heute nur beschränkter Handlungsspielraum zur Reaktion auf den sich abzeichnenden Abschwung.
Zum anderen kann auch die Fiskalpolitik der nationalen Regierungen und EU-Behörden zur Dämpfung von Konjunkturschwankungen bemüht werden. Im Licht der begrenzten Möglichkeiten der EZB erscheint dieses Instrument nun umso bedeutungsvoller. An jenem Dienstagabend stellte die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen mit einem 37 Milliarden schweren „Krisenfonds“ die wirtschaftspolitische Reaktion der Europäischen Union auf die Corona-Pandemie vor. Nach Angaben der Kommission soll das Geld neben den nationalen Gesundheitssystemen vor allem kleinen und mittleren Unternehmen zugutekommen. Diese könnten sonst durch die wirtschaftlichen Einbußen infolge des Virus Liquiditätsprobleme bekommen und in die Insolvenz getrieben werden. Um Firmenexistenzen und Arbeitsplätze besonders in den stark betroffenen Sektoren Tourismus, Verkehr und Handel zu schützen, sollen die bereitgestellten direkten Finanzhilfen Firmen bei der Überbrückung der Krise unterstützen.
Gleichzeitig ermuntert von der Leyen die EU-Mitgliedsstaaten auch, Unternehmen auf nationaler Ebene mithilfe von Steuerentlastungen und gezielten Beihilfen unter die Arme zu greifen. Um diese nicht am Regelwerk der Union scheitern zu lassen, sollen Staatsbeihilfen zur finanziellen Unterstützung von geschädigten Unternehmen schneller und unbürokratischer durch die EU genehmigt werden. Zudem plant die EU-Kommission, den Staats- und Regierungschef*innen beim Stabilitätspakt „maximale Flexibilität“ zu gewähren. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, welcher die Staatsverschuldung der Mitglieder auf 60 % und das jährliche Haushaltsdefizit auf 3 % des BIPs begrenzt, räumt diesen für außergewöhnliche Umstände zusätzliche Freiräume ein, die nun voll ausgeschöpft werden sollen. Im Grunde schafft die Europäische Union so die rechtlichen Rahmenbedingungen für umfassende wirtschaftspolitische Maßnahmen auf nationaler Ebene. Vor allem hochverschuldete Staaten wie Italien und Spanien, die zudem besonders unter den Auswirkungen des Coronavirus leiden, können die zusätzliche finanzielle Beinfreiheit gut gebrauchen.
„We will do whatever is necessary to support the Europeans and the European economy”, verspricht von der Leyen mit Blick auf die angekündigten politischen Impulse. Es sind Worte die – vermutlich nicht zufällig – an Mario Draghi’s „whatever it takes“ erinnern, mit dem der damalige EZB-Präsident im Jahr 2012 auf dem Höhepunkt der Eurokrise Vertrauen in die wirtschaftliche Stärke der Eurozone schaffte und die Finanzmärkte beruhigte. Dennoch bleibt die Frage bestehen, ob das angekündigte Maßnahmenpaket ausreicht, um einen wirtschaftlichen Abschwung in der Europäischen Union abzufedern.
Wie stehen die Chancen auf Erfolg?
Eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik ist dringend notwendig, um die europäischen Werte der Gemeinschaft und Solidarität zu verteidigen und zu verhindern, dass Europa in Krisenzeiten wieder in alte nationale Verhaltensmuster verfällt. Damit sind die vorgestellten Maßnahmen ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Zudem werden die Anregungen der EU-Kommission dazu beitragen, dass Unternehmen (und damit das Angebot) geschützt und ein grundsätzliches Vertrauen in die möglichst schmerzfreie Bewältigung der aktuellen Krise geschaffen werden. Auch das ist, mit Blick auf die mehrdimensionalen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, richtig und wichtig.
Dennoch scheint gerade bei der Stabilisierung der Nachfrage weiterhin Handlungsbedarf zu bestehen. So sind laut den Expert*innen des DIW beispielsweise die Einkünfte von sogenannten Kleinstunternehmer*innen und Solo-Selbstständigen noch immer wirtschaftlich ein wunder Punkt. Selbstständige machen unter anderem in Italien rund ein Fünftel der Erwerbspersonen aus, erhalten aber im Krankheitsfall oft keine Lohnfortzahlung und sind damit in besonderem Maße ökonomisch von dem Virus bedroht. Um zu verhindern, dass diese Haushalte drastische Gehaltseinbußen erleiden, müssten die Betroffenen in der gesamten EU finanziell unterstützt werden – ein Vorhaben, dass die EU-Kommission zentral koordinieren könnte.
Während die Ausbreitung von Covid-19 weiter voranschreitet, werden in den nächsten Monaten noch mehr kreative, gesamteuropäische Ideen und Konzepte nötig sein, um eine tiefgreifende Rezession im europäischen Wirtschaftsraum abwenden zu können.
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