Wie hängen Klimakrise und Kolonialismus zusammen?

, von  Claudia Bothe

Wie hängen Klimakrise und Kolonialismus zusammen?
Postwachstum statt unendlicher Konsum - Klimaaktivist*innen fordern den Planten vor Profit zu stellen Foto: Unsplash / Markus Spiske / Lizenz

Die Länder des Globalen Südens spüren den Klimawandel bereits deutlich. Dennoch finden ihre Stimmen in der globalen Klimapolitik nur selten Gehör. Stattdessen sind es in erster Linie die Länder des Globalen Nordens, die zwar hauptsächlich für die Klimakrise verantwortlich sind, aber dennoch in der internationalen Klimapolitik den Ton angeben. Damit reproduzieren sich globale Machtstrukturen, die sich seit der Kolonialzeit verfestigt haben und bis heute maßgeblich die internationale Klimapolitik prägen. Das Resultat: Klimakolonialismus.

„Wenn wir von der Klimakrise sprechen, dann denken wir in erster Linie an zu viel CO2 in der Atmosphäre.“ Aber das sei eher ein Symptom als die Ursache, erklärt die Ökonomin und Klimaaktivistin aus Bangladesch, Tonny Nowshin, im Gespräch mit treffpunkteuropa.de. „Wenn man genauer hinschaut, dann wird deutlich, dass die Klimakrise eng verbunden ist mit dem Kolonialismus.“

Mit Beginn der Kolonialisierung Ende des 15. Jahrhunderts kamen die Länder des Globalen Nordens zu Reichtum, woraufhin wenig später die Industrialisierung möglich wurde. Die hochindustrialisierten Wirtschaftssysteme der Kolonialmächte konnten nur aufgrund der Ausbeutung von Ressourcen und unbezahlter Arbeit in den kolonialisierten Staaten Afrikas, Asiens oder der Pazifischen Inseln entstehen.

Die Ursache des Klimawandels ist also die Industrialisierung, der Ursprung liegt jedoch bereits im Kolonialismus. „Diese globalen Machtstrukturen und Ungleichheiten, die auf Ausbeutung und Kolonialismus beruhen, haben sich bis heute fortgesetzt und uns bis an die Schwelle zur Klimakrise geführt“, so Tonny Nowshin. Laut einer Oxfam-Studie verursachen die reichsten 10% der globalen Bevölkerung 52% der weltweiten CO2-Emissionen, während die ärmsten 3,5 Milliarden Menschen für gerade einmal 10% der Emissionen verantwortlich sind.

Die Menschen des Globalen Südens, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, fühlen die Konsequenzen allerdings bereits am deutlichsten und kämpfen seit Jahrzehnten mit Überschwemmungen, Dürren, Ernteausfällen und kollabierende Ökosystemen. Die Diskrepanz zwischen Verantwortung und Folgen zeigt deutlich wie stark die Klimakrise, aber auch die Klimaschutzpolitik, von postkolonialen Strukturen und Rassismus geprägt sind.

Der Westen dominiert die Klimapolitik

Inzwischen haben die Menschen im Globalen Süden Strategien entwickelt, um sich an die Extremwetterereignisse aufgrund des Klimawandels so gut es geht anzupassen. Ihre Perspektive und Expertise finden allerdings nur selten Gehör. Gerade in Bezug auf die globale Klimapolitik sind es immer noch die reichen Länder des globalen Nordens, die maßgeblich den Ton angeben.

„In gerade einmal 300 Jahren haben die westlichen Industrienationen das Ökosystem unseres Planeten völlig aus dem Gleichgewicht gebracht“, erklärt Tonny Nowshin. „Indigene Völker leben dagegen seit Jahrtausende im Einklang mit der Natur. Dennoch behandeln wir diese Völker meist als unzivilisiert und rückständig, aber es müsste genau umgekehrt sein. Wir können eine Menge von diesen Völkern lernen. Deshalb sollten wir uns ernsthaft fragen, wem wir zuhören wollen und uns genau überlegen, wen wir als Vorbild unserer Klimapolitik nehmen.“

Doch in den politischen Entscheidungsfindungsprozess sind Schwarze, Indigene und Menschen of Colour deutlich unterrepräsentiert. Anstatt sich als Pionier einer grünen und nachhaltigen Zukunft zu positionieren, sollte die EU mehr Raum für internationale Stimmen lassen und die Lebensrealitäten der Menschen des Globalen Südens priorisieren. So betreibe der Westen eine Klimapolitik des Besserwissens, schreibt der Klimawissenschaftler Hans von Storch in der taz. Vielmehr sollte der Westen aber dem Süden zutrauen, eigene politische und wissenschaftliche Positionen zu entwickeln und sich stärker an den Lebensrealitäten der Menschen vor Ort orientieren. Denn eine „inhaltliche Steuerung“, so Hans von Storch, „stellt eine Fortsetzung des Kolonialismus dar.“

Klimakolonialismus im 21. Jahrhundert

„Auch wenn der Kolonialismus offiziell 1960 endete, prägen die daraus entstandenen Machtstrukturen noch immer maßgeblich die wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen zwischen den ehemaligen Kolonialmächten und den ehemals kolonialisierten Ländern“, betont Tonny Nowshin. So setzten die westlichen Staaten vor allem auf den Ausbau erneuerbarer Energien und neue grüner Technologien. „Aber so einfach ist das nicht, denn man muss berücksichtigen, dass diese Strategien meist auf denselben Strukturen beruhen, die in der Vergangenheit zu Ausbeutung und Ungleichheit geführt haben.“

So spricht sich die EU im Rahmen des European Green Deal für grüne Mobilität und den Ausbau von Elektroautos aus. Für die Herstellung der Batterien werden Metalle wie Kobalt, Lithium, Nickel, Mangan und Graphit benötigt, die jedoch überwiegend in den Ländern des Globalen Südens abgebaut werden, meist unter schlechten Bedingungen für Arbeiter*innen und Umwelt.

Die Aktivist*innen von “Equinox” kritisierendaher in Bezug auf den European Green Deal, dass die EU ihrer historischen Verantwortung und ihrem Beitrag zur Klimakrise nicht gerecht werde. Die Initiative setzt sich für soziale Gerechtigkeit und den Kampf gegen Rassismus auf EU–politischer Ebene ein. Demnach reproduziere der European Green Deal kapitalistische Ausbeutung und rassistische Strukturen, während sich die wirtschaftliche Abhängigkeit des Globalen Südens verfestige.

Damit ist der European Green Deal nur ein Beispiel von Klimakolonialismus unter vielen. Um sicherzustellen, dass eine grüne Transformation im Globalen Norden nicht weiterhin auf Kosten des Globalen Südens stattfindet, braucht es ein grundsätzliches Umdenken.

Postwachstum statt unendlicher Konsum

Die Klimaaktivistin und Ökonomin Tonny Nowshin spricht sich daher für Postwachstum aus und fordert einen fundamentalen Wandel unseres Wirtschaftssystems. Konkret bedeute das eine Abkehr von dem profitgetriebenen System des unendlichen Wirtschaftswachstums sowie ein Ende der unverhältnismäßigen Überproduktion und des unstillbaren Konsumverhaltens.

„Unseren Konsum zu reduzieren bedeutet jedoch nicht, dass wir bald kein Essen oder keine Kleidung mehr haben werden“, erläutert die Ökonomin. „Es geht vielmehr darum, die Überproduktion zu reduzieren und die Ressourcen, die wir haben, gerechter zu verteilen. Wir müssen unsere profitorientierte, kapitalistische Denkweise ablegen und einen kollektiven, dezentralen Ansatz anstreben.“

Das Problem ist also weniger ein Mangel an Ressourcen als eine ungleiche Verteilung. Während wir im Globalen Norden chronisch überproduzieren und jährlich rund 930 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll landen, hungern Menschen in anderen Regionen der Welt.

„Diese ineffiziente Produktion ist wie eine Plage, die unsere Ressourcen auffrisst. Wir freuen uns, dass die Waren in den Geschäften günstig sind. Doch niemand sieht die Kosten, die anderswo auf der Welt entstehen. Dieses Wirtschaftssystem verwandelt den Planeten in Geld und Profit, aber zu welchem Preis? Deshalb müssen wir weg von diesem unendlichen Wachstum und stattdessen die globalen Ressourcen gerechter verteilen“, da ist sich Tonny Nowshin sicher.

Sozialgerechte Klimapolitik

Klimagerechtigkeit bedeutet also Lösungen zu finden, welche die historische Verantwortung des Globalen Nordens einberechnen. Organisationen von Schwarzen, Indigenen und Aktivist*innen of Colour wie das Black Earth Collective fordern daher Kompensationszahlungender Hauptverursacher der Klimakrise. Konkret bedeutet das, dass die Industrienationen den Globalen Süden für die historischen CO2-Emissionen und ihre Folgen finanziell entschädigen sollten.

Als sich die europäischen Länder im gleichen Entwicklungsstadium wie die heutigen Länder des Globalen Südens befanden, konnten sie ungehindert wachsen und CO2 ausstoßen. Daher stellt sich die Frage, ob den Ländern des Globalen Südens das gleiche Wachstum ermöglicht werden sollte. Es ist also nachvollziehbar, wenn Entwicklungs- und Schwellenländer weniger strenge Emissionsziele fordern.

„Es wäre definitiv fair, den Ländern des Globalen Südens einen langsameren Übergang zu 100% erneuerbaren Energien zu erlauben“, argumentiert Tonny Nowshin. „Allerdings wäre jedes Gramm CO2, das wir angesichts der Klimakrise einsparen können, wichtig. Dennoch hat der Westen kein Recht den Ländern des Globalen Südens zu diktieren wie sie ihren Strom zu produzieren haben. Diese Entscheidung liegt bei den Menschen vor Ort.“

Gleichzeitig setzen Länder des Globalen Südens bereits zu einem erheblichen Teil auf erneuerbare Energien und das Potenzial ist groß. So liegt der Anteil erneuerbarer Energien in Kenia, Sambia und Äthiopien bereits bei über 50%.

Tonny Nowshins Heimatland Bangladesch könnte zum Beispiel seinen kompletten Energieverbrauch durch Wind, Solar und Wasserkraft decken. Hier könnten die Länder des Globalen Nordens beim Aufbau der nötigen Infrastruktur finanziell unterstützen argumentiert sie. „Was es allerdings nicht braucht, sind Politiker*innen reicher Industriestaaten, die den Regierungen des Globalen Südens erklären wie sie mit dem Klimawandel umzugehen haben. Das wissen die Menschen vor Ort am besten.“

Ihr Kommentar
Wer sind Sie?

Um Ihren Avatar hier anzeigen zu lassen, registrieren Sie sich erst hier gravatar.com (kostenlos und einfach). Vergessen Sie nicht, hier Ihre E-Mail-Adresse einzutragen.

Hinterlassen Sie Ihren Kommentar hier.

Dieses Feld akzeptiert SPIP-Abkürzungen {{gras}} {italique} -*liste [texte->url] <quote> <code> et le code HTML <q> <del> <ins>. Absätze anlegen mit Leerzeilen.

Kommentare verfolgen: RSS 2.0 | Atom